Apothekenpflicht

Angriffe treffen auf starke Gegenwehr


Dr. Bettina Mecking

Derzeit kommen die Grundstrukturen des deutschen Apothekenmarktes durch einen Arzneimittelabgabeautomaten mit Videoberatung erneut auf einen rechtlichen Prüfstand. Aber es gibt Anlass zur Hoffnung, dass allzu gierigen Zukunftsvisionären Grenzen aufgezeigt werden.

Nach dem Apothekenbus ist vor dem Arzneimittelabgabeautomaten mit Videoberatung – dieser wurde am 20. April 2017 von einem niederländischen Versender im badischen Hüffenhardt eröffnet. Die rechtliche Bewertung erfolgt seither auf verschiedenen Ebenen: auf verwaltungs- und wettbewerbsrechtlicher Basis, möglicherweise ist auch das Strafrecht tangiert.

Nur 48 Stunden nach Eröffnung verfügte das Regierungspräsidium Karlsruhe die Schließung des Videoterminals, aber leider halbherzig. Zwar bezieht sich das Verbot auf alle, die Anordnung des Sofortvollzugs aber nur auf Rx-Arzneimittel. Somit sah sich der Versender nach Einreichung der Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe in der Situation, einstweilen mit der OTC-Abgabe fortfahren zu können. Was die Abgabe von Rx-Arzneimitteln angeht, hatte die Klage keine aufschiebende Wirkung. Der Eilantrag, mit dem man erreichen wollte, dass auch die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneien erlaubt wird – bis eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache vorliegt –, wurde später zurückgezogen.

Inzwischen ist das Videoterminal ganz geschlossen – diesen Erfolg dürfen sich beherzte Apotheker vor Ort auf ihre Fahne schreiben. Die Verwaltungsgerichte haben sich noch nicht gerührt.

Das Geschäftsmodell war so gestaltet, dass ein Patient nach Betreten der sogenannten Videoapotheke in einen Beratungsraum geführt wurde. Zunächst wurde die durch den Kunden unterzeichnete Einverständniserklärung in die Nutzung seiner Daten gescannt und die Daten wurden in das Kundensystem aufgenommen. Per Videochat beriet das Personal des niederländischen Versenders die Patienten und gab die Arzneimittel nach Bezahlung frei. Diese lagerten in einem neben dem Beratungsraum aufgestellten Kommissionierautomaten. Sie wurden mit einem Etikett versehen, das Name und Geburtsdatum des Kunden sowie das Abgabedatum aufwies, auf einem Transportband in den Beratungsraum befördert und von nicht-pharmazeutischem Personal an den Patienten übergeben. Abschließend erhielt der Kunde sowohl einen Kassenbeleg als auch einen weiteren Beleg mit Einnahmehinweisen.

Deutsche Postfachadresse

Alle Belege wiesen lediglich auf die Postfachadresse in Deutschland hin. Beim Verbraucher, der den Arzneimittelabgabeautomaten in Anspruch nimmt, wird so der Eindruck erweckt, es handele sich letztlich um einen deutschen Anbieter. Speziell im Bereich von Arzneimitteln, in dem ein erhöhtes Augenmerk auf Sicherheit und Zuverlässigkeit liegt, ist die Herkunft des Unternehmens jedoch besonders relevant.

Das Landgericht (LG) Mosbach hat mit seinem ersten Urteil vom 30. Mai 2017 (Az.: 4 O 18/17 KfH) den Auftakt für eine Vielzahl zu erwartender weiterer Entschei-dungen gemacht. Es handelt sich um das Verfahren des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg e.V. gegen den betreibenden niederländischen Versender. Das Gericht hat dem Erlass einer einstweiligen Verfügung weitgehend stattgegeben.

Die Abgabe apotheken- bzw. verschreibungspflichtiger Arzneimittel stelle einen Verstoß gegen § 43 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) dar. Das Landgericht hat dabei ausdrücklich verneint, dass das Inverkehrbringen der Arzneimittel im Wege des Versandhandels erfolge und es sich um eine Auslieferung an eine Abholstation im Sinne der „dm-Markt“-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13.03.2008, Az.: 3 C 27.07) handele. Auch unter Zugrundelegung des weiten Versandhandelsbegriffs des Bundesverwaltungsgerichts sei in der in Hüffenhardt praktizierten Vorgehensweise kein Versandhandel zu erkennen.

Daneben verstoße das Konzept auch gegen die apothekenrechtlichen Vorschriften in § 17 Abs. 5, 6 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Das LG beanstandet, dass eine nach § 17 Abs. 5 ApBetrO ggf. erforderliche Änderung vor der Arzneimittelabgabe durch den Automaten auf der Verschreibung weder vermerkt werden noch der Apotheker die Änderung durch seine Unterschrift auf der Verschreibung abzeichnen könne. Ein nachträglicher Vermerk mit Unterschrift widerspreche den gesetzlichen Vorgaben. Ebenfalls könne die Versandapotheke der Dokumentationspflicht nach § 17 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ApBetrO nicht nachkommen, da das Abzeichnen der Verordnung nicht bei der Abgabe des Arzneimittels erfolge.

Kampf durch alle Instanzen

Es gibt inzwischen noch drei weitere in dieselbe Richtung gehende wettbewerbsrechtliche Entscheidungen, eine fünfte wird folgen. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehe laut LG jedenfalls mit solchen ortsansässigen Apotheken, die in den für Hüffenhardt geltenden Notdienstplan einbezogen seien. Aber auch anderswo gelegene Apotheken mit Versandhandelserlaubnis dürfen klagen, da sie überörtlich im Wettbewerb stehen. Der Versender will durch alle Instanzen für seinen Automaten kämpfen.

Dreh- und Angelpunkt ist, dass eine Automatenabgabe in unzulässiger Weise die Grenze zwischen dem Versandhandel und der Abgabe von Arzneimitteln in einer Präsenzapotheke verwischt. Letztere unterliegt hinsichtlich Räumlichkeiten, Ausstattung und Fachpersonal hohen gesetzlichen Anforderungen, die durch das Abgabeterminal umgangen werden. Beim Versandhandel ist dem Kunden bewusst, dass er einige Zeit warten muss, bis er das Bestellte erhält. Wer die Medikamentenausgabestelle in Hüffenhardt aufsucht, beabsichtigt hingegen, das Medikament unmittelbar nach dem Bestellvorgang direkt zu erhalten – wie in einer Präsenzapotheke.

Der niederländische Versender verfügt in Deutschland weder über eine Erlaubnis für das Lagern von Arzneimitteln noch über eine Apothekenbetriebserlaubnis. Auf seine niederländische Versandhandelserlaubnis kann er sich nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1a AMG nur berufen, soweit die Arzneimittel aus dem europäischen Ausland nach Deutschland verbracht werden. Die Arzneimittel, die in Hüffenhardt angeboten werden, werden von einem deutschen Pharmahändler bezogen, der den Automaten bestückt. Entgegen dem beharrlichen Bestreiten des Versenders deutet viel darauf hin, dass es sich nicht um einen grenzüberschreitenden Vorgang handelt – vielmehr passiert alles lokal, aber nicht legal. Da die dargelegten Marktverhaltensregelungen der Gesundheit der Verbraucher zu dienen bestimmt sind, ist ein Verstoß dagegen unlauter.

Neu ist der Gedanke, dass die Abgabe von Rx-Arzneimitteln über das Terminal – ohne dass der abgebenden Apotheke die erforderliche ärztliche Verschreibung im Original vorliegt – nicht nur nach § 48 Abs.1 AMG strafbar ist, sondern auch einen Abrechnungsbetrug begründen könnte. Der abgebenden Apotheke stünde hier nämlich kein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse zu.

Welche Argumente am Ende überzeugen, wird sich zeigen. Alle maßgeblichen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zu anderen Ausgabevorrichtungen wie „Visavia“, Autoschalter sowie zum Selbstbedienungsverbot) sprechen gegen das Modell Hüffenhardt.

Anhand der von manchen öffentlichen Apotheken eingesetzten Ausgabeautomaten lässt sich der Unterschied zu dem umstrittenen Videoterminal erläutern: Bei dem zumeist in die Apothekenaußenwand integrierten Schließfachsystem erhält der Kunde einen PIN-Code, den er bei der Abholung in die Tastatur eintippt. Nach Öffnung des Fachs kann das bereitgelegte Arzneimittel entnommen werden. Hier ist die Arzneimittelabgabe an eine Apotheke gebunden und wird von deren Personal vorbereitet.

Hingegen gibt es in Deutschland keine „reinen“ Versandapotheken, die losgelöst überall Terminals als Ausgabestationen einrichten dürfen. Was beim Arzneimittelversandhandel entfallen darf, ist allein die räumliche Bindung des letzten „Übergabeaktes“ an die Apotheke. Selbstverständlich muss die Vorbereitung des Abgabevorgangs mit allen vorgeschriebenen Sicherungsmechanismen in den Apothekenbetriebsräumen stattfinden, bevor die Arzneimittel „nach außen“ gegeben werden.

Die derzeitige Gesetzgebung und die dazugehörige Rechtsprechung bieten ein solides Bollwerk. Zukunftskonzepte, die die Situation in ländlichen Regionen verbessern wollen, werden diese klare Linie zu berücksichtigen haben.

Dr. Bettina Mecking, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, Fachanwältin für Medizinrecht, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(14):13-13