Dr. Bettina Mecking
Was ist zu tun, wenn der Patient die Abgabe eines Rx-Arzneimittels mit dem Hinweis darauf fordert, dass die Arztpraxis die Verschreibung faxt oder per E-Mail-Anhang an die Apotheke schickt?
Solange es kein elektronisches Rezept gibt, muss bei der Abgabe eines Rx-Arzneimittels grundsätzlich eine Original-Verordnung vorliegen. Wird die Verordnung über moderne Kommunikationswege übermittelt, kann die Apotheke die Abgabe daraufhin im Normalfall nur vorbereiten: Einige Apotheken z.B. bieten ihren Kunden einen bequemen Bestellservice für Arzneimittel unter der Nutzung von „WhatsApp“ an. Dabei können Kunden Arzneimittel schriftlich oder durch Versenden eines Rezeptfotos an die Apotheke vorbestellen. Will der Kunde das Arzneimittel später in der Apotheke abholen, so kann dies jedoch nur im direkten Austausch „Ware gegen Rezept“ erfolgen.
Abgabe bei Heimversorgung
Bei der Versorgung von Heimen kann ein Fax auch die Information enthalten, dass Rezepte für den jeweiligen Patienten zur Abholung im Heim bereitliegen. Die Rezepte müssen abgeholt werden, um sie ordnungsgemäß zu beliefern. Die Belieferung muss dann durch einen Apotheker erfolgen, der sich vor der Aushändigung von der korrekten Verordnung und der Übereinstimmung des mitgebrachten Arzneimittels mit dieser Verordnung überzeugt hat. Durch eine PTA allein darf die Belieferung dann übrigens nicht erfolgen, da die PTA unter Aufsicht eines Apothekers arbeiten muss.
Verblistert die Apotheke im Auftrag, informiert sie das Heim rechtzeitig, wenn der für die Verblisterung notwendige Medikamenten-Mindestbestand eines Patienten unterschritten wird. Denn erst wenn ein gültiges Folgerezept im Original vorliegt, darf mit dem nächsten Blisterzyklus begonnen werden.
Das Problem der Rezeptübermittlung per Fax durch den Arzt an die Apotheke unter dem Gesichtspunkt der „Rezeptsammlung“ steht auf einem anderen Blatt: Das Oberlandesgericht Saarbrücken hält die vielerorts gängige Praxis, dass Ärzte Rezepte direkt an die Apotheke faxen oder die Rezeptpositionen telefonisch „bestellen“, für den unzulässigen Betrieb einer nicht genehmigten Rezeptsammelstelle (Urteil vom 25.09.2013, Aktenzeichen: 1 U 42/13). Nur in medizinisch begründeten Einzelfällen sei diese Vorgehensweise zulässig. Bei bestehendem Versorgungsvertrag sei es Aufgabe des Heimträgers – und nicht der behandelnden Ärzte –, sich um die Einlösung der Rezepte zu kümmern.
Abgabe im akuten Notfall
Wie verhält es sich, wenn ein Patient mit schwerem Asthmaanfall in der Apotheke steht und sein Spray verlangt? Hier kann die einzige geregelte Ausnahme von der Vorgabe des AMG greifen, nämlich §4 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV):
„Erlaubt die Anwendung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels keinen Aufschub, kann die verschreibende Person den Apotheker in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, über die Verschreibung und deren Inhalt unterrichten. Der Apotheker hat sich über die Identität der verschreibenden Person Gewissheit zu verschaffen. Die verschreibende Person hat dem Apotheker die Verschreibung in schriftlicher oder elektronischer Form unverzüglich nachzureichen.“
Hiernach kann der behandelnde Arzt in der Apotheke anrufen, eine Verordnung mündlich durchgeben und eine Verschreibung kurzfristig nachliefern. Dieser Paragraph beinhaltet auch die Möglichkeit, dass die Apotheke in der aktuellen Situation beim Arzt des Patienten anruft und ihn fragt, ob eine dringende Abgabe sofort erfolgen darf und eine Verschreibung zeitnah ausgestellt wird. Allerdings geht die Rechtsprechung eindeutig zulasten des Abgebenden, wenn ein Patient nach der Anwendung eines Arzneimittels, das er ohne ärztliche Verschreibung erhalten hat, zu Schaden kommt. Der Apotheker muss sich also vergewissern, dass er tatsächlich den behandelnden Arzt kontaktiert, der die aktuelle Arzneimitteltherapie des Betroffenen kennt. Sollte der Arzt nicht erreichbar sein, ist der ärztliche Notdienst die nächste Anlaufstelle für den Patienten.
Und wie verhält es sich, wenn ein Patient sich selbst nicht um eine rechtzeitige Nachverordnung seiner Dauermedikation gekümmert hat? Dann darf der Apotheker ihm nicht aus Vereinfachungsgründen, wie offenbar mancherorts praktiziert, anbieten, ihm über das Wochenende einen Blister aus einer vorab zu bezahlenden Packung mitzugeben – und den Rest, sobald die Verschreibung nachgereicht wurde.
Wenn eine erhebliche, akute Gesundheitsgefährdung eines Patienten nicht auf andere Weise abzuwenden ist, kann ein Apotheker ein verschreibungspflichtiges Medikament abgeben, auch wenn ihm kein Rezept vorliegt. Lassen die aktuellen Umstände keine Kontaktaufnahme mit dem Arzt über eine Verordnung mehr zu, kann unter engen Voraussetzungen möglicherweise ein rechtfertigender Notstand nach §34 Strafgesetzbuch vorliegen. Hier heißt es:
„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“
Liegt also eine echte Notfallsituation vor, die sich nicht anders beheben lässt, ist der Apotheker zur Abgabe verpflichtet. Verweigert er die Abgabe hingegen und führt dies zu einem Schaden beim Patienten, könnte ihm unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen werden.
Das Nachreichen der Original-Verordnung ist übrigens eine Bringschuld der Praxis. Kommt diese wiederholt der Verpflichtung nicht nach, sollte die örtliche Apothekenaufsicht eingeschaltet werden.
Abgabe als Wettbewerbsverstoß?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an Patienten durch einen Apotheker ohne ein hierzu vom behandelnden Arzt ausgestelltes Rezept unter bestimmten Umständen wettbewerbsrechtlich unzulässig sein kann (Urteil vom 08.01.2015, Aktenzeichen: I ZR 123/13): Ein Apotheker sei gemäß §4 AMVV nur dann ausnahmsweise zur Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Vorliegen eines Rezepts berechtigt, wenn ein Arzt eine Therapieentscheidung nach eigener, vorheriger Diagnose getroffen habe – er den Patienten also kenne – und die akute Gesundheitsgefährdung des Patienten eine unverzügliche Medikation erforderlich mache. Diese Erfordernisse waren in dem vom BGH zu entscheidenden Sachverhalt nicht erfüllt: Der Apotheker hatte selbst die Initiative zur Verschreibung ergriffen und hierzu einen befreundeten Arzt eingeschaltet. Dieser hatte den Patienten nicht in Augenschein genommen, um eine Diagnose durchzuführen.
Bei einem solchen Vorgehen wird von Gerichten unterschieden, ob es sich um einen außergewöhnlichen Einzelfall handelt, bei dem der Konkurrent – also eine andere Apotheke – keinen großen Schaden erlitten hat, oder um ein gewohnheitsmäßiges Fehlverhalten des Apothekers. Letzteres ist deutlich schwerwiegender einzustufen.
Verschreibungspflicht ist Verbraucherschutz
Die Verschreibungspflicht wie auch die Apothekenpflicht allgemein existieren nicht zur Bevormundung und Einschränkung der Verbraucher, sondern zu ihrem Schutz.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(21):14-14