Ute Jürgens
Wer glaubt, ökonomische Entscheidungen grundsätzlich nüchtern kalkulierend zu treffen und immer rational zu handeln, irrt. Die Wissenschaft der Verhaltensökonomie hat längst das Gegenteil bewiesen. Auch Wirtschaftswissenschaftler sind überzeugt, dass die menschliche Psyche weitaus komplexer ist, als es das Modell des Homo oeconomicus vorgibt. Prof. Karlheinz Ruckriegel von der TU Nürnberg nennt als Beispiel, dass Menschen, die ständig zu viel essen, Häuser kaufen, die sie sich nicht leisten können, oder wichtige Aufgaben unerledigt lassen, alles andere als vernünftig handeln, sondern emotional gesteuert sind. Auch Apothekenleiter sind davor nicht gefeit, genauso wie Mitarbeiter und Kunden. Wie zeigt sich das Irrationale, wo wirkt es sich aus?
Fehlerproduktion
Mit im Boot der Verhaltensökonomen und experimentellen Wirtschaftswissenschaftler sitzen die Neurowissenschaftler. Typische Fragen sind: Wann kooperieren Menschen, bringen Höchstleistungen, wie reagieren sie auf Wettbewerb und unfaire Führung? Für Entscheidungen existieren das rationale, auf die Zukunft gerichtete und das intuitive, auf die Gegenwart gerichtete System. Das Unterbewusstsein steuert häufig, ohne dass wir es bemerken – so kommt es zu Fehlern.
Ein Beispiel: Die Angst vor Verlusten – einmal eine Fehlinvestition getätigt, werfen wir gutes Geld dem schlechten hinterher. Dabei kann es sich genauso gut um das falsche Softwaresystem wie um zu selten genutzte Messgeräte handeln, die wir ursprünglich viel häufiger bei Aktionen einsetzen wollten. Statt einen Strich zu ziehen und sich umzuorientieren, hoffen wir durch finanziell aufwendige Aktualisierungen doch noch den „großen Wurf“ tätigen zu können.
Ein weiteres Beispiel: das Status-quo-Denken. Dabei halten wir an der gegenwärtigen Situation fest, weil es schon immer einigermaßen funktioniert hat. Mittlerweile haben sich aber vielleicht die Rahmenbedingungen geändert: Wir nehmen mögliche Verbesserungen nicht einmal wahr, geschweige denn, dass wir uns damit auseinandersetzen. So arbeiten längst nicht alle Apotheken alltäglich mit medizinischen oder anderen Suchmaschinen im Internet; es gibt sogar Betriebe, in denen es dem Personal verboten ist, sich im Netz auf die Schnelle Informationen für den Kunden zu holen.
Weitere Fehler sind etwa Selbstüberschätzung und Auf-die-lange-Bank-schieben. Auch hier werden wir vom Unterbewusstsein regiert.
Vieles weist darauf hin, dass der Mensch sich am Gegenüber orientiert, also von Reziprozität beeinflusst wird. Man verzichtet eher, wenn auch der andere verzichtet, möchte etwas zurückgeben, wenn man selbst beschenkt wird, oder hat eine höhere Bereitschaft zu kooperieren, wenn man sich respektiert und angenommen fühlt. Beispiele: Sie schenken den Kunden Mitgabeartikel – das bindet. Sie zeigen Ihren Angestellten oft und deutlich, dass Sie gerne mit ihnen zusammenarbeiten und ihre Arbeit schätzen – das schafft Treue und Engagement.
Unfaires Verhalten dagegen schlägt sich sogar negativ nieder – die Stressbelastung steigt, der Körper reagiert messbar mit gestörten Funktionen.
Zuviel Kontrolle senkt die Motivation
Der Bonner Verhaltensökonomieprofessor Arnim Falk untersuchte das Leistungsniveau in Abhängigkeit von Kontrolle. Bei genauen Zielvorgaben, deren Erreichung kontrolliert wurde, lag die Gesamtleistung bei gleichem Gehalt niedriger, als wenn der Mitarbeiter selbst entschied, wann, wie lange und auf welche Weise er sich einer Arbeit widmen wollte. Genaue Vorgaben werden als einschränkend aufgefasst und als Misstrauen interpretiert. Im Gegenzug halten die Mitarbeiter sich mit ihrer Leistung zurück.
Auf den Grundlagen der Verhaltensforschung hat das Gallup-Institut mittlerweile weitere Forschungen betrieben. Es stellte sich heraus: Die emotionale Zufriedenheit wirkt stärker als die rationale. Emotional zufriedene Kunden werden Stammkunden und kaufen zu höheren Beträgen ein als durchschnittlich, emotional zufriedene Mitarbeiter wechseln seltener an einen anderen Arbeitsplatz und leisten mehr als nur rational zufriedene.
Der Engagement Index 2013, der von Gallup seit 2001 erhoben wird, zeigt: Nur 16% der Angestellten sind emotional zufrieden, 67% machen Dienst nach Vorschrift und der Rest hat bereits innerlich gekündigt. Der Projektmanager Marco Nink meint: „Aus motivierten Leuten werden Verweigerer, wenn ihre Bedürfnisse und Erwartungen bei der Arbeit über einen längeren Zeitraum ignoriert werden. Wenn sie nicht nach ihrer Meinung gefragt werden, kein positives Feedback und keine konstruktive Rückmeldung bekommen.“
Welche Führungsimpulse ergeben sich daraus?
- Fehleinschätzungen erkennen: Es gibt permanent Irrtümer; wer versteht, wie sie zustande kommen, kann gegensteuern. Eine ganz einfache Frage dazu: „Warum möchte ich jetzt auf diese ganz bestimmte Weise handeln?“ Antworten Sie ehrlich und machen Sie sich nichts vor! Lernen Sie sich selbst noch besser kennen.
- Kluge Entscheidungen anstoßen: Stellen Sie Entscheidungsfragen so, dass der „innere Schweinehund“ etc. keine Chance hat. Beispiel: Der Mitarbeiter soll sich auf ärztlichen Rat hin sportlich betätigen. Sie können fragen: „Haben Sie Zeit dazu? Und Lust?“ Oder: „Möchten Sie gesund werden (oder bleiben)?“ Ein Stück weit handelt es sich bei jeder Fragestellung um Manipulation, hier geschieht das jedoch zum Besten aller Beteiligten.
- Richtige Anreize setzen: Je nachdem, was Sie als Leitung durch Aussagen und Ihr eigenes Verhalten vorgeben, finden Sie die entsprechenden Angestellten. Wie soll die Zusammenarbeit in Ihrer Apotheke aussehen? Auf Egoismus oder auf Gemeinschaftssinn fußend? Im ersten Fall helfen finanzielle Boni, im zweiten nicht. Hier gilt eher das Prinzip: einer für alle, alle für einen. Das kann sich auf bereitwilliges Tauschen von Diensten ohne zu murren beziehen oder auf die Übernahme von Arbeiten, für die man „offiziell“ nicht zuständig ist. Manchmal ergibt es sich, dass eine PTA oder Approbierte an einem Tag nicht so viel zu tun hat und anderen unter die Arme greift, die gerade besonders im Stress sind.
- Den Menschen als soziales Wesen verstehen: Nutzen Sie die natürlich vorhandene Kooperationsbereitschaft, indem Sie fair und wertschätzend führen und Emotionen ernst nehmen. Richten Sie sich also nach dem Homo reciprocans statt nach dem Homo oeconomicus aus. Dadurch entsteht emotionale Zufriedenheit, die Angestellten geben gerne etwas zurück, Sie als Arbeitgeber bekommen sozusagen Boni in Form von besonderem Einsatz.
- Stärken Sie Ihre Fähigkeit zur Zufriedenheit: Wenn Sie grundsätzlich davon ausgehen, dass etwas noch nicht gut genug ist, bleiben Sie ewig unzufrieden. Das ist energieraubend, frustrierend und ungesund dazu. Richten Sie sich an den Ergebnissen der Forschung aus. Auf lange Sicht ist es auch für die Apotheke gesünder, wenn Sie selbst so an sich arbeiten, dass Sie glücklicher und zufriedener sind.
Große Wirtschaftsbetriebe richten sich bei der Mitarbeiterführung längst nach gesundheitlichen Parametern körperlicher und psychischer Art aus. Als Kleinbetrieb, der sich im Umgang mit dem Kunden auch als Dienstleister sieht, können wir davon lernen. Das sollte nicht aus Berechnung geschehen, sondern ganz einfach, weil es allen guttut.
Buch-Tipp
Dan Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts. Warum wir immer wieder ungünstige Entscheidungen treffen. Droemer Knaur. 2010. 10,99€
zu beziehen über den Deutschen Apotheker Verlag (Telefon: 0711/2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E‑Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de)
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2014; 39(15):8-8