Helmut Lehr
Eine der wichtigsten Erbschaftsteuerbefreiungen im „privaten Bereich“ gilt für das Familienheim des Erblassers. Dies hängt damit zusammen, dass in aller Regel die Kinder die (bisherige) Familienwohnung erben. Damit die Befreiung gewährt wird, müssen nach dem Erbschaftsteuergesetz grundsätzlich folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- bestehendes Eigentum oder Miteigentum
- an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR belegenen,
- bebauten Grundstück,
- Erwerb durch Kinder oder Kinder verstorbener Kinder,
- Nutzung der Wohnung bis zum Erbfall durch den Erblasser zu eigenen Wohnzwecken oder Verhinderung der Selbstnutzung aus zwingenden Gründen (z. B. Pflegeheimaufenthalt),
- die Wohnung wird nach der Erbschaft unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt.
Hinweis: Die Steuerbefreiung wird nur insoweit gewährt, als die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt, bei einer größeren Wohnfläche entfällt die Steuerbefreiung anteilig; eine Begrenzung nach dem Wert des Objekts besteht jedoch nicht!
Prüfung der Befreiung womöglich nicht erforderlich
Die genannten Tatbestandsmerkmale führen natürlich zu Problemen in der Praxis, weil die nähere Auslegung der Vorschrift durch Finanzverwaltung und Gerichte erfolgt. Scheidet die Erbschaftsteuerpflicht jedoch von vornherein aus, erübrigt sich womöglich eine weitere Prüfung. Da Kinder und Kinder verstorbener Kinder (Enkel) von jedem Elternteil je 400.000 € (persönlicher Freibetrag) steuerfrei erben können, wird in vielen Fällen ohnehin keine Erbschaftsteuer anfallen.
Beispiel: Die Geschwister Klara und Paul erben von einem Elternteil je zur Hälfte das Familienheim im Wert von 1,3 Mio. €. Die Belastung mit Grundschulden beträgt noch 500.000 €. Sofern kein weiteres werthaltiges Vermögen vorhanden ist, entsteht keine Erbschaftsteuer, weil der Nettoerwerb nur 800.000 € (je Kind also 400.000 €) beträgt.
Steuerbefreiung entfällt rückwirkend
Auch wenn die Steuerbefreiung für das Familienwohnheim anfänglich gewährt wird, sind die Erben damit noch nicht zwangsläufig auf der „sicheren Seite“. Die Steuerbefreiung fällt nämlich mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt. Etwas anderes gilt nur, wenn zwingende Gründe eine Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken verhindern.
In der Praxis tappen Erben häufig in diese Nachversteuerungsfalle, weil sie das ererbte Objekt irgendwann innerhalb des Zehnjahreszeitraums verkaufen, vermieten oder (z. B. den eigenen Kindern) unentgeltlich überlassen.
Vorsicht bei Nießbrauch
Das Hessische Finanzgericht hat kürzlich entschieden, dass bereits die Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums steuerschädlich ist, selbst wenn sich der Erbe die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken weiterhin vorbehalten hat1). Dies gilt auch für die unentgeltliche Übertragung des Familienheims durch den Erben auf seine Kinder.
Das Urteil ist für einen Erben vergleichsweise hart, weil laut Gesetz eigentlich nur die weitere Selbstnutzung gefordert wird, die im Streitfall erfüllt wurde. Insbesondere gibt der Gesetzeswortlaut die Beibehaltung der Eigentümerstellung nicht vor! Nach Ansicht des Gerichts komme man aber im Wege der Auslegung des Gesetzes dazu, dass das Familienheim während der zehn Jahre nach dem Erwerb nicht nur vom Erben bewohnt werden, sondern auch das Eigentum bei diesem verbleiben muss.
Hinweis: Weil das Urteil rechtskräftig ist, darf man davon ausgehen, dass die Finanzverwaltung an dieser (strengen) Sichtweise weiter festhalten wird.
Mehrere Objekte
Hat der Erblasser mehrere bebaute und zu Wohnzwecken selbstgenutzte Grundstücke, stellt sich die Frage, ob „zugleich“ mehrere Objekte von der Steuerbefreiung erfasst werden.
Beispiel: Frau Weigand hat ihrer Tochter je ein Einfamilienhaus in München, am Starnberger See und auf Sylt hinterlassen. Jedes der Häuser wurde vor ihrem Tod nur von ihr bzw. der Familie zu eigenen Wohnzwecken genutzt und stand die übrige Zeit leer.
Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist ein Objekt nur begünstigt, wenn sich dort der Mittelpunkt des familiären Lebens befindet. Diese Auffassung wurde bereits durch den Bundes- finanzhof bestätigt2).
Hinweis: Möchte die Tochter die Steuerbefreiung für das teuerste Objekt beanspruchen, in das sie selbst einziehen will, so muss sie versuchen, das Finanzamt davon zu überzeugen, dass dieses Haus zuletzt auch der Lebensmittelpunkt ihrer Mutter/Familie war.
Allgemeine Empfehlungen
Eine wichtige Bedingung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung ist die spätere langfristige Selbstnutzung durch den Erben. Deshalb könnten Eltern (vorausschauend) vorhandenes hohes Kapitalvermögen in eine Immobilie am Wohnort des erbenden Kindes investieren, ihren Lebensabend dort und damit zugleich in der Nähe des Kindes verbringen und das Objekt später vererben.
Hinweis: Nach dem Erbfall sollte das Kind dann aber auch unverzüglich einziehen, um die Steuerbefreiung nicht zu gefährden. Unverzüglich bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs kann ein Zeitraum von 6 Monaten als angemessene Frist für die Selbstnutzung angenommen werden3).
1) Vgl. Urteil vom 15. Februar 2016, Aktenzeichen 1 K 2275/15.
2) Vgl. Urteil vom 18. Juli 2013, Aktenzeichen II R 35/11.
3) Vgl. AWA-Ausgabe Nr. 21 vom 1. November 2015, Seite 18 und 19.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(16):18-18