Einstimmung zum Jahresanfang

Die 4,35-€-Apotheke


Prof. Dr. Reinhard Herzog

4,35 € – wird dies die neue Einheit der „Apothekenwährung“, so wie jetzt unsere 8,35 € bzw. 6,86 € Rx-Festzuschlag? Das Honorargutachten legt genau das nahe. Zwar werden im Schaufenster 5,84 € als Vorschlag aufgerufen, in den hinteren Gefilden findet sich dann aber doch noch der hässliche und im Grunde durch die objektive Sach- und Aufwandslage schon längst obsolet gewordene Kassenrabatt von 1,49 € ohne Mehrwertsteuer „on top“. Und dann landen wir bei 4,35 €, ein wenig abgemildert durch einen höheren variablen Aufschlag von 5,0% und durch deutlich höhere Rezepturhonorare. Nur: Wie viele Rezepturen der häufigen Sorte „08/15“ wird es dann noch geben? Der Nachtdienst soll etwas aufgepeppt und die Dokumentation der Betäubungsmittelrezepte lukrativer (aber nicht sinnhafter) werden.

Dafür würden die Rx-Großhandelsrabatte „wegrasiert“, was neben dem „Festhonorar-Kahlschlag“ der größte Brocken wäre. Alles zusammen kann sich selbst in der „Otto-Normal-Apotheke“ zu über 80.000 € summieren – und zwar als Minus, wohlgemerkt nicht auf den Umsatz, sondern auf den jährlichen Ertrag (siehe den Beitrag zum Honorargutachten)! Dagegen wirken die im Schnitt kolportierten 40.000 € Ertragseinbuße laut Gutachten fast niedlich – weil eben unter anderem die Rabatte nicht weiter thematisiert und quantifiziert werden.

Ginge das überhaupt? Lassen Sie uns einen Streifzug durch die deutschen Apotheken machen, mit den scharfen Adleraugen und -krallen eines Consultants bewaffnet und mit heiter-ironischem bis sarkastischem Zungenschlag.

Wir beginnen am Eingang: Freie HV-Platzwahl und direkter Durchgang dorthin? Nicht mehr mit 4,35 €. Da ja die Kompensation im OTC-Geschäft liegen soll, drehen wir den Spieß also um. Drei Dosen Diätgetränke oder ein Hochpreis-Nahrungsergänzungsmittel – und wir lösen Ihr Rezept gleich ein! Der Rest zieht gefälligst Nummern. Rezeptkunden werden nicht mehr „bedient“, sondern die „Fälle“ bearbeitet. Schön einer nach dem anderen. Mit der halben HV-Personalbesetzung (Sie erinnern sich: über 80.000 € wollen eingespart sein). Per Aufruf, wie auf dem Amt. Ein paar provisorische Sitzgelegenheiten gönnen wir den Menschen im Gegenzug schon, wir sind ja gut zu ihnen und „bürgerfreundlich“ (auch wie auf dem Amt). Da dürfte mancher Kunde tatsächlich bedient sein …

Zum HV-Tisch vorgedrungen, imponiert neuerdings eine große Stoppuhr mit zwei Minutenmarken, nämlich für „Kasse“ und „privat“. Darüber ein Schild, wie es die älteren Semester unter uns noch kennen werden: „Fasse Dich kurz“ – das zierte schon die Telefonhäuschen der Vor-Mobiltelefon-Zeit. Das könnte eine Renaissance erleben – bedrohlich groß prangend an jedem HV-Tisch! „Versorgen“ heißt schließlich „versorgen“ – und nicht „quatschen“. Oder sind Sie Ihre Lebensgeschichte schon einmal an der Essenausgabe einer Konzernkantine oder an der Discounter-Kasse losgeworden? Medikationsmanagement können künftig Computer, und ein Ausdruck geht schneller als langes Gerede. Lesebrillen stehen dafür in der berühmten „Griffzone“ bereit, denn das Heil liegt ja ... im Barverkauf!

Aber der Versand! Angesichts der Tatsache, dass hier bereits heute eher rote als schwarze Zahlen geschrieben werden, dürfte selbst dort das Lachen im Halse stecken bleiben – und sich der Spielraum für Boni empfindlich einengen.

4,35 €: Für findige Köpfe vor Ort also „kein Problem“. Ob Apotheken dann noch aussehen, wie man sie heute kennt, darf bezweifelt werden. Was die Kunden dazu sagen? Das wird auch ziemlich egal sein, wenn erst einmal Schlange-Stehen wieder salonfähig geworden ist, da die Hälfte der Apotheken weggestorben ist. Da ist man froh, wenn man überhaupt sein Rezept eingelöst bekommt – mit Glücksgefühlen ähnlich denen, wenn man drei Tage vor Heiligabend am Postschalter seine Pakete losgeworden ist oder in der ehemaligen DDR erfolgreich für Osterhasen zu Weihnachten oder für Bananen angestanden hatte!

Also stellen Sie sich nicht so an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wo ein Wille ist, findet sich ein Weg. Für das große Ganze muss man halt Opfer bringen. Vor allem als Kunde, der trotzdem mit steigenden Beiträgen beglückt werden wird. Für was auch immer!

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(01):15-15