Prof. Dr. Reinhard Herzog
VW reichlich halbiert, manche Öl- und Rohstoffwerte durchaus potenter Unternehmen teils über 80% unter Höchstkurs – wen juckt es da nicht in den Fingern? Würden die ehemaligen Kurse nur annähernd wieder erreicht, winken schnell Vervielfachungen des Einsatzes. Das klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht, doch wurden solche Märchen schon Wirklichkeit. Das Gegenteil – weitere Verluste bis zum Totalverlust – freilich auch.
Tatsache ist: Mit „Turn-around“-Spekulationen lassen sich die höchsten Gewinne erzielen. Profis kaufen, „wenn die Kanonen donnern“ und Unternehmen weit unter Wert gehandelt werden, denn die Börse übertreibt bisweilen maßlos in beide Richtungen.
Unterbewertet oder „tot“?
Gleichzeitig gibt es aber viele Marktteilnehmer, die sich so ihre Gedanken machen und nicht alle auf den Kopf gefallen sind. Eine echte massive Unterbewertung wird zumindest bei bekannteren Unternehmen abseits der Nischen alsbald erkannt, und die Bewertung gleicht sich an. Tut sie das nicht, steckt viel Unsicherheit und eine gehörige „Zitterprämie“ (hier in Form eines hohen Abschlags für die Unkalkulierbarkeit) in den Kursen. Auch bei „Turn-around“-Spekulationen haben wir nicht das todsichere betriebswirtschaftliche Perpetuum mobile erfunden. Das muss man einfach wissen.
Dennoch: Die Hoffnung ruht darauf, dass das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur kommt. Die Alternative sind schnelle Gewinne infolge einer Zerschlagung oder Übernahme der angeschlagenen Firma. In der Regel sind das ganz heiße Spekulationen mit einem hohen Risiko, denn man weiß selten, wie die Kugel in diesem Spiel wirklich läuft und wie die Aktionäre dabei abschneiden. Bei dem beliebten „Debt-to-equity“-Modell werden z.B. die oft dramatischen Schulden des Unternehmens in (ggf. neue) Anteile getauscht, der Rest wird dadurch entwertet, teilweise um beinahe 100%!
Wichtige Anhaltspunkte
Wer also mit „Turn-around“-Storys liebäugelt, sollte einige Punkte im Auge behalten.
- Der Absatzmarkt der Firma: Ist er margenschwach, überbesetzt und schwierig? Vorsicht – denn hier ist es für strauchelnde Firmen besonders schwer, wieder auf die Beine zu kommen.
- Wie hoch ist der Einfluss der Politik? Achtung! Die einstigen „Witwen- und Waisen-Papiere“ RWE und E.ON oder auch die Solarwerte sind Warnung genug!
- Wie sieht die Marktstellung aus? Verfügt die Firma über bekannte, starke Marken, verbunden mit hoher Kundentreue und Preissetzungsmacht? Wie stark ist dagegen die Konkurrenz?
- Wie groß ist die Firma? Kleinfirmen werden schneller und schmerzfreier „abgewickelt“.
- Die Verschuldung: Zwar hakt es meist in der Bilanz (sonst wäre der Wert nicht so gefallen), aber die Schulden dürfen nicht so erdrückend sein, dass eine Sanierung ohne Kapitalschnitte etc. gar nicht möglich ist.
- Die Qualität des Managements und die Führungskultur: Wo Betrug und Verfilzung zum Geschäftsprinzip gehören, dauert es meist lange, bis alles aufgearbeitet und bereinigt ist. Nach den ersten Enthüllungen kommt meist noch einiges nach. Das dürfte wohl bei VW (oder Petrobras, s.u.) so sein – somit sind das (noch) Hochrisikopapiere.
Einige Recherche-Anregungen
Beachtenswerte „Fallen Angels“ sind Rohstoffwerte wie Gazprom, die brasilianische Petrobras und Vale oder die kanadische Barrick Gold. Hochspekulativ ist die völlig „ausgebombte“ japanische Sharp Corporation, auch die bekannte Firma Sony notiert trotz zwischenzeitiger Erholung weit unter früheren Kursen. Schwierig zu beurteilen sind weiterhin viele der gefallenen Banken, deren Bilanzen und Geschäftsmodelle immer noch eher Wundertüten gleichen. Noch ohne Kompass und valide Zukunftsprognose bewegen sich die völlig zusammengefallenen Energiewerte RWE und E.ON.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(20):16-16