Prof. Dr. Reinhard Herzog
Keine Übertherapie
Gleiches gilt im Fall einer möglichen Übertherapierung und für Leistungen, die als übertriebener Luxus anzusehen sind. Die Grenzen sind hier freilich fließend, wobei es ebenso Gesellschaften gibt, die sich weitgehend kulant zeigen und allenfalls bei teuren Wellnesskuren im Ausland die Bremse ziehen, wie Unternehmen, die bereits bei notwendigen Operationen erste Zweifel anmelden. Wer vor dem Neuabschluss eines Vertrags steht, sollte daher im Internet nach möglichen Kundenbeschwerden bei der jeweiligen Gesellschaft „googeln“. Wer indes bereits versichert ist, kann oftmals nur durch Wahl geeigneter Behandlungsmethoden sicherstellen, die Leistungen auch bezahlt zu bekommen. Denn ein Wechsel lohnt sich vor allem im fortgeschrittenen Lebensalter nur noch selten.
Geht es in der Krankenversicherung noch um vergleichsweise überschaubare Beträge, sieht es in der Unfallversicherung anders aus. Wer durch einen Unfall einen dauerhaften Körperschaden erleidet, muss sich – insbesondere bei höheren Geldforderungen – meist auf einen langen Kampf mit seiner Versicherungsgesellschaft einstellen. So wird nur allzu gerne bezweifelt, ob es sich bei einem Schadensfall wirklich um einen Unfall gehandelt hat oder dass dieser auch ursächlich für den entstanden Schaden war, sogar die bewusste Selbstverstümmelung wird manchmal vorgeworfen. Daneben werden Leistungen häufig mit dem Hinweis auf Vorschäden oder bestehende Erkrankungen abgelehnt.
Untermauert wird die Zahlungsverweigerung vielfach durch Gutachten, die die Gesellschaft von ihr nahestehenden Experten erstellen lässt. Es folgt häufig ein langwieriger „Gutachtermarathon“ und letztlich wird es meist ein Fall für das Gericht, welche Zahlungen erbracht werden müssen. Erkennbar wird dabei eine gewisse Systematik, denn die Versicherung spielt auf Zeit: Zuerst wird der geschädigte Kunde zermürbt, dann wird ihm eine – wesentlich niedrigere – Abfindungszahlung angeboten. Sinnvolles Gegenmittel ist hier allein eine gewisse Standhaftigkeit und ein guter Anwalt.
Noch problematischer ist der Bereich der privaten Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung einzustufen. Sie wird von cleveren Vertretern nur zu gerne als Zusatzbaustein zu den ohnehin meist sehr guten Leistungen der Versorgungswerke verkauft, ist aber oftmals wenig sinnvoll. Denn hier ist es mittlerweile fast üblich, dass Leistungen im Schadensfall verweigert und immer wieder neue Gutachten über die Erkrankung eingefordert werden. Eine solche Hinhaltetaktik kann viele Jahre dauern, oft erleben Betroffene die letztendliche Entscheidung nicht mehr.
Genau nachsehen muss man aber auch im Kleingedruckten: Sofern der Versicherer im Schadensfall auch auf andere Tätigkeiten verweisen kann, hat der Kunde nur im Fall schwerster Schädigungen einen Anspruch auf Leistungen. Wer jedoch in der Lage ist, zumindest „als Pförtner den Schrankenknopf zu bedienen“, kann oft mit keiner Zahlung rechnen. Wird eine solche Police abgeschlossen, sollte also ganz klar geregelt sein, welches Risiko abgedeckt ist. Wer sicher gehen will, gut geschützt zu sein, schildert sein ganz spezielles Risiko und den gewünschten Deckungsumfang schriftlich der Gesellschaft. Wird diese Deckung bestätigt, besteht zumindest ein gewisses Maß an Sicherheit.
Existenzbedrohendes Feuer
Immer wieder zu Problemen kommt es auch im Bereich der Immobilienversicherung. In der Wohngebäudeversicherung wird gerne darüber gestritten, ob ein Sturm wirklich ein Sturm im Sinne der Vertragsbedingungen war – wobei hier mittlerweile Datenbanken des Wetterdienstes entsprechende Informationen bieten. Vergleichbares gilt bei Überspannungsschäden. Schwieriger wird die Sachlage im Bereich Leitungswasser. Hier ist ein Rohrbruch meist durch die Vertragsbedingungen abgedeckt, altersbedingt gelöste Rohrverbindungen jedoch nicht unbedingt. Zahlreiche Unterschiede werden auch bei Risiken wie etwa dem Rückstau aus dem Abwasserkanal gemacht. Hier sollte bereits vor Eintritt des Schadensfalls genau geprüft werden, ob das individuelle Risiko entsprechend versichert ist. Dies gilt insbesondere für das meist preiswert versicherbare Zusatzrisiko „Elementarschäden“, mit dem z.B. Hochwasserschäden abgesichert werden können. In jedem Fall sollte die Immobilie regelmäßig durch Experten gewartet werden.
Besonders kritisch ist schließlich der Bereich der Brandversicherung zu sehen. Da es dabei meist mindestens um sechsstellige Summen geht, suchen die Versicherer peinlich genau nach Möglichkeiten, sich der Haftung zu entziehen. So werden Zahlungen generell so lange verweigert, bis die Brandursache eindeutig feststeht. Schon beim kleinsten Verdacht, dass ein Brand z.B. durch den Versicherungsnehmer selbst gelegt oder zumindest grob fahrlässig verursacht wurde, wird sich die Gesellschaft sperren. Da ein solches Ereignis jedoch schnell existenzbedrohend werden kann, empfiehlt sich meist die frühzeitige Einschaltung eines erfahrenen Anwalts. Aber auch bei der Schadensmeldung sollte man besonders vorsichtig sein, denn oft entscheiden Marginalien bei der Formulierung, ob ein Schaden gedeckt ist.
In der Hausratversicherung geht es meist um den Nachweis, welche Gegenstände z.B. gestohlen wurden oder wie hoch der Wert einer durch Brand zerstörten Wohnungseinrichtung war – was schwer wird, wenn auch die Kaufrechnungen verbrannt sind. Bewährt hat sich eine regelmäßige „Inventur“, verbunden mit Fotos der Einrichtung, wobei diese Daten möglichst außer Haus gelagert werden sollten, z.B. in einem externen Datenspeicher.
Ehrlichkeit ist oberstes Gebot
In allen Versicherungsfragen gibt es allerdings auch Möglichkeiten, solchen Problemen aus dem Weg zu gehen. Wichtig sind z.B. absolut ehrliche Angaben bei Vertragsabschluss, etwa über bestehende Vorerkrankungen in der Personenversicherung oder Risikoerhöhungen in der Sachversicherung. Auch im Schadensfall ist Ehrlichkeit angesagt, wobei man sich zuvor ggf. mit einem Experten beraten sollte. Lohnend ist weiter eine regelmäßige Prüfung bestehender Verträge. Oft bieten die Gesellschaften Policen mit neueren Vertragsbedingungen mit erhöhtem Deckungsumfang an, die vielfach sogar billiger sind als bestehende Alt-Policen.
Manchmal ist es aber auch sinnvoll, im Schadensfall auf den Kulanzspielraum hinzuweisen: Jede Gesellschaft ermittelt intern, wie viel Prämien ein Kunde bezahlt und welche Schadensersatzkosten er verursacht. Insbesondere bei „guten Kunden“ mit hohem Prämienaufkommen ist man daher eher zu einer Kulanzabwicklung bereit als z.B. einem Versicherten mit nur einem Vertrag.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(17):15-15