Psychische Belastung in der Apotheke (Teil 1)

Beurteilung der Gefährdung


Tatiana Dikta

Nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes muss jeder Unternehmer eine psychische Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes durchführen und diese dokumentieren. Ansonsten können sich im Schadens- oder Prüfungsfall haftungs- und strafrechtliche Folgen ergeben.

Psychische Belastung ist nach der Norm EN ISO 10075 „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“ Die psychische Gefährdungsbeurteilung zielt darauf ab, die Belastungen am Arbeitsplatz zu erfassen. Dabei ist es unerheblich, wie viele Mitarbeiter in einem Unternehmen beschäftigt sind. Die Einhaltung der Vorschriften zum Arbeitsschutz ist auf der einen Seite bedeutsam, um menschengerechte Arbeitsbedingungen herzustellen, auf der anderen Seite, um wirtschaftliche Vorteile zu schöpfen: Eine Reduktion der Unfälle und der berufsbedingten Erkrankungen kann die Fehlzeiten im Unternehmen und somit auch die gesamtgesellschaftlichen Kosten für Gesundheitsaufwendungen senken.

Ganzheitlicher Gesundheitsschutz

Früher hat sich der Arbeitsschutz auf die Reduktion der körperlichen Belastungen oder Gefährdungen durch Stoffe konzentriert. Inzwischen jedoch besteht Konsens, dass die Anforderungen im Arbeitsleben nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit gefährden können und deshalb weitgehend reduziert werden müssen.

Eine psychische Gefährdung ist weniger offensichtlich als eine physische, sie lässt sich schwieriger erfassen und quantifizieren. Darüber hinaus werden psychische Belastungen und die daraus hervorgehenden Erkrankungen oder Störungen noch tabuisiert. Doch machen es z.B. der Fachkräftemangel (auch in der Apotheke), der demografische Wandel generell und die zunehmende Komplexität des Arbeitslebens erforderlicher denn je, sowohl die psychische als auch die körperliche Gesundheit als kostbarste Ressourcen zu schützen.

Lange Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen

Die Anzahl der durch psychische Störungen verursachten Fehltage hat in den letzten Jahren zugenommen. Die Erkrankungsdauer pro Fall ist dabei wesentlich länger als bei anderen akuten Erkrankungen. In einem kleinen Betrieb wie der Apotheke fällt eine längere Erkrankung eines Mitarbeiters stärker ins Gewicht als in Betrieben mit vielen Mitarbeitern. Häufig müssen die Kollegen kurzfristig Vertretungen übernehmen, was sich negativ auf deren Gesundheit und Work-Life-Balance auswirkt. Die Fehlzeiten verursachen zum Teil erhebliche organisatorische Probleme und demzufolge einen Effizienzverlust.

Information fördert Akzeptanz

Um die psychische Gefährdung in der Apotheke zu beurteilen, bietet sich der Einsatz von Fragebögen und Checklisten an, die auf die Apotheke ausgerichtet sind. Allerdings trifft der Einsatz solcher Instrumente zur Erfassung der psychischen Gesundheit häufig auf Skepsis und Vorbehalte bei allen Beteiligten. Zum einen fürchten die Mitarbeiter bei mangelnder Information oftmals persönliche Konsequenzen. Deswegen sind sie dazu geneigt, die Fragebögen nicht ehrlich zu beantworten, sondern so, wie sie es für erwünscht halten. Zum anderen argwöhnen die Vorgesetzten, dass die Ergebnisse Defizite in der Führungsqualität aufdecken könnten.

Die Anonymität der Befragung muss deshalb sichergestellt werden. Wenn man zudem alle Beteiligten über die Gründe für und das Vorgehen bei der Gefährdungsbeurteilung informiert, lassen sich auch Vorbehalte entschärfen und ein konstruktiver Umgang mit den Ergebnissen fördern. Möglich ist dies z.B. im Rahmen von innerbetrieblichen Schulungen durch externe Fachkräfte. Darüber hinaus bieten einige Berufsgenossenschaften, Unfallkassen oder gesetzliche Krankenkassen umfangreiche Informationen zum Thema psychische Gefährdungsanalyse an.

Beurteilung aller Arbeitsplätze

In der Apotheke ist der Apothekenleiter dafür verantwortlich, die Beurteilung zu initiieren und zu begleiten. Er kann sie entweder selbst durchführen oder externe Fachkräfte mit arbeitspsychologischen und methodischen Kenntnissen beauftragen. Jeder nicht gleichartige Arbeitsplatz ist hinsichtlich der potenziellen Gefährdung einmal zu beurteilen. Dabei sind die Arbeitsplätze des nicht-pharmazeutischen Personals und des angestellten Hilfspersonals (Boten, Putzhilfe, Buchhalter) gleichermaßen zu berücksichtigen wie die Arbeitsplätze des pharmazeutischen Personals. Insbesondere in kleinen Unternehmen wie Apotheken bietet es sich an, alle Mitarbeiter zu befragen, um objektive Ergebnisse zu ermitteln. Denn möglicherweise ist die psychische Gefährdung am Arbeitsplatz bei den Mitarbeitern z.B. je nach Arbeitszeitform (Teilzeit, Vollzeit) unterschiedlich stark ausgeprägt.

Schrittweises Vorgehen

Für die Beurteilung empfehlenswert ist ein strukturiertes Vorgehen in mehreren Schritten und mit entsprechender Vorabplanung. Schätzen Sie den für die Planung, Durchführung, Auswertung und Dokumentation benötigten Zeitrahmen realistisch ein und stellen Sie entsprechende zeitliche Ressourcen zur Verfügung. Planen Sie nicht vorab, kann das zusätzlichen Aufwand beanspruchen und auch Frustration bei allen Beteiligten verursachen. Eine systematische Organisation und die professionelle Unterstützung durch externe Fachkräfte senken dagegen die Kosten und den Aufwand.

Psychische Gefährdung kann unterschiedliche Ursprünge haben. Ihre Ausprägung sollte deshalb über vier relevante Felder ermittelt werden: Arbeitsumgebung, Arbeitsaufgabe, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz sowie Arbeitsorganisation und -ablauf (Abb. 1).

Maßnahmen entwickeln und implementieren

Ergeben sich dabei Gefährdungspotenziale, müssen Maßnahmen implementiert werden, um die Belastungen und die Gefährdungen am Arbeitsplatz zu reduzieren. Wichtig ist es, die Mitarbeiter auch hieran zu beteiligen: Maßnahmen, die auf den Vorschlägen der Mitarbeiter basieren, werden eher angenommen und gelebt als Interventionen, die allein vom Vorgesetzten vorgegeben werden. Des Weiteren beeinflusst die gemeinsame Entwicklung der Vorschläge den Teamgeist positiv und fördert bei den Mitarbeitern die Verbundenheit mit dem Unternehmen. Das wiederum hat positive Folgen auf die Produktivität und wirkt der Fluktuation sowie den damit zusammenhängenden Kosten entgegen.

Auskunft für den Arbeitgeber

Gesunde und zufriedene Mitarbeiter sind die tragende Säule der Apotheke, sie üben einen entscheidenden Einfluss auf den nachhaltigen und zukunftsorientierten Erfolg aus. Die Ergebnisse der psychischen Gefährdungsbeurteilung bieten dem Arbeitgeber deshalb eine wichtige Auskunft über die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit dem Arbeitsplatz. Im Bedarfsfall decken sie diejenigen Schwachpunkte auf, die behoben werden müssen, um die Attraktivität des Arbeitsplatzes zu verbessern: Je attraktiver der Arbeitsplatz, desto besser sind die Aussichten, gute Mitarbeiter zu halten und weitere Mitarbeiter mit hohem Entwicklungspotenzial, frischen Ideen und Engagement zu gewinnen.

Tatiana Dikta, B.Sc. Psychologie, Fachkraft für betriebliches Gesundheitsmanagement, Stressmanagementtrainerin nach § 20 SGB V, PTA, E-Mail: tatiana.dikta@gmail.com

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(19):12-12