Prof. Dr. Andreas Kaapke
Ein Kannibalisierungseffekt liegt vor, wenn eine Aktivität eines Unternehmens einen negativen Einfluss auf eine andere Aktivität desselben Unternehmens in der Form hat, dass zwischen beiden zugehörigen Absatzmengen eine negative Beziehung besteht. Beispiel: Wenn eine Marke oder ein Produkt einer anderen Marke oder einem anderen Produkt desselben Unternehmens Kunden wegnimmt, liegt ein sogenannter negativer Spill-over-Effekt vor. Damit ist ein Ausstrahlungseffekt gemeint, d.h., die Aktivitäten eines Unternehmens rund um ein Produkt fördern oder – wie in diesem Fall – behindern den Abverkauf eines anderen Produkts.
Ein solcher Effekt entsteht insbesondere dann, wenn die Kunden zwei als voneinander differenziert geplante Marken als identisch ansehen und steigende Absätze der einen Marke daher sinkende Absätze der anderen Marke bedeuten.
Vom Laden ins Internet
Im Rahmen der Distribution kann es zu einem Kannibalisierungseffekt kommen, wenn eine Erhöhung der Distributionsdichte (höhere Anzahl von Geschäften, die die Marke führen) oder eine Ausweitung der Distributionskanäle nicht zu einer entsprechenden Steigerung der Absatzmenge führt. So liegt beispielsweise eine Kannibalisierung vor, wenn bestehenden stationären Ladengeschäften das Internet als Distributionskanal hinzugefügt wird und bisherige Kunden des stationären Kanals zum elektronischen wechseln. Diese Multi-Channel-Strategie wird aber als besonders hilfreich angesehen. Viele Chef-Strategen von Handelsunternehmen vertreten die Ansicht, sich lieber selbst zu kannibalisieren, als Marktanteile den Wettbewerbern zu überlassen.
Aktivitäten, die eine Kannibalisierung bedeuten, werden aus zwei Gründen trotz ihrer negativen Auswirkung auf eine andere Aktivität ausgeführt:
- Um eine höhere Marktausschöpfung zu realisieren, indem Wettbewerber ferngehalten werden und den Präferenzen der Konsumenten besser entsprochen wird.
- Weil sich trotz des Kannibalisierungseffekts für das ursprünglich betrachtete Unternehmen aus der neuen Konkurrenzsituation mehr positive Effekte ergeben können.
Kannibalisierungseffekte in Apotheken sind eher selten, obgleich ggf. ein zweites Standbein in Form von Internetangeboten vorhanden ist. Vielfach wird argumentiert, dass dadurch der Adressatenkreis des Anbieters deutlich ausgeweitet werden kann. Auf der anderen Seite muss aber eine Offizin vorgehalten werden, die sich dann eventuell nicht mehr trägt bzw. für den Durchlauf an Kunden zu teuer wird.
Ein zweites Standbein, das zur Kannibalisierung beiträgt, rechnet sich demnach nur, wenn die aufaddierten Kosten für das Vorhalten beider Alternativen durch den dadurch erzielten Mehrumsatz überkompensiert werden. Ist dies nicht der Fall, können keine positiven Effekte aus der Kannibalisierung generiert werden. So kann die Hinzunahme einer billigen Kosmetikserie zu einem deutlich reduzierten Abverkauf einer hochwertigen führen und sich so die Umsatz- und Ertragssituation der Apotheke verschlechtern.
Ein Motiv für Kannibalisierung ist es, dem Wettbewerb kein Spielfeld zu überlassen, weshalb auch unter Kostengesichtspunkten nicht lohnende Wege eingeschlagen werden. Als Beispiel dient das Führen einer Warengruppe im Sortiment, nur um Wettbewerbern Marktanteile wegzunehmen, obgleich die Sortimentseinbindung keinen eigenen betriebswirtschaftlichen Zweck erfüllt. Dies ist Apotheken nicht zu empfehlen, da die Komplexität des Vorhaltens von nicht lohnenden Alternativen dazu führen kann, dass man das Kerngeschäft aus den Augen verliert und auch dort weniger gute Erträge erwirtschaftet, als wenn man sich auf das Wesentliche konzentrieren würde.
Prof. Dr. Andreas Kaapke, Professor an der
Dualen Hochschule Baden-Württemberg und
Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte,
71640 Ludwigsburg,
E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(17):11-11