Dr. Christine Ahlheim
? Welche Schwerpunkte werden Sie bei Ihrer zukünftigen Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer der ABDA setzen?
Zunächst einmal freue ich mich natürlich darüber, dass mir der ABDA-Vorstand das Vertrauen ausgesprochen hat und mich auf diese verantwortungsvolle Position berufen hat. Seit ich 1990 meine erste Stelle bei der ABDA angetreten habe, sind nun schon gute 20 Jahre vergangen. In dieser Zeit habe ich viele Gesundheitsreformen und Marktveränderungen erlebt.
Auch in meinem bisherigen Tätigkeitsbereich als Geschäftsführer für Wirtschafts- und Vertragsrecht ist eines besonders deutlich geworden: Die Anforderungen an die Apotheken wachsen stetig, während die erbrachten Leistungen nicht immer die angemessene öffentliche Anerkennung finden und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit diesen wachsenden Anforderungen nicht ausreichend Schritt halten.
Diesem Spagat werde ich mich nun als Hauptgeschäftsführer auf ganz besonders intensive Weise stellen. Denn klar ist, dass von mir mehr erwartet wird, als nur die Positionen der ABDA darzustellen. Wir werden neue Positionen und Angebote entwickeln müssen, die wir überzeugend nach außen tragen und umsetzen.
Hierfür Strategien zu entwickeln, Grundsatzdebatten anzustoßen und Richtungsentscheidungen herbeizuführen, dürfte zu meinen wichtigsten Aufgaben gehören. Dafür gilt es insbesondere, die Kompetenz unserer Mitgliedsorganisationen einfließen zu lassen und auch in Zukunft auf das hohe Engagement meiner Kolleginnen und Kollegen in der Geschäftsführung der ABDA, der Mitarbeiter im Hause und der Kollegen in den Landesorganisationen zu setzen.
? Welche Wünsche haben Sie an die Gesundheitspolitik der Bundesregierung?
Der Ärger der Apotheker über die neue Gesundheitsreform ist groß und wird so schnell auch nicht verrauchen. Die Koalition nimmt Tausenden Apotheken die Luft zum Atmen. Letztlich werden nicht nur die Apotheker, sondern vor allem die Patienten die Zeche zahlen.
Dieser Ärger befreit uns keinesfalls von der Herausforderung, auch für die Zukunft nach guten Lösungen mit der Politik zu suchen. Deshalb erwarten wir von der Regierung Antwort
- Wie wollen Sie verhindern, dass die pharmazeutischen Großhandlungen die ihnen gesetzlich zugewiesene Belastung komplett an die Apotheken durchreichen?
- Wie will die Bundesregierung dazu beitragen, dass steigende Kosten, höhere Leistungserwartungen und angemessene Vergütung in Einklang gebracht werden?
- Wie soll bei der Packungsgrößenverordnung endlich wieder Ordnung und Übersichtlichkeit entstehen?
Kurz: Wir fordern und brauchen mehr Verlässlichkeit. Das ist nicht neu, aber nun drängender denn je.
Neben diesen retrospektiven Wünschen zum AMNOG müssen wir aber auch nach vorne schauen. So will die Koalition ein Versorgungsgesetz auf den Weg bringen. Die Apotheker sehen sich natürlich ganz besonders in der Pflicht, an der Optimierung der Arzneimittelversorgung mitzuwirken. Zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung arbeiten wir an neuen Konzepten für den Bereich der Arzneimittelversorgung.
Wenn also die Politik statt kurzfristiger Spargesetze endlich eine grundsätzliche und langfristige Initiative ergreifen will, stehen die Apotheker gerne jederzeit für Diskussionen bereit. Ich wünsche mir, dass in der Politik das Potenzial erkannt wird, das die Apothekerinnen und Apotheker für eine weitere Verbesserung der Versorgung der Patienten haben, und dass die Nutzung dieses Potenzials politisch unterstützt wird.
? In welche Richtung sollte sich aus Ihrer Sicht das deutsche Apothekenwesen entwickeln?
Das deutsche Gesundheitssystem ist, so wird es immer wieder von vielen Seiten gesagt, eines der besten der Welt. Da erlaube ich mir, dieses Lob auch für die Apotheken und die Apotheker in Anspruch zu nehmen. Wir haben eine sichere, flächendeckende Rund-um-die-Uhr-Arzneimittelversorgung von 80 Millionen potenziellen Patienten durch unabhängige, inhabergeführte Apotheken.
Wenn sogenannte Gesundheitskonzerne aus dem In- und Ausland jetzt diesen „Markt erobern“ wollen, so wird man sie darauf hinweisen dürfen, dass die Frei- und Heilberufler bislang alle Herausforderungen hervorragend bewältigt haben und dies auch künftig zu tun gedenken. Und zwar mit einer Unabhängigkeit und Ausrichtung am individuellen Wohl des Patienten, die andere Beteiligte im „Gesundheitsmarkt“ nicht kennen. Auch hier müssen wir den Dialog mit der Politik fortführen.
Natürlich gibt es auch viel Entwicklungs- und Verbesserungsbedarf. Die Apothekerkammern arbeiten an der Qualitätssicherung, verbreiten das Qualitätssiegel der Bundesapothekerkammer, verstärken Fort- und Weiterbildungen.
Bei Initiativen zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit oder beim Kampf gegen Medikamentenmissbrauch, Doping und Arzneimittelfälschungen engagieren sich die Apotheker auf lokaler, Landes- und Bundesebene. Die Begleitung des Patienten während der gesamten Dauer der Arzneimitteltherapie wird noch intensiviert werden. Hierzu bedarf es keiner „Revolution“ im Versorgungssystem, sondern einer ständigen Weiterentwicklung.
Eines ist aber auch klar: Zusätzliche Leistungen, die Patienten, Kassen und Politiker von den Apotheken erwarten und erwarten dürfen, müssen auch honoriert werden und dürfen nicht in überbordender Bürokratie enden. Kurzum: Die Apotheker werden ihre freiberuflichen Dienstleistungen weiter ausbauen und das System der öffentlichen Apotheken wird auch weiterhin den Rahmen und die Gewähr dafür bieten müssen, dass diese Leistungen von dem Heilberufler Apotheker verantwortet und nicht durch bloße Kapitalinteressen gesteuert werden.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(05):3-3