Prof. Dr. Reinhard Herzog
Selbst vermeintlich behütete und vor der „harten Marktwirtschaft“ partiell abgeschottete Branchen wie die Apotheken tun gut daran, ein waches Auge auf die langfristige Wirtschaftsentwicklung zu werfen. Bekanntlich gilt: „Ohne Moos nix los.“ Sollte erst einmal wieder Ebbe in den Steuer- und Sozialkassen herrschen, sind schmerzhafte Reformen, Kürzungen, ja womöglich Systembrüche wahrscheinlich, mit allen Konsequenzen für den eigenen Betrieb, die getätigten Investitionen und nicht zuletzt die gern vernachlässigte Lebensqualität.
Zurzeit kann Deutschland scheinbar vor Kraft kaum laufen. Die Krankenkassen samt Gesundheitsfonds sitzen auf gut 26 Mrd. € Reserven mit noch steigender Tendenz (allerdings sind das nur etwa 1,4 Monatsausgaben …). Die Steuereinnahmen eilen von Rekord zu Rekord, obwohl das reale Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren und aktuell mit Raten von knapp 2% ordentlich, aber keineswegs boomend dasteht. Das zeigt eher, wie die Kuh, sprich der Steuerbürger und Beitragszahler, immer effektiver gemolken wird. Dank einer guten Arbeitsmarktlage ist die Zahl der Melkkühe beträchtlich gestiegen, selbst wenn darunter ebenfalls rekordverdächtig viele Niedrigverdiener sind. Auch diese werden zumindest von den Sozialversicherungen kräftig zur Kasse gebeten.
Aus der Nähe betrachtet bröckelt jedoch die glanzvolle Fassade an etlichen Stellen.
Eine Betrachtung der deutschen Industriegrößen liest sich wie ein „Who is who“ der Absteiger und Zukunftsverlierer.
Die Autobranche, die letzte überragende deutsche Industriebastion? Heute eine Fragezeichen-Position. Renommierte Banken von internationaler Bedeutung? Nicht mehr in Deutschland. Die Energiekonzerne? Schatten ihrer selbst. Zukunftsindustrien? Das bedeutendste deutsche Pharmaunternehmen (Bayer) rangiert in der Weltrangliste auf Platz 16, Boehringer Ingelheim auf Platz 18. Deutschland, die Apotheke der Welt? Lange ist es her! IT, Kommunikationstechnik und Software? Ein überbordender Datenschutz erweist sich hier zuverlässig als „Showstopper“, so wie ökologische und Brandschutzbedenken bei den Bauaktivitäten. Ein Google, Facebook oder Amazon hierzulande? No way! Immerhin, in der „zweiten Reihe“ verfügt Deutschland noch über beachtliche „Hidden Champions“, teils unangefochtene Weltmarktführer in ihrem Segment.
Dafür überhebt sich unser Land völlig: Wir, gut 1% der Weltbevölkerung, erklären dem Rest der Welt eine gute Staats- und Haushaltsführung, die Demokratie und Menschenrechte, wir spielen den Klima-, Euro- und Weltenretter, machen uns die Probleme der Dritten Welt zu eigen, bürden uns mit einer aus dem Ruder gelaufenen Energiewende und der Flüchtlingsproblematik enorme Zukunftslasten auf. Wir reden weit mehr über Ausstiegs- als Einstiegsszenarien. Gleichzeitig spielt sich immer mehr von dem, was auf den Namen „Zukunft“ hört, jenseits unserer, im Übrigen auch der europäischen Grenzen ab.
Tatsächlich erleben wir ein konjunkturelles Strohfeuer, angefacht durch Niedrigzinsen, die starke Zuwanderung und den auch davon beflügelten Immobilienboom, der teils groteske Züge annimmt. Ein wesentlicher Teil der Wachstumsraten ist darauf zurückzuführen. Die Kostensteigerungen auf der einen Seite stellen das Wirtschaftswachstum auf der anderen Seite dar. Was den einen genommen wird, füllt den anderen die Taschen.
Die positive Nachricht: Angesichts des Reichtums unserer Gesellschaft lässt sich noch viel umverteilen und in den Wirtschaftskreislauf umlenken. Man könnte auch sagen: Wir verbrennen unser Inventar, um die Stube zu heizen – leben also von der Substanz. Das kann etliche Jahre anhalten.
Die schlechte Nachricht: Die Phase des Niedergangs ist absehbar, mit beträchtlicher Absturzgefahr.
Vor diesem Hintergrund auf immer mehr Entgegenkommen und Geld für die teils doch arg kleinlichen Vorstellungen des Berufsstandes zu hoffen, erscheint einigermaßen verwegen. Wem es jetzt in dieser Wirtschaftsphase nicht gelingt, für schwierigere Zeiten vorzusorgen, sollte von der ferneren Zukunft diesbezüglich nicht zu viel erwarten.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(21):19-19