Emanuel Winklhofer
Hat Ihnen jemand die Artikel unbemerkt in Ihren Wagen gelegt? Oder hat Sie jemand mit der Waffe bedroht? Nein! Sie haben sich verleiten lassen, von den gut präsentierten Artikeln doch noch den einen oder anderen mitzunehmen. So könnte man durchaus sagen: „Sie wurden manipuliert!“ Oder: „Sie haben sich manipulieren lassen!“ Denn es gehören ja immer zwei dazu.
Nur was ins Auge fällt, wird spontan gekauft
Der Spontan- oder Impulskauf zeichnet sich im Gegensatz zum Zielkauf dadurch aus, dass der Kunde ungeplant – also aufgrund eines plötzlich aufkommenden Kaufwunsches – ein bestimmtes Produkt erwirbt. Gründe dafür können z.B. sein:
- ein Preisnachlass,
- eine Neueinführung,
- ein optischer Reiz oder
- eine Promotionaktion.
Spontankäufe lassen sich vom Anbieter bewusst steuern: Es müssen ausreichend viele emotionale oder nutzenbezogene Anreize gesetzt werden, um das Kundeninteresse zu gewinnen und entsprechende Kaufwünsche zu wecken. Der Preis muss dabei in einem Rahmen liegen, der den Kunden nicht dazu bringt, groß über den Kauf nachzudenken.
Ich halte eine entsprechende Angebots-Präsentation durchaus für „positiv“. Denn wenn wir immer nur das kaufen, was wir kennen oder auf unserer Einkaufsliste haben, dann entdecken wir nichts Neues und probieren es auch nicht aus.
Zauberwort „Category-Management“
Der Lebensmitteleinzelhandel und die Drogeriemärkte sind Weltmeister im Impulsverkauf – allein vom Zielkauf könnten sie nicht profitabel existieren. Deshalb wurde von ihnen in den letzten Jahren werbepsychologisch alles ausgelotet, was nur möglich war. Von diesem reichen Erfahrungsschatz können wir in den Apotheken sehr profitieren. Denn die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmungen sind in allen Bereichen des Einzelhandels identisch. Und spontan kaufende Kunden kommen in der Apotheke häufiger vor als bisher angenommen.
Das große Zauberwort heißt „Category-Management“. Bei diesem Konzept werden Artikel aus einzelnen Warengruppen in zusammengehörige Produktgruppen gefasst und als solche dann präsentiert (s. Kasten). Dabei nimmt man die Sicht des Kunden ein. Ziel ist es, durch eine Erhöhung des Kundennutzens eine Ergebnisverbesserung zu erzielen.
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Heutzutage wird es immer wichtiger, sich vom Wettbewerb abzuheben. In den Apotheken wird noch viel zu selten die Chance genutzt, durch eine strategische Sortiments-Zusammenstellung und Warenpräsentation eine zielgruppenspezifische Kundenbindung zu stärken. Das Category-Management zeigt die noch weitestgehend ungenutzten Ressourcen auf, die Apotheken – und übrigens auch Hersteller – nutzen können, um kundenfreundlicher und marktorientierter zu handeln.
Professionelles Category-Management ist äußerst komplex. Es erfordert sehr viel Rechenarbeit und Theorie im Hintergrund. Um diese Komplexität für uns etwas zu reduzieren, wollen wir Category-Management hier vereinfachend als „Optimierung der Sichtwahl“ in der Apotheke verstehen.
Die Aufgabe der Sichtwahl
Die hauptsächliche Impulskauffläche in der Apotheke ist sicherlich die Sichtwahl. Hier wird Geld verdient. Die Freiwahl hingegen hat für den Umsatz und den Ertrag meist nur eine untergeordnete Bedeutung. Durch eine optimale Sichtwahlgestaltung können sich die Kunden schneller orientieren. Sie erinnern sich besser an das, was sie aktuell benötigen – und auch an ihren Zusatzbedarf.
In vielen Apotheken wird die Sichtwahl dazu „missbraucht“, sich selbst die Arbeit zu erleichtern und Laufwege zu verkürzen oder zu vermeiden: Man packt alles, was man immer wieder mal braucht, gleich hinter sich, sodass es greifbar ist. Falsch! Die Aufgabe der Sichtwahl besteht einzig und allein darin, Impulskäufe anzuregen.
Indikationen, die Umsatz versprechen
Es gibt in der Apotheke sechs wichtige Indikationsgebiete, über die sich ca. 75% des OTC-Umsatzes erzielen lassen. Die entsprechenden Präparate sollten deswegen standardmäßig in der Sichtwahl zu finden sein:
1. Erkältung mit Fieber, Schnupfen und Husten,
2. Schmerzen allgemein und Schmerzen topisch,
3. Magen/Darm-Erkrankungen,
4. Hauterkrankungen, saisonal mit Allergie,
5. Herz-/Kreislauf-Erkrankungen,
6. Vitamin- und Mineralstoff-Mangel.
Die einzelnen Indikationen sind hier nach absteigender Bedeutung für den Umsatz aufgeführt. Daraus ergibt sich, dass die Indikationen „Erkältung“ und „Schmerzen“ (als Pflicht-Kategorien) grundsätzlich an der Hauptkasse oder sogar – wenn die Apotheke viele HV-Tische hat – doppelt präsentiert werden müssen. Profilierungs-Kategorien wie z.B. die Phytopharmazie oder Homöopathie sollten eher in den Randzonen gezeigt werden – nicht zuletzt auch, weil sich hier eine sehr gute persönliche, manchmal längere Beratung durchführen lässt.
Die einzelnen Sichtwahl-Elemente können die Indikationen als Überschriften tragen. Oder Sie positionieren den Marktführer im obersten Regalfach als „Indikatorprodukt“. Dann weiß der Kunde von selbst, was sich in diesem Regal befindet.
Schaffen Sie in Ihrer Sichtwahl ein eigenes Regal für Ihre Monatsangebote! Der Kunde soll auf einen Blick erkennen können, was Sie derzeit an preisreduzierten Produkten anbieten. Dabei sollen die Angebote durchaus auch zusätzlich in anderen Regalen an ihrem Standardplatz stehen – und zwar mit einem deutlichen Hinweis auf das aktuelle Preisangebot.
Wie kann ich die Sichtwahl sonst noch optimieren?
Wichtig für die Gestaltung der Sichtwahl ist die Kenntnis einiger Maße bzw. Entfernungen:
- Die Regale der Sichtwahl sind im Allgemeinen 80–100cm breit.
- Die Regalfächer sollten ca. 25cm hoch sein.
- Ein Kunde steht in etwa 2–3m von der Sichtwahl entfernt.
- Die optimale Strecke, die das Auge braucht, um Produkte aktiv zu erkennen und sich daran zu erinnern, beträgt 40cm.
- Alles, was über eine Breite von weniger als 20cm präsentiert wird (wie z.B. eine einzige Reihe mit einem Nasenspray), wird ein Kunde nicht wahrnehmen.
Daraus folgt, dass Sie in Ihrer Sichtwahl „große Blocks“ präsentieren sollten. Denn „Masse verkauft Masse“! Einige weitere Tipps noch in diesem Zusammenhang:
- Pro Regal sollten dem Auge zwei, maximal drei unterschiedliche Produktbilder (Marken) geboten sein. Dabei zählen unterschiedliche Packungsgrößen, die von links nach rechts (N1, N2, N3) aufsteigend angeordnet sind, als ein Produktbild.
- Präsentieren Sie lieber weniger unterschiedliche Produktbilder, aber dafür mehr von den einzelnen Packungen. Diese Regel wird sich im Abverkauf stark bemerkbar machen.
- Platzieren Sie gleiche Marken in horizontalen Blocks, nicht in vertikalen.
- Die Produkte mit den höchsten Abverkäufen gehören in Sichthöhe.
Zahlenmanagement erforderlich
Für die Sichtwahl-Optimierung sind eigene Absatz- und allgemeine Marktzahlen wichtig. So könnte in Ihrer eigenen Abverkaufs-Statistik ein Produkt unterrepräsentiert sein, das allerdings im Markt eine sehr hohe Bedeutung hat. Ein möglicher Grund: Das Produkt wurde in Ihrer Sichtwahl nicht oder nicht ausreichend präsentiert.
Die allgemeinen Absatzzahlen eines Produktes geben Aufschluss über den Bekanntheitsgrad. Ein Schmerzmittel mit einem Gesamtabsatz von 12 Millionen Packungen pro Jahr (Apotheke und Versand) hat einen weit höheren Bekanntheitsgrad als z.B. eine Hämorrhoiden-Salbe mit einen Gesamtabsatz von 800.000 Stück. Dieser Unterschied sollte sich auch in Ihrer Sichtwahl-Präsentation niederschlagen.
Prinzipiell gilt die Faustregel: Was in der Sichtwahl steht, muss mindestens 10–12 Mal pro Monat abverkauft werden.
Beachten Sie allerdings ebenso die Umsatz- bzw. Ertragszahlen. Auch Hochpreiser wie z.B. Ginkgo-Produkte dürfen durchaus in der Sichtwahl vertreten sein: Denn Sie müssen viele Packungen Paracetamol verkaufen, um den Ertrag einer Packung Ginkgo-Kapseln zu realisieren.
Praxistipp: Erstellen Sie sich Listen mit Ihren jeweils 80 absatz- und umsatzstärksten Produkten. Vergleichen Sie diese Listen mit allgemeinen Zahlen (OTC-Manager, IQVIA [=IMS]-Listen). So finden Sie schnell die Produkte, die in Ihre Sichtwahl gehören.
Zeigen Sie Ihre Preise!
Ein Beispiel: Sie entdecken bei Ihrem Einkauf im Supermarkt ein interessantes Produkt. Sie nehmen es aus dem Regal, betrachten es und wollen es möglicherweise kaufen. Sie drehen und wenden die Packung, finden aber keinen Preis. Was tun Sie? Fragen Sie eine Mitarbeiterin nach dem Preis? Oder stellen Sie die Packung wieder zurück ins Regal? Vermutlich werden Sie – wie meisten Menschen – Letzteres tun!
Ein ähnlicher Prozess läuft in der Apotheke ab: Ein Kunde wartet oder wird bedient. Dabei schweift sein Blick über die Sichtwahl. Der Kunde kennt einige Produkte aus eigener Erfahrung oder aus der Werbung und hätte sogar Bedarf, das eine oder andere mitzunehmen. Allerdings kann er seine Überlegung („Kaufe ich? Oder kaufe ich nicht?“) nicht abschließen, da ihm ein wichtiges Entscheidungs-Argument fehlt– nämlich die Preisinformation. Und danach fragen die meisten Menschen eben nicht aktiv.
Deshalb empfehle ich grundsätzlich, die Preise der Sichtwahl-Produkte am Regal zu kennzeichnen. Nutzen Sie dazu bitte optisch ansprechende Möglichkeiten. Auch hier kann z.B. die Präsentation in großen Blocks sinnvoll sein: Wenn pro Regal nur wenige unterschiedliche Produkte präsentiert sind, wird auch die Preis-Kennzeichnung am Regal nicht stören oder unordentlich aussehen. Eine „ruhige“ und gut gefüllte Sichtwahl trägt zur Wohlfühl-Atmosphäre bei! Hingegen halte ich nichts davon, große Preisetiketten auf die Packungen zu kleben, weil damit ein bekanntes Produktbild beeinträchtigt oder zerstört wird.
Lernen von den „Großen“
Dies sollen nur einige Tipps gewesen sein, wie Sie mit relativ einfachen Mitteln ihre Sichtwahl-Gestaltung deutlich verbessern können. Um Category-Management professionell zu betreiben, bedarf es sicherlich einer viel intensiveren Beschäftigung mit dieser Materie.
Sie können allerdings viel lernen, wenn sie mit offenen Augen durch Lebensmittel- und Drogeriemärkte gehen. Betrachten Sie z.B. bei „dm“ die sauber gespiegelten Regale mit großen Blocks. Oder schauen Sie sich an, wie „Rewe“ oder „Edeka“ Produkte gemeinsam mit Zusatzangeboten präsentieren. Viele Gesetzmäßigkeiten aus dem Lebensmitteleinzelhandel sind auf die Apotheke übertragbar. Nutzen Sie die Chance, durch Beobachten anderer Branchen für das eigene Unternehmen zu lernen!
Ein kostenfreies 3-Minuten-Video zum Thema finden Sie auf der Homepage des Autors unter der Rubrik AWA: www.winklho.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(24):9-9