Dr. Andreas Nagel
Unser Gehirn ist stets bemüht, wiederkehrende Handlungen in Routinen zu verwandeln, die dann automatisch ablaufen. Auf diese Weise entlastet es sich von unnötiger Denkarbeit. Viele tägliche Verhaltensweisen laufen daher gewohnheitsmäßig ab: Nach dem Aufstehen etwa müssen die meisten Menschen nicht bewusst überlegen, ob sie zuerst frühstücken oder ins Bad gehen.
Für unser Gehirn ist es allerdings nicht einfach, ein einmal gespeichertes Verhaltensmuster wieder zu verändern. Neue Gewohnheiten lassen sich daher meist nur schrittweise etablieren. Eine Übersicht über die einzelnen Schritte haben wir im Folgenden für Sie zusammengestellt.
Schritt 1: Angestrebte Verhaltensweise definieren
Formulieren Sie die angestrebte Verhaltensweise zunächst so konkret wie möglich. „Ich möchte mehr Wasser trinken“ ist ein ungenauer Wunsch, „Ich werde jeden Morgen und vor jeder Mahlzeit ein großes Glas Wasser trinken!“ dagegen ein messbarer Vorsatz.
Schritt 2: Motivation schaffen
Menschen sind grundsätzlich motiviert, Dinge zu tun, die entweder positive Gefühle hervorrufen oder negative vermeiden. Wenn das neue Verhalten eher als „notwendiges Übel“ empfunden wird, ist es nicht verwunderlich, dass die ersten Bemühungen zur Verhaltensänderung bald wieder eingestellt werden. Beschreiben Sie daher detailliert, welche positiven Konsequenzen das neue Verhalten haben wird bzw. welche negativen Konsequenzen Sie vermeiden können. Werden Sie sich nicht z.B. besser fühlen, nachdem Sie abgenommen haben? Derartige Gründe werden Ihnen helfen, langfristig am Ball zu bleiben.
Außerdem kann es sinnvoll sein, sich regelmäßig für die Einhaltung der neuen Gewohnheit zu belohnen. Legen Sie die Art der Belohnung bereits vorab als zusätzliche Motivationshilfe fest.
Schritt 3: Auslöser „einrichten“
Schaffen Sie geeignete Erinnerungshilfen (z.B. Notizzettel, Hintergrundbilder auf dem Desktop, Einträge im Kalender), um sich immer wieder bewusst an das neue Verhalten zu erinnern. Oft ist es auch möglich, gewohnte Tätigkeiten als Auslöser für das neue Verhalten zu verwenden. So z.B.: „Immer nach dem Zähneputzen mache ich 20 Liegestütze!“ Auch bestimmte Tageszeiten eignen sich dafür (z.B. morgens nach dem Aufstehen).
Schritt 4: Verhalten trainieren
Das neue Verhalten muss zunächst über einen bestimmten Zeitraum bewusst trainiert werden, bevor es zur Gewohnheit wird. Der erforderliche Zeitraum ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich – in der Psychologie werden häufig 30 bis 90 Tage genannt. Erst danach wird das neue Verhalten zur festen Gewohnheit und läuft automatisch ab. Unterscheiden lassen sich dabei meist drei Phasen:
1. Startphase: Das neue Verhalten wird bewusst eingeübt und die erforderliche Disziplin angesichts der Anfangseuphorie problemlos aufgebracht.
2. Widerstandsphase: Die Anfangseuphorie ist verflogen.Das neue Verhalten läuft aber noch nicht automatisch ab, und es besteht die Gefahr, aus Bequemlichkeit in alte Verhaltensweisen zurückzufallen. Machen Sie sich dieses Risiko bewusst und behalten Sie die neue Gewohnheit konsequent bei!
3. Gewohnheitsphase: Das neue Verhalten wird langsam „normal“. Immer seltener müssen Sie sich bewusst daran erinnern, weil es zunehmend automatisch ausgeführt wird.
Vergegenwärtigen Sie sich immer wieder, in welcher Phase Sie sich befinden. Wenn Sie dabei erkennen, dass jede Verhaltensänderung zunächst Anstrengung und Energie erfordert, dann haben Sie beste Chancen für eine erfolgreiche Veränderung.
Zusätzlich können Sie versuchen, sich z.B. während Fahrt- oder Wartezeiten immer wieder vorzustellen, wie Sie das neue Verhalten an den Tag legen. Je häufiger Ihr Gehirn das gewünschte Verhalten real oder gedanklich wahrnimmt, desto schneller speichert es dieses dauerhaft.
Schritt 5: Kleine Schritte wählen
Starten Sie immer mit der einfachsten Form der Verhaltensänderung. Beginnen Sie mit ganz kleinen Schritten, z.B. mit „Morgens drei Minuten joggen“. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich auch bei Lustlosigkeit zu drei Minuten aufraffen können, ist relativ hoch. Einen 30-Minuten-Lauf hingegen lassen Sie vermutlich eher einmal ausfallen. Steigern Sie die Dauer und Intensität erst, wenn das morgendliche Joggen zur Gewohnheit geworden ist. Je leichter Sie den Einstieg gestalten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie dauerhaft am Ball bleiben!
Ein häufiger Fehler ist es, sich mehrere Verhaltensänderungen gleichzeitig vorzunehmen: Wer in einem Aufwasch versucht, durch ein Fitnessprogramm und eine Ernährungsumstellung fünf Kilo abzunehmen, überdies den Fernseher von Montag bis Freitag abgeschaltet zu lassen und außerdem mit dem Rauchen aufzuhören, wird damit kaum erfolgreich sein.
Schritt 6: Verhaltensänderungen kommunizieren
Wenn Sie Ihre Familie, Freunde, Bekannte oder Kollegen über die angestrebte Verhaltensänderung informieren, fühlen Sie sich deutlich stärker verpflichtet, das angekündigte Verhalten durchzuhalten, als wenn Sie die Verhaltensänderung allein „im stillen Kämmerlein“ beschließen. Denn Sie möchten den anderen ja nicht eingestehen, dass sie „aufgegeben“ haben.
Dieser Effekt lässt sich bei Bedarf steigern: Benennen Sie den anderen eine „Strafe“, die Sie sich selbst auferlegen, falls Sie sich nicht an die „Vorgaben“ halten – z.B. 5 €, die Sie an jedes Familienmitglied zahlen, wenn Sie einen Jogging-Termin nicht einhalten.
Schritt 7: Gleichgesinnte suchen
Um neue Gewohnheiten aufzubauen, ist es oft sinnvoll, sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen (z.B. beim Sport oder beim Abnehmen). Das bringt Spaß und Abwechselung. Außerdem motiviert es z.B. bei schlechtem Wetter oder eigener Lustlosigkeit. Denn wer sich mit einem Freund zum Joggen verabredet, wird diesen Termin allein schon deshalb nicht ausfallen lassen, weil er den anderen nicht enttäuschen möchte.
Schritt 8: Rückschläge akzeptieren
Auch Rückschläge und Misserfolge sollten bereits vorab mit eingeplant werden. Die wenigsten Menschen schaffen es auf Anhieb, neue Gewohnheiten von heute auf morgen aufzubauen. Wer sich deshalb vorab mit dem Gedanken anfreundet, dass Rückschläge auftreten können, den trifft der tatsächliche Rückschlag nicht unvorbereitet. Gehen Sie locker mit solchen Rückschlägen um. Werfen Sie Ihre Pläne nicht sofort über Bord, sondern machen Sie unbeirrt mit dem ursprünglichen Plan weiter.
Schritt 9: Alte Gewohnheiten ablegen
Den meisten Menschen fällt es noch schwerer, alte Gewohnheiten abzulegen als neue aufzubauen. Damit das gelingt, sollten Sie definieren, in welchen Situationen bzw. durch welche „Auslöser“ das unerwünschte Verhalten hervorgerufen wird. Überlegen Sie dann, wie Sie diese Auslöser entweder vermeiden können oder welche Verhaltensalternativen es gibt. Falls Sie z.B. Ihren feierabendlichen Fernsehkonsum reduzieren wollen, könnte eine alternative Verhaltensregel lauten: „Wenn ich nach Feierabend eigentlich zur Fernbedienung greifen würde, setze ich mich stattdessen sofort auf mein Motorrad und fahre noch eine Runde.“ Wichtig dabei ist es, eine Verhaltensalternative zu schaffen, die mindestens genauso interessant ist wie das Verhalten, das Sie vermeiden möchten.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(01):12-12