Reiserecht

Eine Kakerlake ist kein Reisemangel


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Die „schönsten Wochen des Jahres“ werden auch in diesem Jahr wieder für viele zum wahren Horrortrip: Schlechtes Essen, fehlende Freizeiteinrichtungen oder mangelhafte Hygienestandards vermiesen den Urlaub. Allerdings haben Reisende erhebliche Rechte.

Spätere Abreise rechtfertigt Preisminderung

Ein stetes Ärgernis sind Änderungen der Flugzeiten sowie Flug- und Kofferverspätungen. Verzögert sich der Hin- oder Rückflug durch Verschulden des Veranstalters um mehr als vier Stunden, kann der Reisepreis ab der 5. Stunde pro Stunde um 5% des Tagesreisepreises vermindert werden. Fällt dadurch ein Urlaubstag praktisch ganz aus, berechtigt dies zur Minderung um einen vollen Tagesreisepreis. Gleiches gilt, wenn sich die Rückreise infolge eines durch den Veranstalter geänderten Ankunftsortes erheblich verlängert und z.B. mit einem Bus- oder Bahntransfer verbunden ist.

Bei Gepäckverspätungen kann der Urlauber meist zwischen 10% und 50% des Reisepreises zurückfordern. Aber auch bei Nichtbeförderung durch Überbuchung gehen Flug­passa­giere nicht leer aus, selbst wenn sie keine Pauschalreise gebucht haben: Je nach Entfernung zum Zielort muss die Fluggesellschaft Entschädigungen zwischen 250€ (Flug bis 1.500 km) und 600€ (über 3.500 km) bezahlen und zudem kostenlos Verpflegung und ggf. Übernachtungsmöglichkeiten be­reitstellen.

Die meisten Mängelrügen verzeichnen die Gerichte in Zusammenhang mit Unterkunft und Verpflegung. Grundsätzlich gilt: Der Veranstalter muss seine Versprechungen erfüllen. Wird also mit einem fertiggestellten Hotel mit beheiztem Pool und Freizeitanlagen geworben, muss sich der Reisende nicht mit einer Unterkunft auf einer Baustelle begnügen. Auch die im Katalog genannten Freizeiteinrichtungen müssen vorhanden und nutzbar sein. Ein Fehlen begründet ein Recht auf Schadensersatz, wobei sich die Höhe nach Art und Ausmaß des Mangels richtet. Bewährt hat sich die „Frankfurter Tabelle“: Diese gibt Anhaltspunkte für die Höhe der Rückforderungsmöglichkeiten, an die sich die meisten Gerichte halten. Wurde z.B. ein Fernsehgerät zugesagt, das nicht vorhanden ist, kann der Urlauber 5% des Reisepreises fordern. Schäden im oder am Zimmer begründen ebenso wie erheblicher Ungezieferbefall bis zur Beseitigung eine Forderung von 10% bis 50% des Reisepreises, der fehlende Meerblick 5% bis 10%. Und wenn die versprochene Klima­anlage nicht existiert oder defekt ist, kann der Urlauber zwischen 10% und 20% zurückverlangen.

„Landestypische ­Besonderheiten“

Grenzen werden allerdings bei bloßen Unannehmlichkeiten und „landestypischen Besonderheiten“ gezogen. Das gelegentliche Warten aufs Essen, nach deutschem Verständnis unzureichende Verpflegungsleistungen, ein Gecko in einem südländischen Zimmer oder auch Discolärm bis Mitternacht in einer als „belebt“ beschriebenen Wohnanlage berech­tigen in der Regel nicht zu Re­klamationen. Auch einzelne Kakerlaken in einem Hotel in Tunesien sind kein Reisemangel. Vergleichbares gilt, wenn der Reisende eine erhöhte Diebstahlsgefahr sieht oder starke Winde bzw. eine Algenplage den Strandurlaub vermiesen. Wurden Nutzungsmöglichkeiten nicht aus­drücklich zugesagt, trifft den Veranstalter keine Haftung.
Anders gelagert sind Fälle, in denen sich versprochene und vorhandene Einrichtungen nicht in einem nutzbaren und sicheren Zustand befinden. Für Unfälle auf schlüpfrigem Hotelparkett, durch defekte Wasserrutschen oder bei ausdrücklich im Reiseumfang enthaltenen Veranstaltungen kann ggf. das deutsche Unternehmen in Anspruch genommen werden, das eine gewisse Prüfungspflicht hat. Hier fordern die Gerichte allerdings ein Mindestmaß an gesundem Menschenverstand: Wer in einen Kinderpool springt, darf kein tiefes Wasser erwarten.

Reiseleitung als ­Ansprechpartner

Treten Probleme auf, ist – neben der Rezeption bei kleineren Mängeln – die Reiseleitung vor Ort stets erster Ansprechpartner. Dabei nutzt eine zwar deutlich, aber in freundlichem Ton vorgetragene Beschwerde meist mehr als lautes Lamentieren. Insbesondere die großen Veranstalter sind redlich bemüht, bei unzufriedenen Kunden möglichst schnell Abhilfe zu schaffen, ggf. sogar durch Umzug in ein anderes Hotel. Ist dies nicht der Fall, sollte man ein Mängelprotokoll erstellen und vom Reiseleiter unterschreiben lassen. Empfehlenswert ist auch, Fotos zur Dokumentation des Mangels zu machen sowie Namen und Anschriften von ebenfalls betroffenen Mitreisenden zu notieren, die als Zeugen auftreten können. Ob man eine in bar oder als Gutschein vor Ort gewährte Entschädigung annimmt und damit ggf. auf weitere Rechte verzichtet, muss jeder selbst aufgrund der aktuellen Situation entscheiden.
Bei besonders gravierenden Mängeln – und nur dann – haben Reisende auch die Möglichkeit, sich selbst eine Ersatzunterkunft zu besorgen oder die Reise abzubrechen. Um jedoch Schadensersatz und ggf. eine Entschädigung für entgangene Urlaubsfreuden beanspruchen zu können, muss die Reiseleitung zuvor ausreichend Gelegenheit gehabt haben, die reklamierten Mängel beseitigen zu lassen. Im Übrigen ist ein Reiseabbruch immer ein gewisses „Glücksspiel“: Werden die Gründe später von den Gerichten als weniger gravierend eingestuft, muss der Urlauber entstandene Mehrkosten aus eigener Tasche bezahlen.

Entscheidend für den Schadensersatz ist in jedem Fall das Einhalten weiterer „Spielregeln“. Schlechte oder fehlende Leistungen müssen binnen Monatsfrist beim Veranstalter nachweisbar – also mit Einschreiben und Rückschein – geltend gemacht werden. Die Verjährungsfrist beträgt grundsätzlich zwei Jahre, Veranstalter können sie aber auch auf ein Jahr verkürzen. Generell nicht ausreichend ist pauschales Nörgeln („schlechtes Essen“), hingegen sind die Mängel konkret zu benennen. Entgegen landläufiger Meinung muss dabei die Ersatzforderung nicht beziffert werden, vielmehr wird im Regelfall der Veranstalter einen Einigungsvorschlag unterbreiten. Die dann meist zur Verfügung gestellten Reisegutscheine muss der Urlauber nicht akzeptieren, er hat Anspruch auf bare Zahlung. Löst er die Gutscheine jedoch ein oder verkauft sie z.B. im Internet weiter, sug­geriert er damit sein Einverständnis, sodass er keine weiteren Ansprüche mehr geltend machen kann.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(14):12-12