Lieferfähigkeit

Warenbewirtschaftung mit Vorausblick


Karin Wahl

Die mangelnde Lieferfähigkeit in den Apotheken ist ein Dauerbrenner und ein großes Ärgernis sowohl für die Teams als auch für die Kunden. Dabei muss man zwischen der beeinflussbaren, also selbst verschuldeten, und der unverschuldeten Nicht-Lieferfähigkeit unterscheiden.

Zahlreiche Kundenbefragungen erbrachten als Ergebnis, dass den Kunden die Lieferfähigkeit einer Apotheke noch wichtiger ist als die Freundlichkeit des Personals. Das will etwas heißen, wo doch Freundlichkeit, Kundenorientierung und Service bei allen Personalschulungen immer wieder als Faktor Nummer 1 für den Erfolg der Apotheke dargestellt werden.

Aber was nützt dem Kunden die freundlichste Bedienung, wenn er für sein Medikament regelmäßig zweimal in die Apotheke kommen muss? Der Kunde will seine Medikamente sofort! Die nur zweitbeste Lösung ist der für die Apotheke kosten- und personalaufwendige Botendienst. Denn der Kunde muss dann zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein und auf die Lieferung warten, da die Abgabe beim Nachbarn nicht infrage kommt. Arzneimittel sind etwas sehr Persönliches und gehen den „neugierigen Nachbarn“ nichts an – besonders, wenn das Medikament so verpackt ist, dass man es erkennen kann. Vielen Kunden ist es zudem unangenehm, wenn jemand zu ihnen nach Hause kommt, und sie fühlen sich auch noch verpflichtet, dem Boten „Trinkgeld“ zu geben.

Somit ist die Aussage „Wenn wir etwas nicht da haben, dann bringen wir das dem Kunden“, eine Möglichkeit, aber es sollte die Ausnahme bleiben. Schon um sich nicht in den ganzen Vorschriften der Apothekenbetriebsordnung zu Person und Qualifikation des Boten zu verheddern.

Wenn, wie so oft, der Hersteller dank der Segnungen der globalisierten Welt und der Lieferwege rund um den Erdball wochenlang „defekt“ und manchmal nicht einmal ein Ersatzpräparat zu bekommen ist, sind nicht die Apotheken die Schuldigen. Schuld sind die politisch Verantwortlichen, die immer mehr Dumpingverträge aushandeln. Das soll an dieser Stelle nicht vertieft werden.

Hier geht es um die Optimierung der Lieferfähigkeit von Präparaten mit hohen Einkaufspreisen sowie von seltenen, aber regelmäßig vorkommenden Präparaten. Ebenso geht es um die Erfassung von Nein-Verkäufen, auch Leer-Verkäufe genannt, für neu auf dem Markt befindliche Produkte sowie Medikamente, die der benachbarte Arzt seit Kurzem „in der Feder“ hat. Die Apotheken- EDV ist leistungsstark und kann bei allen diesen Problemen helfen.

Nein-Verkäufe unbedingterfassen!

Zuerst zu den Nein-Verkäufen. Löst ein Patient sein Rezept nicht ein, weil die Apotheke den Artikel nicht da hat, ist dieser Artikel sofort als Nein-Verkauf am Kassenterminal zu kennzeichnen. Je mehr HV-Kräfte eine Apotheke hat, umso wichtiger ist diese Vorgehensweise! Ein Beispiel: Die Augenarztpraxis im Haus wechselt plötzlich zu einem anderen antibiotischen Präparat, das günstiger ist als das, was seither verordnet wurde. Die Apotheke hat sechs Bediener, jeder erhält an ein und demselben Vormittag ein solches Rezept, keiner macht einen Nein-Verkauf. Der eine bietet die Bestellung der Ware an, der andere liefert als Akutversorgung die vorhandenen Augentropfen, je nach pharmazeutischem Engagement.

Das Präparat hätte also sechsmal beliefert werden können, aber da es bei jedem Bediener nur einmal vorkam und in der Hektik kein Dialog stattfand, wird dieses Produkt nicht an Lager gelegt. Manchmal dauert es Tage, bis man das Problem erkennt.

Wäre der Button „Nein-Verkauf“ konsequent gedrückt worden und hätte die aufmerksame PKA in einem ruhigen Moment sich die Liste „Nein-Verkäufe“ aufgerufen, wäre das Produkt spätestens beim dritten Nein-Verkauf als Novität an Lager gelegt worden. Man wäre somit schnell lieferfähig gewesen, hätte beim Kunden einen guten Eindruck gemacht und den Umsatz nicht verloren in den Fällen, in denen der Patient das Präparat sofort will und das Rezept wieder mitnimmt.

Es ist eine Frage der Führung und der Organisation, dieses Drücken des Buttons „Nein-Verkauf“ in der Apotheke durchzusetzen und den Mitarbeitern den Nutzen der Maßnahme vor Augen zu führen. Denn noch einmal: Was nützt das freundlichste „Haben wir leider nicht da, müssen wir bestellen!“, wenn der Kunde das Medikament schnell will und braucht?

Die Überwachung der Nein-Verkäufe ist eine Aufgabe für das Backoffice. Dabei muss eine erfahrene Kraft schnell abschätzen, was sinnvollerweise als Novität hergelegt wird. Kriterien hierfür sind, dass es für verschiedene Kunden und möglichst vom Verordner im Haus oder von vielen Verordnern verschrieben wird. Zudem müssen alle Novitäten nach Gängigkeit über die Routinelisten in der Apotheke beobachtet werden, um etwas schnell wieder aussortieren zu können, wenn es nur eine kurzfristige „Trendverordnung“ war.

Medikamente für einzelneStammkunden

Nun zu den Präparaten, die lediglich eine Person erhält. Viele Apotheken legen für einzelne Stammkunden Präparate her, die nur diese verordnet bekommen. Der Kunde ist hocherfreut. Leider wird dabei häufig Folgendes nicht beachtet: Zuerst bekommt der Kunde fünfmal die N2 verschrieben. Diese Packung ist nun Lagerartikel. Nach einiger Zeit wechselt der Kunde plötzlich zur N3, da das Präparat gut vertragen wird und dies wirtschaftlicher ist. Die N2 liegt wie „Blei“ und wird somit zum Langsamdreher, wenn nicht ein aufmerksamer Mitarbeiter das Problem bei der monatlichen Erstellung der Gängigkeitslisten erkennt. Noch besser ist es natürlich, wenn dem Bediener das Problem sofort auffällt, die N2 ausgemustert und die N3 hergelegt wird. Dabei sind die Fristen für die kostenlosen Retouren beim Großhandel zu beachten.

Erhält der Kunde gar nach einiger Zeit auch noch eine andere Stärke des Medikaments und keiner merkt etwas, hat man im schlechtesten Fall drei Packungen an Lager, die niemand mehr verschrieben bekommt. So entstehen häufig absolut unnötige Verluste, die sich heute keine Apotheke mehr leisten kann!

Eine große Herausforderung stellen sehr teure Präparate für Krebspatienten, MS- und HIV-Patienten, Hepatitis-C-Patienten etc. dar. Aber auch dafür gibt es eine Lösung. Da man die Abverkäufe (hoffentlich) unter dem Kundenkonto abspeichert, weiß man, wann die Medikamente zuletzt verordnet wurden und kennt deren Reichweite. Somit lässt sich im Kalender im Backoffice eine Notiz hinterlegen: „Präparat X für Herrn Müller wieder am 8. Januar 2015 abklären.“

Man ruft den Patienten dann kurz davor an und fragt, ob er das Arzneimittel weiterhin gut verträgt und wieder verordnet bekommt. Falls ja, bietet man an, es für ihn zu bestellen, damit er es mit dem Rezept sofort erhält.

Dieses Vorgehen hat mehrere positive Aspekte: Der Kunde fühlt sich geschmeichelt, dass man sich so um ihn kümmert und bemüht (Kundenorientierung). Und der Chef ist glücklich, weil die Bestellung des sehr teuren Präparates dann auch in denselben Erstattungszeitraum fällt und er es nicht zwischenfinanzieren muss (Wirtschaftlichkeit), was vielen kleinen Apotheken heutzutage immer schwerer fällt.

Unabhängig von der Größe und der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Apotheke sieht man, dass durch eine gute Organisation eine gezielte Lieferfähigkeit erreicht werden kann, die als Folge nicht nur erhöhte Umsätze und Einnahmen hat, sondern auch ganz besonders zufriedene Kunden.

Dabei bleiben die für den Kunden bestellten Präparate nur kurz in der Apotheke, haben zudem noch den Charme, ganz topaktuelle Haltbarkeitsdaten zu haben, und belasten weder das Warenlager noch das Girokonto!

Da selbst große Apotheken in der Regel nicht mehr als 15 Stammkunden haben mit solch ausgefallener, teurer Medikation, ist die logistische Überwachung durch einen Mitarbeiter im Backoffice eine gut leistbare Aufgabe. Im Gegenzug führt das Ganze nicht nur zu einem Imagegewinn für die Apotheke, sondern schützt auch vor Verlusten durch nicht rückgabefähige Packungen.

Der Spruch „Alles nur eine Frage der Organisation!“ trifft ganz besonders auf den Bereich Ware und Lieferfähigkeit in der Apotheke zu. Und dass man zusätzlich freundlich und kundenorientiert handelt, ist ja selbstverständlich!

Karin Wahl, Fachapothekerin für Offizinpharmazie, Unternehmensberatung e.K., 70195 Stuttgart, E-Mail: karin.wahl@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2014; 39(24):9-9