Dr. Bettina Mecking
Die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel stellt das – durch ein Festpreissystem gesicherte – Rückgrat der Existenz von deutschen Apotheken dar. Der Apothekenanteil am Arzneimittelpreis ist kein Preis für das Arzneimittel selbst, sondern das Honorar für die Dienstleistung der Apotheke. Er ist eine Berechnungsgröße innerhalb des Systems des Gesundheitswesens, die nicht separat ohne massive Folgen herausgelöst werden kann.
Übersicht der Verfahren
Inzwischen haben sich folgende Schauplätze und Fragen herausgebildet:
- Gilt die Preisbindung – über das Heilmittelwerbegesetz –auch für DocMorris?
- Wird der EuGH erneut zur Vereinbarkeit der deutschen Rx-Festpreisbindung insgesamt mit EU-Recht urteilen?
- Was wird aus der Apothekenpflicht für Arzneimittel?
Nach dem Erfolg beim EuGH wollte DocMorris die gegen sie ergangenen Entscheidungen wegen Werbeaktionen, die Boni mit der Rezepteinreichung verknüpften, aus der Welt schaffen und beantragte beim Landgericht (LG) Köln insbesondere die Aufhebung der diesbezüglichen Ordnungsgeldbeschlüsse.
Preisbindung über den „Umweg“ Heilmittelwerbegesetz?
Im März 2017 hat das LG Köln seine einstweilige Verfügung aus dem Jahr 2013 aufgehoben – und zwar „ex tunc“, also ab dem Zeitpunkt des Erlasses. Das bedeutet so viel wie: DocMorris hätte die Boni-Gewährung nie verboten werden dürfen, weshalb auch die Ordnungsgelder zu Unrecht verhängt wurden.
Das LG Köln sah sich angesichts der Entscheidung des EuGH gezwungen, seine frühere Rechtsprechung zu korrigieren. Eine Untersagung des angegriffenen Verhaltens auf die Arzneimittelpreisverordnung sei nicht mehr möglich. § 7 HWG sei zwar grundsätzlich einschlägig – da die Gewährung von Vergünstigungen bei der Einlösung von Verschreibungen eine produktbezogene Werbung im Sinne des § 7 HWG sei – jedoch müssten die Überlegungen des EuGH im Zusammenhang mit dem Arzneimittelpreisrecht auf § 7 HWG durchschlagen.
Denn, so das LG Köln, es könne keinen Unterschied machen, ob ein Barrabatt gewährt wird oder aber ein Gutschein in Höhe von 10 Euro oder eine andere derartige geldwerte Vergünstigung. Darüber hinaus ist das LG Köln sogar der Auffassung, dass niederländische Anbieter sich nicht auf geringwertige Zugaben beschränken müssten.
Diese Auslegung ist angreifbar. Denn § 7 HWG bezweckt den Schutz des individuellen Verbrauchers vor Überforderung durch Zuwendungen im Bereich der Heilmittelwerbung. Demgegenüber ist Schutzgegenstand des Arzneimittelpreisrechts das Kollektivgut der flächendeckenden Versorgung gewesen. Die Urteile des LG Köln liegen dem OLG Köln nun im Berufungsverfahren zur Überprüfung vor.
Landgericht München I: Preisbindung hat Bestand
Das LG München I ist dem kurz darauf entgegengetreten. Die Entscheidung des EuGH habe die deutsche Preisbindung keineswegs in Gänze ausgehebelt. In dem Streit hatte die Versandapotheke Kunden einen Gutschein im Wert von 10 Euro bei Rezept-einlösung angeboten. Der Coupon konnte bei der nächsten Bestellung ab 40 Euro eingelöst werden.
Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) erwirkte vor dem LG Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Versandapotheke. Parallel wurde vor dem LG München I die Siemens BKK auf Unterlassung verklagt, da sie DocMorris in ihrer Mitgliederzeitschrift „SBK Leben“ für das Angebot hatte werben lassen.
In diesem Münchener Nebenverfahren bestätigte das Gericht seine einstweilige Verfügung aus dem Oktober 2014 und erklärte, dass in Luxemburg nur die Preisbindung unter dem Gesichtspunkt des Arzneimittelpreisrechts verworfen worden sei.
Vollkommen außer Acht gelassen habe der EuGH dagegen die im HWG verankerte Rx-Preisbindung. Die Krankenkasse hafte somit als Störer, denn „eine Krankenkasse weiß und muss wissen, dass bei der Einlösung von Verschreibungen keine Rabatte gewährt werden dürfen, so dass bei angemessener, auch nicht umfassender Prüfung der Beklagten zweifelsfrei aufgefallen wäre und auffallen musste, dass hier ein Verstoß gegen § 7 HWG vorliegt“.
Schließlich hat jedoch das LG Frankfurt aktuell ein Gewinnspiel, das DocMorris im Frühjahr 2015 durchgeführt hatte, als zulässig bewertet, bei dem als Hauptpreis ein E-Bike im Wert von 2.500 € winkte, zudem wurden neun hochwertige elektrische Zahnbürsten verlost. Teilnahmevoraussetzung war die Einreichung eines Rezepts.
Die Gründe des LG Frankfurt überzeugen nicht. Die Feststellung, dass ein Gewinnspiel, dessen Teilnahme an die Einlösung einer Verschreibung gebunden ist, nicht zu einer unsachlichen Beeinflussung führt, ist nicht haltbar. Bei derart großen Zugaben ist stets eine Unzulässigkeit nach dem Wettbewerbsrecht anzunehmen. Die einschlägige Vorschrift des HWG gelte aber für EU-Versandapotheken nicht, so das LG Frankfurt. Auch hier ist Berufung eingelegt. Das OLG Frankfurt ist durchaus dafür bekannt, keine Rücksicht auf die Entscheidung der Vorinstanz zu nehmen.
Hoffnung Bundesgerichtshof?
Auch der BGH hat sich wieder zu Wort gemeldet. Das Fazit: Feststellungen zur Geeignetheit der Rx-Preisbindung sind nachholbar. Es handelt sich hierbei um das erste Urteil des BGH im Anschluss an die Entscheidung des EuGH vom 19. Oktober 2016. Das OLG Köln hatte DocMorris im Juli 2015 in einem sogenannten Teilurteil untersagt, Kunden für die Werbung eines neuen Kunden, der ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel erwirbt, eine Prämie von 10 Euro zu gewähren. Nachdem sowohl die AKNR als auch DocMorris gegen das Urteil aus Köln Revision eingelegt hatten, war nun der BGH am Zug.
Der BGH rügt, dass das OLG ein Teilurteil erlassen hat, also nur über einen Teil des Rechtsstreits entschieden hat. Dies war laut BGH nicht zulässig, weil in allen Anträgen die dem EuGH vorgelegte Frage entscheidungsrelevant sein könne, ob die deutschen Regelungen des Arzneimittelpreisrechts mit Unionsrecht vereinbar sind.
Das an den EuGH vorlegende Gericht – das OLG Düsseldorf – habe die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Deutschland einschließlich der ländlichen Gebiete und zur Bedeutung der Arzneimittelpreisvorschrift in diesem Zusammenhang nicht umfassend ermittelt, sodass das EuGH-Urteil auf unzureichender Grundlage ergangen ist. Die Parteien müssten Gelegenheit haben, zur Geeignetheit des Preisrechts ergänzend vorzutragen, wobei keine übersteigerten Anforderungen an die Beweislast zu stellen seien. Möglicherweise sei eine neue Vorlage an den EuGH erforderlich.
Dazu führt der BGH aus, „in diesem Zusammenhang sei in Erinnerung zu rufen, dass die Union nach Art. 168 Abs. 7 S. 1 AEUV bei ihrer Tätigkeit die Verantwortung der Mitgliedsstaaten für die Feststellung ihrer Gesundheitspolitik sowie die Organisation des Gesundheitswesens zu wahren hat und diese Aufgabenverteilung von allen Organen der Union zu beachten ist, die Mitgliedsstaaten zu bestimmen haben, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit gewährleisten wollen und wie dies erreicht werden soll.“ Die nationale Zuständigkeit in der Ausgestaltung des Gesundheitswesens müsse Berücksichtigung finden, um das fein justierte „Getriebe“ der Arzneimittelversorgung zu schützen, das jeder Nationalstaat eigenständig installieren darf.
Dies ist – in dieser Deutlichkeit – eine schallende Ohrfeige an das OLG Düsseldorf. Der BGH lädt ein, diese Versäumnisse nun auszumerzen. Ob dies gelingen wird, bleibt abzuwarten. Das Urteil und das weitere Verfahren könnten eine Chance darstellen, die Entscheidung des EuGH zu korrigieren.
Falsche Quittungen
Das OLG Stuttgart hat die Entscheidung des LG Ravensburg bestätigt, wonach das Ausstellen von Quittungen für nicht in der bezeichneten Höhe geleistete Zuzahlungen – außerhalb der Frage von Preiswerbung und Zugaben – rechtswidrig und nach wie vor angreifbar ist. Das OLG Stuttgart hat keine Revision zugelassen. Die Parteien haben einen Vergleich abgeschlossen, der auch beinhaltet, dass DocMorris darauf verzichtet, Rechtsmittel gegen die Entscheidung des OLG Stuttgart einzulegen.
Verfahren der AKNR nachweislich geschäftsschädigend?
Schließlich verlangt DocMorris von der AKNR (Apothekerkammer Nordrhein) vor dem LG Düsseldorf Schadenersatz.
DocMorris hatte seinen Kunden verschiedene Varianten von Geldprämien angeboten, wenn sie bei der Versandapotheke ein Rezept einreichten. Man sieht sein Geschäft geschädigt, da Werbeaktionen, die Boni mit der Rezepteinreichung verknüpften, immer wieder verboten wurden.
Diese verbotenen Boni-Modelle wurde überwiegend gar nicht eingestellt, weswegen es zum Erlass von Ordnungsgeldbeschlüssen kam. Zwar ist es das typische Risiko eines jeden, der eine einstweilige Verfügung vollzieht, dass er sich Schadensersatzforderungen aussetzt. DocMorris müsste zur Begründung des Anspruchs allerdings detailliert belegen, dass der Gewinn tatsächlich durch die konkret verbotene Werbemaßnahme entgangen ist.
Apothekenpflicht auf dem Prüfstand
Vor dem LG Mosbach stehen derzeit mindestens drei wettbewerbsrechtliche Verfahren gegen den Betrieb des Arzneimittel-Abgabeautomaten im baden-württembergischen Hüffenhardt zur Erörterung an. Dieser Automat wurde dort im April 2017 mit viel Medienrummel installiert und sollte ursprünglich Rx- wie Non-Rx-Arzneimittel ausgeben. Eine erste Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist für den 14. Juni 2017 angekündigt.
Fraglich ist, ob es sich bei dem Automaten um eine Form des Arzneimittelversands mit anschließender automatisierter Arzneimittelausgabe handelt (der daher durch die Versanderlaubnis abgedeckt wäre) oder um einen Apothekenteilbetrieb ohne eine entsprechende Erlaubnis, der sich der behördlichen Überwachung entzieht und der niederländischen Versandapotheke DocMorris somit einen (unzulässigen) Wettbewerbsvorteil verschafft.
Die örtliche Aufsicht (Regierungspräsidium Karlsruhe) hat für die Arzneimittelausgabe aus dem Automaten eine eigenartige Verfügung erlassen, welche die Abgabe des OTC-Sortiments zwar auch verbietet, aber diesen Teil des Verbotes nicht mit der Anordnung eines Sofortvollzugs versieht. Eine solche halbherzige Verfügung ist schwer erklärbar. Offenbar ist die Aufsicht nicht gewillt, hier nachzulegen. Jetzt können zwar einstweilen keine Rezepte eingelöst, aber OTC-Arzneien abgegeben werden.
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Fazit
Für die deutschen Apotheken vor Ort empfiehlt es sich, bis zu einer abschließenden Klärung die Füße hinsichtlich einer eigenen Boni-Werbung auf Rx-Präparate bzw. Rezepte einstweilen still zu halten und sich auf andere Werbebereiche zu verlegen. Hier gibt es genügend Möglichkeiten, ohne die Axt an die wichtigste Existenzgrundlage der Apotheken zu legen. Ein Kippen der Preisbindung könnte indes einen Lawineneffekt auslösen, dem selbst starke Apotheken nicht gewachsen wären. Sie sollten daher auch weiterhin die Vorgaben des ApoG sowie der ApBetrO beachten, da diese nach wie vor in Kraft sind.
Es brennt an vielen Stellen!
Es bleibt somit zu hoffen, dass am Ende dem geltenden Recht doch noch erfolgreich zur Durchsetzung verholfen wird.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(12):12-12