Gesundheitsökonomie

Der Ärztemarkt im Fokus


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Neben dem Arznei- sowie Hilfsmittelreport legt die Barmer GEK jährlich den Arztreport auf. Die Analyse des ambulanten Ärztemarktes bietet auch den Apotheken etliche interessante Fakten – schließlich fußen im Schnitt gut 80% des Apothekenumsatzes auf Verordnungen.

8,2 Millionen Vollversicherte, die in jedem Quartal des Jahres 2009 bei der Barmer bzw. GEK versichert waren, bilden die Datenbasis für die Analyse der ambulanten ärztlichen Versorgung. Dahinter stehen 74,7 Millionen Behandlungsfälle (= „Krankenscheine“), 286 Millionen Diagnosen und 480 Millionen Abrechnungsziffern. Hochgerechnet auf ganz Deutschland, waren 658 Millionen Behandlungsfälle zu verzeichnen und stolze 2,35 Mil­liarden Diagnosen. Das entspricht nicht weniger als 9,5 unterschiedlichen Diagnosen pro Kopf, basierend auf der detaillierten ICD-Kodierung – wobei Mehrfachdiagnosen bei verschiedenen Ärzten möglich sind.

Allgemeine Daten

91% der Bevölkerung suchten im Lauf des Jahres 2009 mindestens einmal einen Arzt auf (ohne Zahnärzte und Kieferorthopäden). Die Zahl der „Gesunden“ ohne jede ärztli­che Konsultation ist damit erstaunlich gering. Frauen gehen nochmals mehr zum Arzt als Männer. Bei ihnen liegt in keiner Altersklasse die Inanspruchnahme unter 90 %, während jüngere Männer zwi- schen 20 und 40 Jahren auf Werte von rund 80 % kommen. Diese Raten der ärztlichen Inanspruchnahme gelten mit geringen Abweichungen bundesweit. Selbst je Quartal liegen die Behandlungsraten stets bei rund 75 %, was bedeutet, dass drei von vier Bundesbürgern, vom Säugling bis zum Greis, mindestens einmal pro Quartal einen oder mehrere Ärzte kontaktieren. Dies übersetzt sich in rund 8 Behandlungsfälle pro Jahr und Kopf (9,5 bei Frauen, 6,5 bei Männern).

Die Zahl der Arztkontakte beträgt im Durchschnitt über alle Personen etwa 4,3 bis 4,5 je Quartal, was sich zu den vielfach publizierten 17 bis 18 Arztkontakten je Jahr und Versicherten addiert. Die Frauen liegen mit knapp 21 Arztkontakten deutlich vor den Männern mit rund 15. Ab 2008 ist die Nachverfolgung der Arztkontakte erschwert, da die Arzthonorierung überwiegend in Form von haus- oder fachärztlichen Grundpauschalen erfolgt. Die Abrechnung einer Pauschale be­inhaltet einen hohen Anteil der Arztkontakte, die somit nicht mehr ohne Weiteres ersichtlich werden.

3,4 Ärzte pro Jahr

41 % der Bevölkerung suchen im Laufe eines Jahres 4 oder mehr behandelnde Ärzte bzw. Betriebsstätten auf, 10 % bringen es auf über 6 Ärzte, 1,2 % nehmen gar Leistungen von mehr als 10 Ärzten in Anspruch. Der arithmetische Durchschnitt liegt bei 3,4 Ärzten.

Rund 82 % der Bevölkerung nehmen die Dienste des Hausarztes (einschließlich hausärzt­lich tätiger Internisten) in Anspruch, es folgen Gynäko­logen mit 27% (bzw. rund 54% der Frauen), Augenärzte (25,5%), Orthopäden (20%), Hautärzte (18,5%), HNO-Ärzte (17%), nicht hausärztlich tätige Internisten (16%), Chirurgen (14,3%), Nervenärzte (9,5%), Urologen (8,3%) und Psychotherapeuten (1,7%).

Doktor-Hopping bei den Gynäkologen

Die Zahl derer, die innerhalb einer Fachgruppe mehrere Ärzte aufsuchen (also z.B. zwei Augenärzte im Jahr) ist indes unterschiedlich ausgeprägt. Am häufigsten findet sich das Phänomen des „Doktor-Hoppings“ bei den Gynäkologen; rund die Hälfte der Patientinnen war bei zwei oder mehr dieser Fachärzte. Außerdem ließen sich 28,7 % der Hausarztpatienten von zwei Hausärzten sowie 12,0 % von drei und mehr behandeln; damit waren rund 40 % der Hausarztgänger „abtrünnig“. Auch rund ein Drittel der Kinderarztpatienten wurde mehr als einem Kinderarzt vorgestellt. Bei Augen- und HNO-Ärzten waren hingegen höchstens 10 % der Facharztpatienten bei mehr als einem oder, ganz selten, zwei Ärzten.

Diagnosen

Aufschlussreich ist der Blick auf die gestellten Diagnosen. Aufgeführt ist der Prozentsatz der Gesamtbevölkerung, der damit im Jahr 2009 konfrontiert wurde. Die Summe liegt erheblich über 100 %, da Mehr­fachdiagnosen häufig sind.

Höchstbetagte sind oft weniger krank

Einige bemerkenswerte Fakten bleiben festzuhalten:

  • 25,7 % der Bevölkerung sind von der Diagnose „essentielle Hypertonie“ betroffen (zuzüglich des „Dunkelfeldes“ der nicht diagnostizierten Fälle). Bei den 45- bis 50-Jährigen beträgt die Quote etwa 20 %, bei den 70- bis 85-Jährigen sogar stolze 70 % bis 75 %. Männer wie Frauen sind fast gleichermaßen ver­treten. In den neuen Bundesländern liegen die Werte etwa 20 % über dem Bundesschnitt.
  • Rückenschmerzen beklagen bereits 15 % bis 21 % der 25- bis 30-Jährigen, in der Spitze beträgt die Quote gut 40 % (bei Frauen im Alter von 70 bis 80; die Betroffenheit der Frauen liegt hier meist etwa 30 % über derjenigen der Männer).
  • Lipidämien betreffen, auf gesicherter diagnostischer Basis, bereits 4 % der 30- bis 35-Jährigen. Das steigert sich auf Werte um 45 % bis 50 % bei den 65- bis 85-Jährigen.

Interessant ist die Tatsache, dass Höchstbetagte (ab etwa 85 Jahren) wieder signifikant niedrigere Krankheitsraten aufweisen. Sehr hohes Lebensalter geht also häufig nach wie vor mit einer gewissen Fitness einher.

Kostenaspekte

Hierbei handelt es sich um Durchschnittswerte. Die Krankenkassen zahlen unterschiedliche Pauschalen und durch Hausarztverträge sowie andere Sondervereinbarun­gen streuen die individuellen Honorare je Fall, Patient und Krankenkasse beträchtlich. Im Bereich der Privatabrechnung werden wieder andere „Scheinwerte“ verzeichnet – oft zwei- bis dreimal höhere. „Richtiges“ Abrechnen ist somit in der Arztpraxis nach wie vor ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Konsequenzen für die Apotheke

Die hohe Zahl der Arztgänger und die Vielzahl der Arztkontakte illustrieren die sehr gro­ße, tendenziell weiter steigen­de Bedeutung der Ärzte für die Apotheke. Das „Doktor-Hopping“ sowie die häufige Kontaktierung von mehreren Fachärzten stellt die Apotheke vor Herausforderungen bei der Kundenbindung: Ein nicht unbedeutender Teil der Rezepte „verflüchtigt“ sich oftmals in weiter entfernte Praxen. Der Blick auf die häufig­s­ten Diagnosen sowie die Betroffenheitsquoten können aber helfen, Aktionen und Angebote zielgerichteter auf die Bedürfnisse der Kunden abzustimmen.

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore
@t-online.de

Der Arztreport 2011 kann im Internet abgerufen werden unter www.barmer-gek.de -> Presse -> Infothek -> Studien und Reports.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(05):5-5