Prof. Dr. Reinhard Herzog
Der Umgang mit der kostbaren Ressource Zeit ist nicht nur im täglichen Betriebsablauf eine Herausforderung. In unserer komplexen und regulierten Lebensrealität werden wir in immer mehr Korsetts gepresst oder stülpen sie uns gar selbst über. Meist bedeutet dies, Fristen, Laufzeiten und „Zeitfenster“ zu beachten. Ob Kredit, Leasingvertrag, Kündigungsfrist: Wer nicht achtgibt, gerät rasch unter Zugzwang oder versäumt etwas.
Die Praxis zeigt, dass viele Kollegen nicht wissen, wann selbst höchst betriebsbedeutsame Verträge enden (wie Miet-, EDV- oder Kreditverträge), wann relevante Abschreibungen auslaufen (mit der Konsequenz, dass man sich dann „aus steuerlichen Gründen“ eine unüberlegte Investition aufdrücken lässt) oder wie man sich im Fristendschungel des Arbeitsrechts teuer verirren kann. In der Folge regiert dann oft Kopflosigkeit, werden überhastet Anschlussverträge und Verlängerungen eingegangen, weil die „Deadline“ nur noch wenige Tage entfernt ist. Dabei hätte man das meiste Jahre (!) vorher auf den Tag genau wissen können.
Denn typischerweise liegen die Fakten auf dem Tisch, und das gerade hier in aller Regel sehr eindeutig. Vieles ist gesetzlich geregelt oder ergibt sich aus den geschlossenen Verträgen. Es ist also in erster Linie eine Frage der Organisation und Disziplin, den Überblick zu behalten und sich dann frühzeitig mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen.
Werkzeuge
Um den Überblick zu behalten, sind folgende Werkzeuge und Methoden hilfreich:
- Ein Langfrist-Zeitplan mit monatsgenauer Zeitleiste eignet sich bestens, um Dinge wie Kredite, Abschreibungen oder länger laufende Verträge aller Art „auf dem Schirm“ zu behalten, desgleichen wichtige Fixdaten. Für unsere Leser steht eine Excel-Mappe zum Download bereit (siehe Info-Kasten am Textende).
- Jeder zeitrelevante Vorgang erhält einen „Zeitstempel“ in Analogie zum Liefer- und Verfalldatum Ihrer Waren. Auf Papier ist das recht einfach: Der Eingangsstempel wird ergänzt um die Eintragungen „Fristsache – zu erledigen bis...“ und „Ablaufdatum... – Wiedervorlage zwecks Anschlussentscheid zum...“. Bei Rechnungen kann dies analog erfolgen: „Geliefert am..., Abnahme erfolgt ja/nein/mit Beanstandungen, Zahlung in Höhe von... angewiesen zum...“
Viele Banking-Programme erlauben die Verwaltung von Zahlungsterminen, relevant u.a. für Valutaaufträge oder feststehende Steuertermine. Bequem, gleichwohl stets überwachungsbedürftig ist die Einzugserlaubnis für Lieferanten und Behörden.
Auf längere Sicht werden das „intelligente“ (und nicht nur archivierende) elektronische Dokumenten-Management und die EDV-gestützte Ablauf- und Prozessorganisation unter Einhaltung aller relevanten Fristen („Workflow-Management“) den Apothekenalltag aufgrund der hohen Komplexität sicher entscheidend prägen. Hier stehen wir noch ziemlich am Anfang.
Schauen wir nun auf die Bereiche, die Sie unbedingt im Auge behalten sollten, um rechtzeitig über Verlängerungen, Anschlussinvestitionen, steuerliche Optimierungen oder Vertragsverhandlungen entscheiden zu können.
Kapitalkosten
Kredite und Abschreibungen stellen große Brocken in der Apotheken-Finanzplanung dar. Der informierte Unternehmer weiß daher ganz genau,...
- ...wann welcher Kredit ausläuft. Die Folgen davon: wegfallende Tilgungen und Zinszahlungen. Das bedeutet einen höheren finanziellen Spielraum, aber auch etwas höhere Steuern im Gefolge wegfallender Betriebsausgaben (Zinsen).
- ...wann welche Abschreibungen auslaufen, zumindest die bedeutsamen auf größere Investitionen wie den Geschäftswert bei Übernahme, die Einrichtung, den Kommissionierautomaten, die EDV oder auch betrieblich veranlasste Immobilien-Abschreibungen. Folge: Hier fallen nur kalkulatorische, steuermindernde Kosten weg, somit steigen der Gewinn und die Steuerbelastung. Sie haben unter dem Strich weniger netto übrig! Eine auslaufende AfA von 10.000€ jährlich kann also fast 5.000€ Nettoeinbuße bedeuten, was aber jetzt kein Anlass sein sollte, „auf Teufel komm raus“ in irgend etwas Sinnfreies zu investieren.
Diese Kapitalkosten können Sie recht leicht im Blick behalten: Die Zahl der Kredite und bedeutsamen Abschreibungen dürfte überschaubar sein. Dabei kommt die erwähnte Langfrist-Zeitleiste mit Unterteilung in Jahre und Monate zwecks Visualisierung vorteilhaft zum Einsatz.
Verträge
Hier kann es unübersichtlicher werden angesichts des Wustes an Verträgen mit teils langfristiger Bindewirkung, die sich im Laufe der Jahre ansammeln. Sortieren Sie nach Relevanz:
- Ganz oben finden sich Ihre Mietverträge. Ohne Mietvertrag stehen Sie ziemlich dumm da – bis hin zu existenziellen Konsequenzen! Merken Sie sich also das jeweilige Ablaufdatum, aber auch den Termin zur Ziehung von Optionen bzw. Kündigungstermine vor. Diese liegen oft ein halbes oder gar ganzes Jahr vor dem regulären Ablauf!
- Dann kommen die „Klassiker“: EDV-System (Leasing, Miete, Wartungs- und Pflegeverträge für Hard- und Software), ggf. Kommissionierautomat und weitere Leasingverträge (Pkw, Geräte aller Art bis hin zur Einrichtung), Telekommunikationsanlagen und Mobilfunkverträge, technische Wartungsverträge etc.
- Viele Apotheken stecken in manch sonstigen Verträgen, z.B. für verschiedenste Dienstleistungenoder Werbeverträge in Einkaufszentren. Da diese teilweise deutlich dreistellige Monatsbeträge umfassen können, gehören sie auf die Überwachungsliste.
Umgekehrt sind Sie auch in der Rolle des Lieferanten und haben z.B. selbst mit Heimen Liefer- und Betreuungsverträge abgeschlossen. In aller Regel sind diese so wichtig, dass sie ebenfalls mit den entscheidenden Vertragsbedingungen erfasst und terminlich nachverfolgt gehören.
Betriebsinterne Organisation
Betriebsintern tobt heute ein regelrechter Fristenwahn. Das fängt bei den noch recht einfach handhab- bzw. delegierbaren Terminen für die jeweiligen Steuer(voraus)zahlungen sowie den ganzen Zahlungsverkehr an und geht über Petitessen wie Eichfristen bis hin zu bisweilen selbst angelegten Fristenfesseln im Rahmen Ihres QMS wie Rezertifizierung, Updates und Aktualisierungen.
Bedenken Sie auch Dinge wie Einspruchsfristen. Kommt eine Retaxation, eine Abrechnung oder ein Steuerbescheid, dann wenden Sie die „Zeitstempel-Technik“ an. Prüfen Sie in einem festgelegten Zeitfenster (oder lassen Sie prüfen...), ob Sie den Entscheid akzeptieren oder Widerspruch im Rahmen sehr unterschiedlicher „Deadlines“ dagegen einlegen möchten. In der Tat ist hier oftmals taggenau „der Zug abgefahren“, wenn Sie nicht achtgeben.
Aufbewahrungsfristen sind ein Dauerthema für sich, zumal zwischen steuer-, handels- und apotheken-/arzneimittelrechtlichen Zeiträumen zu unterscheiden ist. Als Faustregel gilt, dass Sie mit zehn Jahren (beginnend mit dem Ablauf des Jahres, in dem das Dokument ausgefertigt und zugestellt wurde) meist auf der sicheren Seite sind. Bei Verträgen (Beispiel: Mietvertrag) beginnt diese Frist erst mit Ablauf des Vertrages zu laufen! Für allgemeine geschäftliche Belange geben u.a. die Internetseiten der Handelskammern Auskunft (z.B. www.hk24.de). Gerade für Apotheken gibt es jedoch prominente Ausnahmen nach oben von der Zehnjahresfrist: Zum einen die Dokumentationen nach dem Transfusionsgesetz (z.B. Blutprodukte; mindestens 30 Jahre nach letzter Eintragung), zum anderen das Verzeichnis von Mitarbeitern, die mit den „CMR-Gefahrstoffen“ (krebserregend, mutagen, reproduktionstoxisch) arbeiten, hier gelten gar 40 Jahre. Ansonsten ist man apothekenrechtlich meist mit der Fünfjahresfrist „gut bedient“, wobei zusätzlich ggf. ein Jahr „Reserve“ nach einem eventuellen Verfalldatum eingeplant werden muss (z.B. Herstellprotokolle). Vielfach richten sich die Aufbewahrungszeiträume nach der letzten Eintragung (z.B. in ein BtM-Verzeichnis).
Während dies in Papierform auch mit großzügiger zeitlicher Sicherheitsmarge kein Problem sein sollte, solange es noch Keller und Lagerräume gibt, kann es mit der Elektronik schon schwieriger werden. So vereitelt womöglich eine grundlegende Systemumstellung – erst recht mit einem anderen Anbieter – den Zugriff auf frühere elektronische Archive. Hier gilt es heute nicht zuletzt im Hinblick auf steuerliche Betriebsprüfungen genau hinzuschauen, um die dokumentarische Kontinuität zu sichern.
Bedenken Sie zudem Fälle wie einen Betriebsverkauf (was müssen Sie als Verkäufer behalten, was als Käufer übernehmen, was sollten beide, einer in Kopie, haben?) oder die Betriebsaufgabe. Selbst diese bewahrt Sie nicht davor, viele Unterlagen noch für Jahre weiter aufzubewahren, was unter Umständen räumlich problematisch wird (z.B. bei Übersiedlung in ein Seniorenheim). Diese Pflicht kann sogar auf die Erben übergehen! Doch hier gibt es Dienstleister, die die Archivierung zu ihrem Geschäft gemacht haben – eine Internetsuche mit den Begriffen Archivierung, Outsourcing und Dokumentenauslagerung hilft weiter.
Bereich Personal
Personalwesen und Arbeitsrecht strotzen vor Fristen aller Art. Kündigungsfristen fallen als erstes ins Auge und sollten stets mit realistischen Such- und Einarbeitungszeiten für eventuellen Ersatz abgeglichen werden. Aber auch Mutterschutz (keine Beschäftigung sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt, zwölf Wochen bei Früh- bzw. Mehrlingsgeburten) oder Elternzeiten (drei Jahre, von denen bei ab 1. Juli 2015 geborenen Kindern bis zu zwei Jahre ohne Zustimmung des Arbeitgebers zwischen dem dritten und achten Geburtstag des Kindes genommen werden können) stellen heute die Apotheke vor planerische Herausforderungen. Hier hilft wieder die Zeitleisten-Technik, wann wer weg oder nur teilzeittätig ist bzw. wieder für die Rückkehr eingeplant werden muss, inklusive ggf. erforderlicher Elternzeit-/Mutterschaftsvertretungen.
Abseits dieser starren gesetzlichen Zeitkorridore ist es sinnvoll, mitarbeiterindividuell Dinge wie allgemeine Einlernfristen bei Neueinstellung, Einarbeitungszeiten in neue Arbeitsgebiete, längere Weiterbildungszeiten, Arbeitserfahrung in einzelnen Spezialgebieten usw. (neben den Klassikern Urlaub und Krankheit) in einem ausführlichen Personaltableau zu hinterlegen. Eine solche Übersicht macht sich gerade in größeren Betrieben schnell bezahlt.
Strategisch-taktische Fristsetzungen
Abschließend erwähnt sei, dass Fristsetzungen und das Aufstellen von „Deadlines“, nach deren Überschreitung „die Akte geschlossen“ wird, eine erhebliche strategische Bedeutung entfalten können. Denken Sie nur an den Kauf oder Verkauf einer Apotheke. Mit kluger Terminsetzung beschleunigen Sie den Prozess in Ihrem Sinne und gestalten ihn effizienter, Sie können zudem die richtige Dosis an Spannung aufbauen. Umgekehrt steuert ein unangemessener Umgang mit der Ressource Zeit (sowohl durch zu viel Druckaufbau als auch durch endloses Laisser-faire) die Verhandlungen mit hoher Sicherheit ins Aus.
Ähnliches gilt im Umgang mit Mitarbeitern oder Bewerbern: Ein zu enges Zeitkorsett schnürt so stark ein, dass es Gegenreaktionen verschiedenster Art gibt (oft nicht zu Ihrem Vorteil), zu „lange Leine“ beeinträchtigt die Effektivität und Entscheidungsfreude – Sie als Chef kommen nicht auf den Punkt, lassen es zu sehr laufen. Bei Bewerbungen ist es sinnvoll, klare Termine bis zur Entscheidung auf beiden Seiten zu setzen (und einzuhalten!).
Sie sehen: Das Thema Fristen und „Timelines“ ist facettenreich. Gehen Sie es an – damit aus einer planbaren „Timeline“ keine„Deadline“ zu Ihrem Nachteil wird...
Arbeitshilfen online
Eine Excel-Mappe mit Arbeitshilfen finden Sie hier.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(11):4-4