Arzneiverordnungs-Report 2017 (Teil 1)

Was verordnen die Ärzte?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Jährlich im Herbst erscheint der Arzneiverordnungs-Report auf Grundlage aller zulasten der GKV abgerechneten Verordnungen. In mehreren Teilen beleuchten wir wichtige Aspekte des GKV-Marktes. Von besonderem Interesse: Wie viel verordnen die einzelnen Arztgruppen?

Die im GKV-Bereich verordneten Arznei- und Hilfsmittel sowie Rezepturen aus Apotheken wiesen 2016 vor allen Rabatten und Eigenanteilen einen Wert von etwa 43,4 Mrd. € mit Mehrwertsteuer auf (+3,1%,„Roh-Taxwert“), davon Versand rund 400 Mio. €. Der reale Kostenaufwand für die GKV und der in der Apotheke effektiv ankommende Nettoumsatz weichen erheblich davon ab, was in einem späteren Beitrag detailliert dargelegt wird.

206.969 Vertragsärzte (+0,75% bzw. absolut +1.548), davon 61.900 Zahnärzte, stellten diese Verordnungen aus. Die Zahl der reinen Hausärzte hat weiter um 0,8% bzw. absolut um 318 abgenommen, dafür sind die hausärztlich tätigen Internisten deutlich mehr geworden (+3,7% oder absolut 543). In der Summe resultiert ein Plus von 225 hausärztlich tätigen Ärzten. Bei den sonstigen Fachärzten dominierten wieder die Pluszeichen, besonders bei den Neurologen (+7,7% oder 148 Ärzte; dafür nahmen die Nervenärzte um 83 ab; hier sind auch Umbenennungen ursächlich), den Kardiologen (+4,5%), den Gastroenterologen (+3,6%) und den Onkologen (+2,7%). Im absolut niedrig dreistelligen Bereich gab es auch mehr Orthopäden, Gynäkologen und Kinderärzte (siehe Tabelle). Von einem eklatanten Ärztemangel kann insoweit keine Rede sein, selbst wenn man die wieder gewachsene Bevölkerungszahl berücksichtigt. Vielmehr haben wir ein Verteilungsproblem, insbesondere ein Stadt-Land-Gefälle. Die hier aufgeführten Arztzahlen geben zudem nur die Vertragsärzte wieder („Kassensitze“). Angestellte Ärzte ohne eigenen „Kassensitz“, in deutlich zunehmender Zahl auch in Praxen zu finden, sowie die vor allem in den Städten wachsenden reinen Privatpraxen bleiben in dieser Statistik außen vor.

GKV-Verordnungsdaten 2016

Die absoluten Rekordhalter nach Wert sind die Onkologen mit jetzt 1,9 Mio. € Brutto-Verordnungsvolumen bei Fertigprodukten. Die Spezialrezepturen (um 3 Mio. € je Arzt) kommen obenauf. Insgesamt betrug der GKV-Bruttowert der ambulanten Onkologika vor Rabatten 5,83 Mrd. € bei 6,3 Mio. Verordnungen – wovon mehrheitlich 250 bis 300 „Labor-Apotheken“ profitieren.

Für die typischen Offizin-Apotheken sind und bleiben Allgemeinärzte und hausärztlich tätige Internisten die wichtigsten Partner. Sie bescheren nicht nur vergleichsweise gute Umsätze, sie führen die Liste der Verordnungszahlen und damit der ausgestellten Rezepte an, sprich, sie sorgen für Frequenz mit einem breiten Indikations- und Bedarfsspektrum. Grüne Rezepte und Zusatzverkäufe schließen sich bevorzugt einem Praxisbesuch dieser Arztgruppen an. Darauf folgen die Kinderärzte; auch hier finden wir recht hohe Verordnungszahlen, aber meist im günstigeren Segment (Durchschnittsverordnung um 25,20 €). Viel bewegt sich hier außerhalb des Kombimodells im Non-Rx-Segment. Für Zusatzverkäufe eignet sich jedoch die Kundengruppe„junge Mütter“ in aller Regel recht gut.

Nervenärzte und Neurologen, ebenfalls umsatzmäßige „Verordnungskönige“, haben – auf allerdings immer noch hohem Niveau – weiter etwas Umsatz verloren, bei jedoch mehrheitlich leicht steigenden Packungszahlen (v.a. Psychiater).

Aus dem früheren Schatten treten die Haut- und Augenärzte immer mehr heraus. Stellten Augenärzte vor zehn Jahren noch im Schnitt 2.110 Fertigarzneimittel-Verordnungen zu rund 28,50 € brutto aus, waren es nunmehr 2.081 Verordnungen zu allerdings etwa 79,50 €. Ähnlich bei den Hautärzten: Vor zehn Jahren 3.120 Verordnungen je 32,40 €, jetzt 2.837 je 79,60 €. Mehr Rezepte bringen diese Ärzte also nicht (eher im Gegenteil), dafür weit teurere! Ähnliche Trends finden sich bei vielen anderen Spezialärzten.

Grundsätzlich handelt es sich bei den Verordnungsangaben um Bruttowerte vor Abzug von Rabatten und Mehrwertsteuer, ohne Sprechstundenbedarf, Nicht-Arzneimittel und Rezepturen sowie ohne Privatverordnungen. Verrechnet man dies alles, dann entsprechen die GKV-Bruttowerte, von denen Abschläge für Mehrwertsteuer, Kassenrabatt etc. zu machen sind, meist doch wieder etwa dem realen Gesamt-Nettoumsatz in der Apotheke. Teilweise liegt dieser sogar höher (Hautärzte mit über 1.000 GKV-Rezepturen jährlich, Frauenärzte).

Eine Überraschung mag der Vergleich mit den Werten von 20 Jahren zuvor sein (siehe Abbildung). Trotz zwischenzeitlicher Änderungen an den Datengrundlagen: Die Packungswerte sind förmlich explodiert, die Packungszahlen, nicht zuletzt durch diverse Reformen, im Langzeitvergleich aber fast durchweg deutlich gesunken. Erst in den letzten Jahren steigen die Verordnungszahlen wieder langsam an.

Fazit

Für Standortbetrachtungen sind die Verordnungswerte ein wichtiger Anhaltspunkt. Allerdings bilden sie nur Durchschnittszahlen auf Ebene der Kassenumsätze ab, welche die facharztbezogen und regional stark streuenden Privatverordnungen außen vor lassen und zudem die Stellung der einzelnen Praxis selbstredend nicht berücksichtigen. Am Ende zählt immer die konkrete Situation vor Ort.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker 72076 Tübingen E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(21):4-4