Karin Wahl
Schaut man in den aktuellen Tarifvertrag, gültig seit Januar 2016, können junge PTA- und PKA-Berufsanfänger von 1.968 € oder 1.710 € brutto kaum einen eigenen Haushalt führen – zumal bei der Steuerklasse1 auch noch einiges an Lohnnebenkosten abgezogen wird.
Nicht wenige der Mitarbeiter im „Niedriglohnsektor der Apotheke“ gehen zusätzlich kellnern oder putzen, um ihr Gehalt etwas aufzubessern. Natürlich darf man sich da fragen, wie erholt eine Mitarbeiterin am Montagmorgen den Dienst antritt – sofern sie ihn antritt, wenn sie am Wochenende bis in die Nacht in der Gastronomie gejobbt hat.
Üppige Trinkgelder zum 450-€- Job springen bei freundlicher Bedienung laut Aussagen Betroffener fast regelmäßig raus. Das gilt u. a. für Aushilfen bei allerlei Events, vom örtlichen Jahrmarkt bis zu zahlreichen Festen an den Wochenenden.
Personalkosten als größter Kostenfaktor
Die Personalkosten sind in den Apotheken der größte Kostenfaktor, weit abgeschlagen folgt die Miete. Viele Kollegen reagieren daher sehr gereizt, wenn man das Thema Personalkosten anspricht. Sie klagen über niedrige Umsätze und Erträge, die keine höhere Bezahlung zuließen, und über wenig motiviertes Personal. Aber wie sollen schlecht bezahlte Mitarbeiter, die noch bei den Eltern wohnen müssen oder in einer WG, hoch motiviert in der Apotheke, oft sechs Tage in der Woche und manchmal noch assistierend bei Sonntagsdiensten, auftreten? Sie plagen schlicht andere Sorgen, als begeistert Zusatzverkäufe zu machen und besonders nett zu anstrengenden Kunden zu sein!
Und ein freundliches Lob reicht dann auch nicht als Ausgleich. Denn natürlich wollen alle Mitarbeiter in Apotheken von ihrem Gehalt leben können und trotzdem gelobt werden, wenn sie gute Arbeit machen!
Hier liegt nicht erst seit Kurzem der Hund begraben, sondern schon seit Jahrzehnten. Und weil es dieses Phänomen schon seit Generationen in den Apotheken gibt, haben Apotheken auch seit Generationen Probleme, gutes und hoch motiviertes Personal zu bekommen und zu halten.
Bedingt durch Schließungen von PTA–Schulen und Abwanderung von gut qualifizierten PTA, PKA und auch von jungen Approbierten zur pharmazeutischen Industrie, zum Großhandel oder gar ins Ausland, wo besser bezahlt wird, verschärft sich das Personalproblem immer mehr.
Konnte man eine Zeit lang durch mehr Automatisierung einen Personalmangel im PKA-Bereich etwas abfedern, so ist dies im Handverkauf und im Kundengespräch kein Ersatz für einen qualifizierten und zudem empathischen Mitarbeiter. Hier braucht es Menschen aus Fleisch und Blut, die gerne arbeiten und sich maximal in ihrem Job anstrengen.
Da es durchaus erfolgreiche Apotheken gibt, die kaum Personalprobleme haben, fahren diese Chefs wohl eine besondere Strategie, indem sie mehr auf die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeiter eingehen. Was machen diese Arbeitgeber konkret besser?
- Sie haben ein durchdachtes Personalmanagement.
- Sie bezahlen meist über Tarif.
- Sie erstatten Fahrtkosten oder geben Benzingutscheine.
- Sie zahlen Zuschüsse zum Kindergarten und später auch zur Betreuung der Grundschulkinder in einem Hort.
- Sie bieten Personaleinsatzpläne an, die den Bedürfnissen der berufstätigen Mutter (bzw. des Vaters) oder von pflegenden Mitarbeitern gerecht werden.
- Sie unterstützen mit Zeit oder finanziellen Zuschüssen die Fort- und Weiterbildung.
- Sie nutzen Arbeitszeitkonten und Arbeitszeiterfassung.
- Sie stellen neue Mitarbeiter nur dann ein, wenn sie das geforderte Profil des Arbeitsplatzes auch zu 100 % erfüllen, um unnötige Spannungen im Team zu vermeiden.
- Sie führen regelmäßig Einzelgespräche, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu prüfen, was im laufenden, oft hektischen Alltag zu kurz kommt.
- Das leidige alljährlich wiederkehrende Urlaubsproblem wird fair unter Einbeziehung aller Mitarbeiter geregelt und zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst, nicht Top-down!
- Neben der fairen Bezahlung sollten Sonderprojekte extra honoriert werden. Leistung des Einzelnen muss sich lohnen!
- Um den November oder Dezember mit der Zahlung von Weihnachtsgeld oder 13. Gehalt nicht jedes Jahr zum Frusthöhepunkt werden zu lassen, wenn der Mitarbeiter die exorbitanten Abzüge von seinem eigentlich erfreulichen Bruttogehalt zur Kenntnis nehmen muss, kann man zur Zufriedenheit aller die Auszahlung über zwölf Monate verteilen, d. h. es gibt monatlich ein Zwölftel Weihnachtsgeld. Das freut den Mitarbeiter, weil er jeden Monat etwas bekommt, das nicht einer so hohen Progression unterliegt, und bringt auch dem Chef am Jahresende Entlastung der dann häufig angespannten Finanzen. Diese Vorgehensweise hat sich bewährt bei allen, die sie ausprobiert haben.
- Eine kleine Aufmerksamkeit zum Geburtstag, zu Weihnachten oder zum – oft vergessenen – 10-jährigen Jubiläum in der Apotheke sollte selbstverständlich sein.
- Ein Umsteigen von Teilzeit auf Vollzeit (und vice versa) sollte einem Mitarbeiter bei Änderung der persönlichen Verhältnisse leicht gemacht werden. So hält man gute Kräfte!
- In persönlich schweren Situationen wie Scheidung oder Tod eines nahen Angehörigen sollten nach Rücksprache Maßnahmen ergriffen werden wie z. B. die Aufgabengebiete vorübergehend mit einer anderen Kraft zu tauschen. Der Mitarbeiter weiß das zu schätzen und man sorgt dafür, dass er keine womöglich fatalen Fehler macht oder im sehr stressigen Handverkauf in den Burnout und die Krankmeldung getrieben wird.
- Keine Gleichmacherei bei der Bezahlung unterschiedlich qualifizierter Mitarbeiter betreiben. Nicht jeder Mitarbeiter im dritten Berufsjahr muss dieselben Fähigkeiten und dieselbe berufliche Vita haben. Der Tarif ist zu zahlen, aber die richtige Honorierung muss über das Übertarifliche erfolgen. Alles andere führt zu Demotivation und innerer Kündigung. In Deutschland sind laut neuesten Umfragen nur noch 15 % der Mitarbeiter emotional mit dem Unternehmen verbunden.
- Selbst ein Sabbatical sollte nicht in den Bereich der Utopie verbannt werden. So lässt sich bei guter Organisation ein Mitarbeiter halten, der ansonsten ganz verloren gewesen wäre. In der Regel kommen diese Leute sogar hoch motiviert wieder zurück.
- Im Rahmen der Arbeitsorganisation werden gute Chefs ihre Mitarbeiter nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten einsetzen und auch Verantwortung delegieren. Menschen mit Verantwortung und Aufgaben, die Spaß machen, gehen nicht so schnell in die innere Kündigung.
- Mitarbeiter wünschen sich Chefs, die mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren und sie ernst nehmen. Das häufig in Apotheken übliche Duzen zwischen Chef und Mitarbeiter kann allerdings beim ersten richtigen Konflikt zum Frust führen, denn dann „hört die Freundschaft auf“. Versuchen Sie einmal zu einer Person, die Sie siezen, „Sie blöde Kuh“ zu sagen – bei einem vertraulichen Du rutscht das viel eher mal raus!
- Keine „Vetterleswirtschaft“ oder Einteilung in Lieblingsmitarbeiter betreiben. Das zerstört jedes Betriebsklima, führt in die innere Kündigung und irgendwann in die echte Kündigung des Mitarbeiters.
- Besonders bei großen Teams mit vielen Teilzeitkräften stärken zwei „Events“ für die Belegschaft im Jahr den inneren Zusammenhalt. So lernen sich manche Teilzeitkräfte überhaupt erst kennen, wenn die eine immer nur mittwochs und die andere immer nur samstags arbeitet.
- Und wenn Sie jetzt noch bei berechtigten Anlässen ein Lob aussprechen, dann hebt dies das Selbstwertgefühl des Mitarbeiters zusätzlich!
Diese Liste ließe sich noch fortsetzen. Jeder Arbeitgeber möge sich ein für seine individuelle Apotheke gestricktes Personalmanagement erarbeiten, vielleicht kommt er noch auf ganz andere Ideen, die gerade in seiner Apotheke zu einer Mitarbeiterbindung führen. Wenn sich zukünftig sogar Mitarbeiter aktiv bei Ihnen bewerben, weil Sie sich als ein guter Arbeitgeber im Umfeld herumgesprochen haben, ist das Etappenziel erreicht! Dann aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern am Konzept weiterfeilen! Denken Sie an das Wort von Voltaire: „Das Bessere ist der Feind des Guten.“
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(16):10-10