Jasmin Theuringer
Rechtlich gesehen zählen Notdienste zu den sogenannten „Bereitschaftsdiensten“: Der Arbeitnehmer hält sich an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle auf, um dort bei Bedarf die Arbeit sofort aufnehmen zu können. Im Unterschied dazu ist die sogenannte „Rufbereitschaft“ zu sehen: Hier kann der Arbeitnehmer selbst bestimmen, wo er sich aufhält – solange er nur im Bedarfsfall zur Stelle ist.
Notdienste: Teil der vertraglichen Arbeitszeit?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Jahre 2003 verbindlich festgestellt, dass Bereitschaftsdienste – anders als Rufbereitschaften – als Arbeitszeit zählen (Urteil vom 09.09.2003, Aktenzeichen: C.151/02). In der Folge wurde 2004 das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) entsprechend geändert. Dies hat auch für die Apotheken weitreichende Folgen, die jedoch zum Teil in der täglichen Praxis nicht beachtet werden.
Notdienstbereitschaften zählen zwar zur Arbeitszeit, sie werden aber nicht auf die vom Arbeitnehmer geschuldete wöchentliche Arbeitszeit angerechnet. Ein Beispiel: Ein Approbierter mit einem Arbeitsvertrag über 40 Stunden/Woche muss zusätzlich noch für Notdienstbereitschaften zur Verfügung stehen. Er kann sich nicht auf den Standpunkt stellen, von den 40 Stunden bereits zwölf Stunden während des sonntäglichen Notdienstes abgeleistet zu haben. In den Wochen, in denen Notdienste zu übernehmen sind, erhöht sich die vertraglich geschuldete wöchentliche Arbeitszeit also entsprechend.
Sind Notdienste wie reguläre Dienste zu vergüten?
Da im Normalfall während des Notdienstes weniger Arbeit anfällt als während der regulären Öffnungszeiten einer Apotheke, dürfen Vergütungen unterhalb der üblichen Stundensätze vereinbart werden: So liegen die Notdienstvergütungen nach dem Gehaltstarifvertrag deutlich unter dem Stundensatz, den ein Mitarbeiter bei Umrechnung seines Monatsgehalts erreichen würde. Auch nach dem alternativ anwendbaren Bundesrahmentarifvertrag (BRTV) für Apothekenmitarbeiter ist die Notdienstverpflichtung mit einer Vergütung, die um mindestens 13% über dem Gehaltstarifvertrag liegt, abgegolten. Daran, dass eine Vergütung zulässig ist, die unterhalb des üblichen Stundenlohns liegt, ändert auch die Tatsache nichts, dass Notdienstbereitschaften als Arbeitszeit einzustufen sind (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 28.01.2004, Aktenzeichen: 5 AZR 503/02).
Darf der Notdienst länger als die Höchstarbeitszeit sein?
Nach dem ArbZG gilt eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden. Diese Zeit darf auf zehn Stunden verlängert werden, wenn es im halbjährlichen Durchschnitt bei den acht Stunden täglich bleibt. Die Höchstarbeitszeit darf sogar noch weiter „ausgedehnt“ werden, wenn ein Bereitschaftsdienst anfällt. Ein Arbeitnehmer kann also unproblematisch für einen Notdienst eingesetzt werden, auch wenn dieser länger als zehn Stunden dauert.
Ist ein Notdienst vor bzw. nach „normalem“ Einsatz zulässig?
Das ArbZG verlangt, dass einem Arbeitnehmer nach einem Einsatz eine arbeitsfreie Zeit von mindestens elf Stunden gewährt wird. Es lässt allerdings Ausnahmen von dieser Vorschrift zu. Davon hat der BRTV Gebrauch gemacht: Nach §5 BRTV darf ein Notdienst auch im Anschluss an einen regulären Arbeitseinsatz in der Apotheke geleistet werden. Ebenso ist es möglich, nach einem Notdienst direkt weiter zu arbeiten. Erforderlich hierfür sind „dringende betriebliche Gründe“. Diese werden in einer Fußnote zu §5 BRTV definiert als „die durchgehende Aufrechterhaltung des Betriebes“. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn in der Apotheke nicht ausreichend Approbierte beschäftigt sind: Hier müsste die Apotheke geschlossen werden, falls nicht einer der Approbierten, die schon zu den regulären Zeiten arbeiten, auch noch den Notdienst übernähme. In einem solchen Fall ist also ein Notdienst unmittelbar vor oder nach einem regulären Einsatz in der Apotheke zulässig.
Ist das Arbeitsverhältnis nicht tarifgebunden, kann eine entsprechende Regelung auch im Arbeitsvertrag getroffen werden. Fehlt es jedoch an einer solchen Regelung, gilt wiederum das ArbZG. Dann dürfen Notdienste nur verlangt werden, wenn der Arbeitnehmer sowohl vor als auch nach seinem Einsatz mindestens elf Stunden frei hat.
Wie sieht es mit Ruhepausen im Notdienst aus?
Eine zentrale Vorschrift des ArbZG ist §4. Danach muss einem Arbeitnehmer nach einem Arbeitseinsatz von sechs bis neun Stunden eine Pause von mindestens 30 Minuten gewährt werden. Bei Arbeitszeiten ab neun Stunden muss eine Ruhepause mindestens 45 Minuten dauern.
Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, insbesondere der nächtliche Notdienst bestehe aus mehr Pausen als Arbeit, sodass zusätzliche Ruhepausen nicht erforderlich sind. Diese Ansicht ist aber dann nicht mehr haltbar, wenn man sich vor Augen führt, was während eines Notdienstes vom Apotheker verlangt wird: Er muss sich nämlich während der ganzen Zeit in den Apothekenräumen aufhalten und – sobald ein Patient klingelt – unmittelbar die Arbeit aufnehmen. Damit befindet er sich also in einer ständigen „Warteposition“. Und bei Notdiensten an Feiertagen kann er sogar nahezu ununterbrochen im Einsatz sein.
Eine Ruhepause im Sinne des ArbZG liegt aber nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer von jeder Verpflichtung, sich zur Arbeit bereit zu halten, befreit ist. Daher ist die „inaktive Zeit“ während eines Bereitschaftsdienstes keine Ruhepause (BAG, Urteil vom 16.12.2009, Aktenzeichen: 5 AZR 157/09).
Während einer Ruhepause kann zudem nicht vom Arbeitnehmer verlangt werden, sich innerhalb der Apothekenräume aufzuhalten: Er müsste also während des nächtlichen Notdienstes die Möglichkeit haben, für mindestens 45 Minuten die Apotheke zu verlassen. Das aber ist apothekenrechtlich nicht umsetzbar.
Das ArbZG lässt für bestimmte Branchen Ausnahmen von dieser Vorschrift des §4 ArbZG zu, so beispielsweise bei „der Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen“. Diese Ausnahmen sind eingeführt worden, um den Besonderheiten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Rechnung zu tragen (Bundestag: Drucksache 12/5888). Von Apotheken ist jedoch weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung die Rede.
Eine weitere Ausnahme lässt das Gesetz für „außergewöhnliche Fälle“ zu. „Außergewöhnlich“ ist ein Fall dann, wenn er sich nicht vorhersehen lässt. Das gilt z.B. für Betriebsstörungen, die sofort beseitigt werden müssen. Notdienste jedoch sind „vorhersehbar“, werden sie doch im Voraus festgelegt.
Fazit
Als Arbeitgeber befinden Sie sich daher in einem Dilemma: Arbeitsrechtlich sind Sie verpflichtet, Ihren angestellten Approbierten auch während des Notdienstes eine im Voraus festgelegte Zeit zur Erholung zu gewähren. Apothekenrechtlich hingegen müssen Sie die Apotheke während des Notdienstes ständig dienstbereit halten.
Will man von der Vorschrift des §4 ArbZG tarif- oder arbeitsvertraglich abweichen, muss man den Text des ArbZG sehr weitläufig auslegen – und zwar derart, dass auch Apotheken als Betriebe zur „Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen“ zu qualifizieren sind.
Wünschenswert wäre jedoch stattdessen eine ausdrückliche Klarstellung im ArbZG. Bis diese erfolgt ist, findet der ununterbrochene Einsatz von angestellten Approbierten während des Notdienstes in einer rechtlichen Grauzone statt.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(24):14-14