Prof. Dr. Reinhard Herzog
Manche Städte sind zu regelrechten Großbaustellen geworden. Stuttgart ist so ein bekannter Fall, und selbst das beschauliche Tübingen, der Wohnort des Autors, ist seit Jahren in steter baulicher Bewegung – nicht nur zur Freude der Anlieger, aber insgesamt doch zum langfristigen Vorteil der Stadt im Ganzen.
Tatsache ist: Deutschland hat sehr lange von seiner infrastrukturellen Substanz gelebt. Viele Nachkriegsbauten haben das Ende ihres Lebenszyklus erreicht. Trotz bereits begonnener Bauaktivitäten haben wir immer noch einen hohen Altbaubestand (siehe Tabelle unten). Dies gilt insbesondere für die neuen Bundesländer: Gut 50% des dortigen Wohngebäudebestandes datieren vor 1950, während dies beispielsweise in Niedersachsen oder Baden-Württemberg nur um 20%, in Bayern gar nur knapp 16% sind. Die Energiewende sowie der mutmaßlich noch anhaltende Trend der Landflucht werden den „Bau- und Sanierungswahn“ ebenfalls befeuern, momentan unterstützt durch rekordniedrige Zinsen. Rund 7 Mio. Wohngebäude stammen aus den Jahren 1949 bis 1979, sind also absehbar zu einem guten Teil erheblich sanierungsbedürftig oder gar Kandidaten für den Abrissbagger, insbesondere wenn man aktuelle bzw. zu erwartende technische und energetische Standards zugrunde legt. Neubau ist dabei alles in allem oft günstiger als eine Komplettsanierung. Auf dem Land lohnt sich dieser Aufwand angesichts der dort niedrigen und eher noch fallenden Immobilienpreise oft gar nicht mehr – hier entsteht noch enormer gesellschaftlicher Sprengstoff.
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Demografische Umkehr?
Möglicherweise kippt jetzt sogar der demografische Trend im Gefolge einer länger anhaltenden, starken Zuwanderung, sodass mit deutlich mehr Menschen mitsamt all ihren Raumbedürfnissen gerechnet werden muss. Doch selbst wenn diese Wellen wieder abflauen: Schon seit einigen Jahren ist ein enormer Prozess der Umgestaltung im Gange. In attraktiven Städten sind ganze Stadtteile neu entstanden, werden Straßenzüge und Quartiere kernsaniert oder gar abgerissen und komplett neu erbaut.
Im Kleinen sehen wir die Sanierung eines Geschäftshauses, eines ehemaligen Kaufhauses, von Wohnblöcken und Verkehrswegen. Innenstädte werden neugestaltet, im Zuge der rasanten Veränderungen im Einzelhandel ist das auch dringend nötig. So rechnet man mit der Aufgabe von einigen zehntausend Einzelhandelsgeschäften in den nächsten fünf Jahren. Mit anderen Worten: Die deutsche Bau- und Städtelandschaft steckt in einem weit größeren Strukturwandel, als es vielen bewusst ist.
Das bleibt nicht ohne Auswirkungen für viele Apotheken. Die Landflucht ist die eine Seite, die andere die „Neusortierung“ der Städtelandschaften. Dabei gibt es durchaus etliche Gewinner, aber auch manch große Verlierer.
Der kluge Unternehmer lässt sich von diesen Entwicklungen nicht überraschen, sondern sieht sie frühzeitig auf sich zukommen und handelt proaktiv.
Informieren!
Größere Bauprojekte kommen nicht über Nacht. Sie werden in der Öffentlichkeit diskutiert, es gibt Planfeststellungsverfahren, Pläne sind bei den Gemeinden einzusehen. Als direkt betroffener „Anlieger“ stehen Ihnen zudem weitergehende Rechte und ggf. Einspruchsmöglichkeiten zu.
Nutzen Sie also die Möglichkeiten, sich frühzeitig über die geplanten Maßnahmen zu informieren. Die entscheidenden Fragen: Wie werden Sie übergangsweise (Bauzeit), wie langfristig (Verschiebung der Standortwertigkeit) betroffen sein? Über eine überschaubare Bauzeit kommt man meist irgendwie hinweg. Wirklich gepunktet wird bei den dauerhaften Veränderungen.
Schon scheinbare Kleinigkeiten, wie die Verlegung eines Fußgängerüberweges oder einer Bushaltestelle, das ständige Thema Parkplätze, ein verkleinerter oder vergrößerter Hauptfrequenzbringer mit womöglich einem neuen Haupteingang an anderer Stelle – all dies kann Sie ganz erheblich treffen, im Positiven wie im Negativen! Oftmals können schon einige Meter hin oder her überraschend viel ausmachen. Das gilt umso mehr, falls eine Konkurrenzapotheke mehr profitiert als Sie.
Im schlimmsten Fall steht die Zukunftsfähigkeit Ihres Standortes an sich auf dem Spiel. Sollte dies so sein: Steigen Sie von diesem „toten Pferd“ so bald wie irgend möglich ab, denn es ist außerordentlich schwer, dauerhaft und dabei noch erfolgreich gegen die Marktkräfte zu agieren!
Bisweilen entstehen aber völlig neue Standortchancen, beispielsweise wenn größere neue Wohnquartiere, Geschäfts- und Einkaufszentren oder gar neue medizinische Zentren entstehen. Hier muss man sehr, sehr frühzeitig seine Fühler geschickt ausstrecken, denn solche Chancen erkennen andere Konkurrenten gerade vor Ort natürlich auch!
Hier schlägt die Stunde der guten Netzwerker und „local heroes“. Der frühe Vogel fängt den Wurm – doch interessanterweise nicht immer den fetten, den er sich erhofft hat.
Das ist die Kehrseite, wenn man sich zu früh quasi auf Verdacht hinweg bindet. Einerseits ist man den Konkurrenten voraus, hat sie ausgebootet. Das geschieht oft bereits in einer sehr frühen Phase, in welcher das Projekt lediglich noch auf dem Reißbrett bzw. auf Computerbildschirmen steht. Nicht selten stehen relevante Ankermieter, Publikumsmagneten oder Praxen aber nur auf einer langen Wunschliste.
Am Ende kommt es doch ganz anders. Gerade in Einkaufszentren oder Ärztehäusern ist dies nicht selten. Die wirklich „sicheren Bänke“ – 7.500 neue Einwohner, eine neue Apotheke mittendrin, typische Einkaufsläden rechts und links, die eine oder andere Arztpraxis – sind absolute Raritäten, künftig vielleicht angesichts überquellender Metropolen etwas zunehmend.
Somit muss häufig eine Standortentscheidung „ins Blaue hinein“ auf wenig belastbarer Datengrundlage getroffen werden. Hier tut man sich entschieden leichter, wenn die Apothekenzukunft nicht nur auf ein oder zwei zentralen Frequenzbringern oder Praxen ruhen soll, sondern das Konzept in sich so schlüssig ist und ein so großes Marktpotenzial verspricht (z.B. aufgrund der Einwohnerzahl oder der Größe und Vielfalt des Centers), dass es auf einen einzelnen Frequenzbringer oder Arzt nicht so sehr ankommt.
Gefahren
Die unmittelbarste Gefahr geht von den Baumaßnahmen an sich aus: Eine Baustelle vor der Tür oder in unmittelbarer Nachbarschaft kann den eigenen Geschäftsbetrieb teils existenziell beeinträchtigen. Manche Sanierungsmaßnahmen ziehen sich sehr in die Länge, bisweilen über Jahre. Ist die eine Seite fertig, kommt die andere dran. Das kann einen Standort in die Knie zwingen.
Deshalb gibt es hier zwei Frontlinien. Zum einen die juristische: Können Sie solche Baumaßnahmen verhindern oder abmildern? Welche Rechte haben Sie im gesamten Verfahren, von der Planungsphase bis zur Abwicklung, und gegen wen können Sie ggf. Ansprüche geltend machen? Steht Ihnen eine Mietminderung zu, kommt es womöglich gar zu einem „Wegfall der Geschäftsgrundlage“, was Ihnen den Ausstieg aus einem Mietvertrag erlauben würde? Diesen Fragen werden wir in einem späteren Beitrag auf den Grund gehen.
Die andere Frontlinie ist das operative Beherrschen der unabwendbaren Situation, insbesondere, wenn Sie aus Ihren Räumlichkeiten nicht herauskönnen oder wollen.
Wie gehen Sie mit 10%, 20% oder gar mehr Umsatzrückgang um? Wie lange müssen Sie sich darauf einstellen? Zwei oder drei Monate sind ohne „Kahlschlag“ bei Personal und Sachkosten überbrückbar, ein oder zwei Jahre meist nicht!
Dazu müssen Sie möglichst rasch eine Vorstellung entwickeln, wie viel Rohertrag (nicht allein Umsatz!) Sie einbüßen. Letztlich sind es vor allem die Personalkosten (neben ggf. einer Mietminderung), die als wirksame, entlastende Stellschraube dienen.
Möglichkeiten sind dann das Vorziehen von Urlauben, temporäre Stundenkürzungen, ggf. sogar Kurzarbeit (Ansprechpartner: Arbeitsagentur), schlimmstenfalls am Ende Entlassungen. Ob Sie zu solch drastischen Mitteln greifen, hängt maßgeblich davon ab, wie Ihre Zukunftsperspektiven nach Abschluss der Baumaßnahmen aussehen.
Wird es voraussichtlich besser, wird man sich hüten, gute Mitarbeiter zu entlassen. In gut funktionierenden Erfa-Gruppen hat es schon erfolgreich praktizierte Modelle gegeben, Personal zu tauschen bzw. temporär in einer befreundeten Apotheke in Teilzeit oder vollumfänglich zu „parken“, wenn dort z.B. wegen Elternzeit ein zeitlich absehbarer, befristeter Bedarf herrscht.
Hier ist auf arbeitsrechtliche Feinheiten zu achten, denn es gibt natürlich etliche Varianten, wie man dies darstellen kann – von „Arbeitnehmerüberlassung“ über eine Änderungskündigung bis hin zur Kündigung, befristeten Einstellung in der befreundeten Apotheke und dann schließlich die Wiedereinstellung.
Kunden besonders pflegen
Machen Sie jedenfalls nicht den Fehler, an den Kunden zu sparen. Wenn diese schon nur unter erschwerten Bedingungen zu Ihnen vordringen können, belohnen Sie sie dafür, und sparen Sie nicht am falschen Ende. Punkten Sie vielmehr durch „Baustellen-Aktionen“ oder auch „Baustellen-Preise“. Durch die Forcierung der Bestellmöglichkeiten per Telefon, E-Mail oder Webseite mit Botendienst können Sie den Frequenzverlust ebenfalls ein wenig abfedern. Tatsache ist: Sie sollten sich nun erst recht rühren und nicht die Baustelle nur passiv durchleiden!
Zur Beherrschung der Lage trägt regelhaft auch ein guter Kontakt zu den jeweiligen Bauherren und der Gemeinde bei. Gibt es Mittel und Wege, die Situation erträglicher zu machen? Räumt man Ihnen doch einen breiteren Zugang ein? Lassen sich Belastungen durch Schmutz, Lärm, Baustellenfahrzeuge, Gerüste etc. mindern? Ist die Gemeinde bereit, Ihnen übergangsweise andere Zufahrtswege oder Interims-Parkmöglichkeiten zu gestatten?
Wer hier vernünftig und konstruktiv mit den Verantwortlichen redet (und nicht gleich stur auf Abwehr schaltet, zumal wenn er die Baumaßnahmen doch nicht verhindern kann), wird gar nicht so selten die Lage spürbar entschärfen können. Flexibilität sowie „kurze Drähte und Dienstwege“ sind gerade in solchen Situationen zum Nutzen aller Beteiligten gefragt!
Sonderfall Centerumbau
Zahlreiche Einkaufscenter der „Nachwendejahre“, viele davon in den neuen Bundesländern, stehen nach 15 und mehr Jahren vor einer grundlegenden Modernisierung und „Revitalisierung“. Der weitsichtige Kaufmann steht auch hier in gutem Kontakt mit seinem Vermieter und dem Centermanagement und hört somit „das Gras wachsen“. Zumal gerade in diesen Frequenzlagen mit niedrigen Bonumsätzen oft gilt: „Grow or leave“!
Idealerweise verbessern Sie sich durch den Umbau. Mindestens aber sollte die Standortwertigkeit – die Lage in der Mall, die Entfernung zu den Hauptmietern, vor allem zu den Lebensmittlern und deren Kassen – gleichwertig bleiben. Andernfalls sollten Sie den Auszug ins Auge fassen. Oft lauern aber Fallstricke in den Mietverträgen, ob Sie Umbauten tolerieren müssen und auch bei einer Verschlechterung nicht so ohne Weiteres herauskommen. Zwar sollte die Centerkundenzahl nach einer Modernisierung wieder steigen, nur muss Ihre dann neue Lage (oder Ihre alte Lage bei veränderten Passantenströmen) teilhaben können. Gerade wenn eine Centerapotheke bereits heute grenzwertig ist, verbieten sich hier angesichts der hohen Fixkosten und langen Öffnungszeiten riskante Experimente.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(18):5-5