Prof. Dr. Reinhard Herzog
In der Tat macht die Arbeit in den Apotheken immer weniger Spaß, wofür überbordende Bürokratie und Regulierungsdichte sicher die Hauptverantwortung tragen. Einerseits bieten sich angesichts der Produktvielfalt und einer förmlichen Wissensexplosion in den „Life Sciences“ so viele Möglichkeiten wie nie, andererseits wird das System mehr und mehr unter einer Komplexitäts- und Misstrauenslawine begraben. Begleitet wird dies von explodierenden Kosten für Spezial- und Hightech-Therapien – nicht jedoch in der Breite der Standardtherapien, wo die Pfennigfuchserei grassiert. Ein konsensfähiger Ausweg aus diesem Dilemma ist nicht absehbar.
Da liegt es nahe, sich einen eigenen „Exit“, zumindest aber einen entlastenden „Seitenausgang“ zu schaffen, um sich vom politik- und kassengesteuerten Gesundheitssystem etwas oder gar ganz zu emanzipieren.
Doch bietet das bestehende System seine Vorzüge und Schutz, den man in der „freien Wirtschaft“ und Einzelhandelslandschaft vergeblich sucht. Das will sorgfältig abgewogen sein, und die meisten heute vorherrschenden Abstecher in Nachbarbranchen erweisen sich unter dem Strich als veritable „Groschengräber“, die letztlich doch wieder von der Apotheke teils kräftig subventioniert werden müssen.
Vergessen Sie nicht: Allem Wehklagen zum Trotz erwirtschaftet die Durchschnittsapotheke rund 35 € bis 40 € Nettoumsatz je Kundenbesuch und daraus einen Rohertrag von 9 € bis 10 €. Pro Stunde kann eine HV-Kraft ohne Weiteres um die 100 € Rohertrag erzielen. Das setzt gerade im Einzelhandels- und Dienstleistervergleich schon beachtliche „Duftmarken“. Somit stellen sich grundsätzliche Fragen:
- Soll der Ausflug in andere Branchen nur ein Zusatzeinkommen einbringen oder strategische Vorteile generieren (z.B. Angebotsabrundung, Sicherung der Marktführerschaft, Belebung der Apotheke), mit der Apotheke weiterhin als Zentrum?
- Soll dieses Nebengeschäft das langfristige Potenzial zum späteren Hauptberuf haben?
- Möchten Sie von vornherein noch einmal etwas ganz anderes starten und suchen Sie nach einer tragfähigen unternehmerischen Alternativexistenz? Wollen Sie gar ein geliebtes Hobby zum Beruf machen, die Lebensqualität und Freude an der Arbeit in den Mittelpunkt rücken, selbst unter Inkaufnahme materieller Rückschritte?
- Wechseln Sie quasi „nur das Hemd“, indem Sie z.B. mit einem Sanitätshaus oder Pflegedienst weiter von Krankenkassen und Politik abhängig bleiben, oder versuchen Sie sich tatsächlich auf dem „freien Markt“?
Dabei sollten Sie einige Fakten bedenken. So taugen viele Einzelhandelsgeschäfte heute allenfalls für eine bescheidene selbstausbeuterische Einzelexistenz – und werden deshalb oftmals aufgegeben. Gute Konzepte rechnen sich in der Multiplikation vieler Einzelläden, sprich in Form mehr oder weniger großer Ketten. Selbst ehemals krisensichere Branchen wie Bäcker, Metzger oder Reformhäuser sind mittlerweile meist nur noch zumindest als „Kleinketten“ erfolgreich. Auch setzt der Internethandel aufgrund der dortigen Preistransparenz vielen Branchen deutlich stärker zu als den Apotheken.
Weiterhin sind gute Standorte allseits umkämpft. Die vielen Kleinunternehmer träumen nicht alle vor sich hin, sondern sind ebenfalls ideenreich und kreativ. Das bedeutet, dass Sie, sofern Sie nicht etwas völlig Neues im Köcher haben, in wettbewerbsintensive, gut besetzte Märkte vorstoßen, in denen die Ansprüche an Einkommen und Arbeitsbedingungen, den Ausbildungsvoraussetzungen angepasst, oft viel niedrigere sind.
Höhere Margen relativieren sich zudem durch die absoluten Umsätze. Was nützen „luxuriöse“ 45 % Spanne, wenn nur 250.000 € Nettoumsatz im Jahr dahinterstehen (=112.500 € Rohertrag, von dem alle Kosten abgehen)? Und das bedeutet immerhin rund 1.000 € brutto Tag für Tag in der Kasse – bei einem kleinteiligen Geschäft mit Euro- und Centartikeln will das erst mal erreicht sein!
Wie Sie die Lage analysieren können, sei beispielhaft an einem Kosmetiksalon als typische Zusatzeinnahme illustriert.
Rechtliches: Wie sehen die Zugangsvoraussetzungen aus, besteht z.B. Meisterpflicht (Kosmetiker/in: nein als handwerksähnliches Gewerbe), inwieweit ist Fremdbesitz und Einflussnahme auf die Geschäftsführung möglich? Welche Behörde genehmigt und überwacht was und wie, Thema Haftpflicht? Welche Gesellschaftsformen kommen infrage, mit interessanten Gestaltungsperspektiven (z.B. GmbH)?
Marktpotenzial und Konkurrenzlage vor Ort: Bundesweit verzeichnet das Register des Zentralverbandes des deutschen Handwerks (ZDH) rund 48.000 Kosmetikinstitute – eines auf 1.700 Einwohner. In letzter Zeit machen Jahr für Jahr rund 5.000 bis 6.000 Studios neu auf und 4.000 bis 5.000 schließen; unter dem Strich kommen rund 1.000 p.a. neu dazu. Das illustriert die Dynamik und das Unternehmerrisiko. Daher ist die Vor-Ort-Situation zu untersuchen: Was wird wo auf welchem Niveau zu welchen Preisen angeboten, tun sich noch Chancen auf?
Angebotspolitik: Machen Sie sich schlau, finden Sie sich in die Branche ein! Studieren Sie führende Fachzeitschriften und besuchen Sie Branchenmessen (z.B. die Zeitschrift KOSMETIK international und die COSMETICA-Messen in verschiedenen Großstädten). Begehen Sie nicht den Fehler, sich nur auf apothekenexklusive Produkte zu fixieren, sondern setzen Sie auf die aktuell gefragtesten und besten – der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler! Wenn Sie sich ein wenig in das Thema vertiefen, werden Sie feststellen, dass es viel facettenreicher ist, als Sie dies bisher vom Apothekentresen aus kannten.
Bedenken Sie, dass die Beschaffungswege und Einkaufsquellen sich teilweise deutlich von denen in der Apotheke unterscheiden. Sie müssen sich ganz anders um herausragende Produkte und Angebote kümmern. Vieles ist zudem kurzlebig und folgt teils saisonalen Modetrends.
Unternehmerische Aspekte
Hier sollen nur in aller Kürze die wichtigsten Punkte angerissen werden.
Geeignetes Ladenlokal: Hinsichtlich Ambiente und Standortfaktoren liegt die Messlatte oft hoch, schauen Sie auf die Konkurrenz! Begehen Sie nicht den Fehler, eine „verstaubte Hinterhofbude“, womöglich die eigene, noch rentabel machen zu wollen. Das klappt angesichts besserer Angebote vor Ort meist nicht.
Investitionsrahmen: Das kann bei einem modernen Kosmetikstudio mit schickem Ambiente sowie guter Geräteausstattung (von der Enthaarung über Dermabrasion bis hin zu Testgeräten, dazu hochwertige Behandlungsstühle) durchaus beachtlich sein. Andererseits sollten Sie hier nicht am falschen Ende sparen, denn entweder Sie erlangen eine echte lokale Marktbedeutung oder aber das Projekt wird nie zu einem nennenswerten Ertragsbringer werden.
Angebotsumfang: die Königsdisziplin! Womit können Sie punkten? Welche Verfahren können Sie offerieren, die es vor Ort nicht gibt, und welche innovativen Produkte mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis? Und: Wie machen Sie das publik (die Apothekenkunden sollten nur die Ankerkundschaft sein)?
Achillesferse Personal: Zwar gibt es in Modeberufen wie Kosmetiker/in reichlich Personal – aber auch qualifiziertes und solches, auf das Sie länger und zuverlässig bauen können? Warum sollen die wirklichen „Perlen“ (mit guten Chancen in eigener Selbstständigkeit) ausgerechnet für Sie arbeiten? Achten Sie auf Fallen wie z.B. die Scheinselbstständigkeit bei Freelancer- und Honorarverträgen. Eine gute Idee ist, eigenes bewährtes Personal durch Zusatzausbildungen heranzuziehen – das verlangt aber nach langem Atem.
Rentabilitätsschätzung: Typischerweise werden für klassische Kosmetikbehandlungen (dauern meist 60 bis 90 Minuten) etwa 40 € bis 60 € pro Stunde mit Mehrwertsteuer (19 %!) und Verbrauchsmaterial erlöst, in Exklusiv- und Spezialsegmenten (ist dafür Kundschaft vorhanden?) deutlich mehr. Eine gute Kosmetikerin können Sie mit rund 20 € je Stunde zu Vollkosten ansetzen, Spitzenkräfte höher. Der daraus ableitbare wirtschaftliche Umriss ist in der nachfolgenden Tabelle beispielhaft dargestellt.
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Diese Rechnung (mit bereits erstaunlich vielen erforderlichen Stunden, eine Kraft kann das alles gar nicht tragen!) funktioniert zudem nur bei hoher Auslastung, Leerlaufzeiten drücken das Ergebnis drastisch. Somit ist der flexible Personaleinsatz (Honorarbasis mit Erfolgsbeteiligung?) der Königsweg.
Vom analytischen Ansatz her ganz ähnlich sollten Sie bei anderen Ideen auch vorgehen, als da gerne wären:
- Sanitätshaus;
- Pflegedienst (größtes Problem: Personal; die meisten Pflegedienste versorgen übrigens nur wenige Dutzend Leute und sind abhängig von Pflegekassen und Politik);
- gesunde Ernährung, Bio-, Reformhauswelle, Tee-, Natur-, Esoterikladen (aber Achtung! Hier mehr als 1.000 € täglich in die Kasse zu bekommen, ist vielerorts eine echte „Challenge“...);
- auf dem Land: „Convenience-Shop“, Ersatz für Drogerie und Reformhaus, einschließlich Postagentur, Toto-Lotto etc.;
- auf der Dienstleistungsebene: professionelle Ernährungsberatung, „Lebenshilfe“ aller Art in separater Praxis.
Etwas ganz anderes?
Den Pharmazeuten stehen als naturwissenschaftlichen Generalisten viele Betätigungsmöglichkeiten offen: der riesige Lebensmittelsektor, Medizintechnik und Hilfsmittel, Wellness und Körperpflege sowie die Dienstleistungen rund um „Life Sciences“ und Lebensberatung – bis hin zur eigenen Praxis als Heilpraktiker oder Coach, was dem Wunsch nach einem beratenden Lebens- oder Heilberuf am nächsten käme. Sie müssen es nur verstehen, sich Ihre naturwissenschaftlichen Fähigkeiten, den Blick für die Menschen und ein breites Interesse zu erhalten und über den Tellerrand von Rabattverträgen und Fantaschalen hinaus zu denken. Zudem dürfen Sie nicht in einen Wettbewerb eintreten, in dem die Messlatten hinsichtlich der Einkommenserwartungen und ggf. des nötigen Startkapitals komplett anders liegen.
Wer aber ein profundes wirtschaftliches Verständnis und Managementqualitäten mitbringt, kann durchaus andernorts unternehmerisch erfolgreich sein. Obgleich die Unzufriedenheit mit dem Apothekerdasein inzwischen hoch zu sein scheint, ist die interdisziplinäre Mobilität bislang sehr gering. Anders als in anderen Berufen, wo Umorientierungen oftmals durch den Wandel der Arbeitswelt erzwungen werden, vertraut man hier lieber auf Standesvertretungen und die Politik.
Das könnte sich auf lange Sicht als trügerisch herausstellen, denn der technisch-wissenschaftliche Fortschritt macht auch vor Apotheken nicht halt. Wer nicht zukunftsfähig aufgestellt ist (und dies nicht ändern kann), immer mehr in einen Zustand der Dauerunzufriedenheit abgleitet, gleichzeitig aber noch von Tatendrang und Kreativität beseelt ist, dem sei ans Herz gelegt, ohne Eile über wirkliche Alternativen nachzudenken.
Zwar bedeutet das ein Verlassen der Komfortzone, die jedoch absehbar keine mehr ist. Deshalb starten Sie etwas Neues lieber noch aus einer Position der relativen Stärke, bevor die Lebensjahre dahinplätschern.
Indes: Große Veränderungen beinhalten immer Risiken, aber eben auch Chancen, die man sich deshalb sehr sorgfältig ausrechnen sollte. Andernfalls heißt es lieber: Schuster, bleib bei Deinem Leisten, oder: Apotheker, bleib bei Deinen Medikamenten!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(02):4-4