Prof. Dr. Reinhard Herzog
Versandhandelskonkurrenz ist überregional
Und: Die Welt ist nicht so, wie wir sie uns malen wollen! Solange vom Gesetzgeber ein Preiswettbewerb im Non-Rx-Bereich gewünscht wird, ist die Preispolitik ein entscheidendes Thema, mit dem Sie umgehen müssen. Sicher spielt der Standort eine Rolle, es gibt ruhige und „heiße“ Regionen. Die Versandhandelskonkurrenz wirkt indes überregional bis in den hintersten Winkel der Republik.
Zahlen
Schauen wir auf einige Zahlen. So wurden 2012 in Deutschland Handelsspannen von 29% (Praktiker), 35,7% (Max Bahr, zum Praktiker-Konzern gehörend) und 35,4% beim nach wie vor Gewinne schreibenden Konkurrenten Hornbach erzielt. Pro Kundenbesuch erreichte Praktiker einen Korbumsatz von 25,60€ (Rohertrag je Kunde somit gut 7,40€), Max Bahr von 28,10€ (Korbertrag rund 10,00€). Für Hornbach liegen publizierte Werte zu Kundenzahlen und Kundenerlösen nicht vor, sie dürften besser liegen.
Da staunt man durchaus: Das sind Korberträge, wie sie Apotheken auch in etwa haben (etliche Center-Apotheken liegen schlechter als Praktiker!), und Handelsspannen deutlich über denen der meisten Apotheken.
Ein Praktiker- bzw. Max-Bahr-Markt macht jährlich etwa 7 Mio.€ Umsatz, je Quadratmeter nur gut 800€ (Max Bahr) bis 1.200€ (Praktiker). Hornbach erlöst konzernweit etwa 22 Mio.€ je Markt bzw. 1.900€ je qm. Bei Hornbach sind die Märkte im Schnitt 11.600qm groß, bei Max Bahr 7.700qm und bei Praktiker 6.000qm. 240.000 bis 280.000 Kunden (Max Bahr bzw. Praktiker) betreten im Jahr einen der Märkte, mithin 800 bis rund 950 pro Tag.
Je Markt sind gut 30 (Max Bahr), ca. 40 (Praktiker) oder gar gut 80 Vollzeitkräfte (Hornbach Deutschland) beschäftigt. Die Personalkosten relativ zum Umsatz in den einzelnen Märkten betragen beachtliche 14% bis 16%.
Je Vollzeitmitarbeiter werden Umsätze von ca. 185.000€ bzw. 220.000€ bei Praktiker bzw. Max Bahr getätigt, Hornbach erlöst 238.000€. In Roherträgen bringen die Mitarbeiter zwischen 54.000€ und 78.000€ ein, bei Hornbach gar 89.000€. Interessant hier wieder die Apotheken zum Vergleich: Eine Durchschnittsapotheke verfügt heute über etwa 6 bis 6,5 Vollzeitarbeitsplätze inklusive Chef(in). Daraus errechnen sich Umsätze je Vollzeitstelle inklusive Chef(in) um 300.000€ bis gut 330.000€ und Roherträge von etwa 75.000€ bis 85.000€ – überraschend ähnliche Größenordnungen vor allem hinsichtlich des Ertrags trotz so völlig unterschiedlicher Märkte.
Der Praktiker-Konzern schreibt Verluste, selbst das EBITDA (also der Überschuss ohne Abzug von Kapitalkosten und Steuern) bewegt sich deutlich im Minus (–2,4% vom Umsatz beim „Vorzeigemarkt“ Max Bahr und –6,4% bei Praktiker). Hornbach schreibt 2012 Gewinne (EBITDA-Marge +5,2%).
Schlussfolgerungen
Dieser Zahlenreigen illustriert, dass man stets sehr genau auf die jeweiligen Kennziffern schauen sollte. Umsätze und Roherträge alleine sagen noch nicht allzu viel. Auch mit über 30% Marge und beachtlichem Korbumsatz kann man „Miese“ machen, wenn hohe Kosten für Personal und Räumlichkeiten sowie Schulden drücken und das Geschäftsmodell nicht stimmt. So ist es dem Praktiker-Konzern trotz erheblicher Werbeaufwendungen (gut 3% vom Umsatz) nicht gelungen,
- für eine genügende Auslastung zu sorgen (siehe die schlechten Flächenumsätze),
- die Margen auskömmlich zu halten sowie
- die Kundenzahlen zu steigern oder auch nur zu stabilisieren.
Dagegen war die Kostenstruktur an sich nicht einmal besonders schlecht. Dennoch wurde eine „Todesspirale“ angestoßen, bei der man irgendwann mit dem Sparen gar nicht mehr hinterherkam. Ähnlich erging es diesbezüglich seinerzeit den Schlecker-Märkten: Sie waren hinsichtlich Auslastung, Kosten und Umsatz je Filiale auf dem harten Betonboden der wirtschaftlichen Tragfähigkeit angekommen. Ein solcher Abwärtsprozess verstärkt sich dann lawinenartig und lässt sich nicht mehr stoppen. Vergleichbares ist auch einigen Apotheken widerfahren.Wie kann es so weit kommen? Kardinalfehler 1 sind unüberlegte Massenrabatte. „20% auf alles außer Tiernahrung“ (so es sich tatsächlich um echte Preisvorteile gegenüber der Konkurrenz handelt) ruinieren die Marge empfindlich. Wer normalerweise 35% Marge erlöst und 20% Nachlass gibt, „schreddert“ seine Spanne auf 18,75%. Wer von 50% kommt, findet sich bei 37,5% wieder. Das kann man mit einigen Indikator- und Aktionsartikeln einmal machen, aber keineswegs über große Teile des Sortiments. Apotheken, die ganze Kataloge mit „Dauerniedrigpreisen“, bisweilen gleich mehrere Monate gültig, herausgeben, sind hier deutlich gefährdet. Anders als bei Praktiker gibt es allerdings noch die Welt der Rezeptumsätze – und da fängt dann die Unehrlichkeit und „Quersubventionierung“ an.
Doch nicht nur das. Aktionen dieser Art „verderben“ die Kundschaft. Wer immer „20% auf alles“ gibt, muss sich fragen lassen, ob er seine Kunden veräppelt (wo liegt eigentlich der reale Preis, wenn dieser nie bezahlt wird?), ob es sich nicht von vornherein um Mondpreise handelt, die man nur durch Rabatte konkurrenzfähig halten kann, oder aber umgekehrt der Anbieter es bitter nötig hat, seine Kunden dergestalt zu ködern, weil sonst sein Laden nicht viel bietet, sprich: es an Attraktivität mangelt (ein Problem der Praktiker-Märkte!). Mit anderen Worten: Man erzeugt selbst ein massives Glaubwürdigkeitsproblem! Hohe Dauerrabatte deuten stets auf große Schwierigkeiten eines Anbieters und teilweise einer ganzen Branche hin (Überkapazitäten!).
Damit sind wir beim Kardinalfehler 2: mangelnde Attraktivität. Ob Sortiment, Qualität, Erscheinungsbild bis hin zum Service: Wer sich einmal ein „Schrottimage“ aufgebaut hat, bei dem reichen irgendwann auch 20% Rabatt nicht mehr. Wer die absolute Low-Level-Discountschiene fahren will, muss wirklich Tiefstpreise bieten (Messlatte ist bei Apotheken der Versand), und dies geht nur über extrem günstige Kosten bei gleichzeitig hoher Auslastung. Gerade Letzteres wird gerne übersehen – das muss „flutschen“, so wie sich ein Discount-Versandhandelsmodell nur ab einer vierstelligen Päckchenzahl täglich rechnet. Solche Konzepte sind auch für Apotheken möglich – an einer Handvoll Standorten und an der harten Grenze zu den standesrechtlichen Vorgaben, das heißt, für über 99% der Betriebe scheidet das aus.
Hochgradig gefährdet sind indes auch ohne „Discount“ diejenigen, deren Attraktivität in einem wettbewerbsintensiven Umfeld zunehmend zu wünschen übrig lässt und die gleichzeitig aber die Kosten kaum reduzieren können, nicht zuletzt aufgrund immer höherer Vorgaben. Probleme sind so absehbar. Weniger gefährdet erscheinen Apotheken in „biologischen Nischen“ (oft auf dem Land) oder mit absoluter Spezialisierung auf rentable Randgruppen.
Dazu gesellt sich oft Kardinalfehler 3, das „Vogel-Strauß-Phänomen“: Warnsignale werden geflissentlich übersehen! Selbst wenn ein Controlling existiert und die Zahlen eindeutig in die falsche Richtung weisen, wird nicht oder erst viel zu spät reagiert. Dabei werden gerne die Beharrungs- und Verzögerungseffekte unterschätzt, ähnlich wie bei einem Tanker. Durchaus richtige Maßnahmen brauchen Zeit, bis sie wirken, verlangen erst einmal Investitionen und kosten Geld – das dann meist bereits fehlt (u.a. dies ist Schlecker und Praktiker zum Verhängnis geworden).
Lösungen
Liegt die Zukunft somit darin, nur nach „Listenpreisen“ und unverbindlicher Preisempfehlung zu verkaufen und sich ansonsten zurückzulehnen? Falls man so seine Kundenzahlen halten kann, mag das noch eine Weile funktionieren. Nur vergibt man sich attraktive Chancen. Denn fast zehn Jahre nach Freigabe der OTC-Preise ist die Frage berechtigt, ob das in den EDV-Systemen immer noch vorherrschende Kalkulationsmodell (die alte „Arzneimitteltaxe“ mit preisabhängig degressiven Aufschlägen von 68% bis hinab zu 30%) zeitgemäß ist – und zwar hinsichtlich der Aufschlagshöhe in beiden Richtungen! Im Wettbewerb lösen sich alte Preisgefüge zunehmend auf.
Nur recht wenige Kunden wissen zudem, was Arzneimittel kosten (dürfen). Eine gewisse Ausnahme stellen Dauerverwender und „Spezialkunden“ dar. So ist z.B. der Preis von Homöopathika erstaunlich vielen typischen Naturheil-Kunden gut im Gedächtnis. Das sollte aber nicht davon abhalten, sich über eine neue Preisstruktur Gedanken zu machen. Wirklich guten Spezial- und Dauerkunden kann man mit Individualangeboten entgegenkommen.
Es geht also um nicht weniger, als die Preise und Spannen aktiv zu gestalten und eine Kontrolle über angestrebte „Zielspannen“ zu bekommen. Heute lassen sich die meisten Apotheken basierend auf der quasi in Stein gemeißelten Kalkulationsstaffel passiv treiben!
Wenn Sie wissen bzw. aktiv bestimmen, wie viele Packungen sich in den einzelnen Aufschlagsgruppen befinden (deren Aufschläge Sie ebenfalls selbst festlegen und die Sie deutlich weiter spreizen sollten als die heutigen 30% bis 68%), sind Sie einem wirkungsvollen Spannen- und Rohertragsmanagement bereits einen großen Schritt näher (siehe hierzu das oben abgebildete Muster für ein Aufschlagsmodell). Als Kalkulationsbasis sollten Sie stets den realen Einkaufspreis nehmen und die Preise durch einen möglichst automatisierten Rundungsalgorithmus laufen lassen (um Werte wie 10,03€ zu vermeiden). Wer verhindern möchte, dass variierende (Direkt-)Einkaufskonditionen zu wechselnden Preisen führen, kann mit realistischen Pauschalabschlägen auf den Listenpreis arbeiten.
Eine solche Umstellung macht zwar Mühe, zahlt sich aber langfristig aus, und einige EDV-Systeme unterstützen derartige Aufschlagsgruppen. Wem das zu aufwendig ist, kann über eine pauschale moderate Erhöhung um vielleicht 5% bis 7% nachdenken.
Mit einem Rohertrags- und Spannenmanagement bzw. Preisanpassungen gewinnen Sie die erforderliche Handlungshoheit im Wettbewerb, damit Sie durchaus sagen können „20% auf...“ oder „30% auf...“ – aber eben nicht auf alles und unter weitestgehendem Erhalt, idealerweise sogar Ausbau der Rendite!

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(17):4-4