Erste Zahlen des Honorargutachtens

Nukleares Abschreckungspotenzial


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Stückchenweise kommen immer mehr Details des lange erwarteten Honorargutachtens ans Licht. In Internetforen wird getobt, der Blätterwald rauscht. Selten war so viel Beunruhigung im Kollegenkreis spürbar – zu Recht. Lesen Sie selbst, doch setzen Sie sich vorher!

Brandneu zum Redaktionsschluss liegt nun die endgültige Fassung des Gutachtens vor. Die wichtigsten Auswirkungen lassen sich bereits recht klar absehen. Dazu gilt es, die einzelnen Komponenten in ihrer Bedeutung für den Apothekenertrag zu erkennen und zu gewichten. Abbildung 1 illustriert die heutige Rohertragsverteilung – die Bedeutung des Kombimodells ist evident. Schauen wir also auf die „Stellschrauben“, hier eher „Daumenschrauben“. Die folgenden neuen Randbedingungen werden nunmehr vorgeschlagen:

  • Wichtigster Punkt ist das Rx-Kombimodell: Statt 8,35 € (Privatverordnungen) bzw. 6,86 € (GKV nach Kassenabschlag) werden nun 5,84 € bzw. 4,35 € auf Basis der Werte für 2018 vorgeschlagen. Der prozentuale Aufschlag soll dafür auf 5,0% erhöht werden ohne Deckelung (= unsere Rechenbasis) oder alternativ auf 7,2% mit Deckelung bei den Hochpreisern; nach bisheriger Preisbildungslogik wären das 86,93 € plus jeweiligem Festzuschlag.
  • Ähnlich relevant wäre ein neues Großhandelshonorar von 0,96 € als wirklich fester und von nur noch 0,53% als variabler Komponente, die bei Hochpreisern wohl gedeckelt wäre (nach bisheriger Logik: 6,36 € zuzüglich Fixkomponente, also 7,32 €).
  • Aufgebessert werden sollen die BtM-Gebühr (von 2,91 € auf 14,00 €, beides wären aber wohl Bruttobeträge) und der Zuschuss zum Nacht- und Notdienstfonds(NNF) von 0,16 € auf 0,33 € netto je Rx-Packung.
  • Eine Aufwertung erfährt die klassische Rezeptur: Durchschnittlich werden 37 € Arbeitspreis für 2018 angesetzt, dagegen stehen das gekürzte Abgabehonorar (siehe oben) sowie ein ebenfalls nur noch 5,0%iger Zuschlag auf den Materialeinsatz. Empfindliche Kürzungen sind aber für Parenteralia vorgesehen (auf 33 € durchschnittlich statt ermittelter 85 € heute)

Was käme damit auf die Apotheken zu? Wir haben dies beispielhaft für vier unterschiedliche Apothekentypen (s. Kasten) mit einem detaillierten Modell berechnet. Die Ergebnisse finden Sie in Tabelle 1 dargestellt.

Großhandel

Ein interessanter Nebeneffekt der Gutachter-Vorschläge: Gesteht man dem Großhandel nur noch 0,53% variablen Aufschlag zu, fallen trotz dann nicht rabattfähigem, erhöhtem Festzuschlag von 0,96 € dort nach unserer Rechnung rund 400 Mio. € Rohertrag weg.

Im Gegenzug müssten wohl die Rx-Rabatte an die Apotheken weitestgehend gestrichen werden, was die o.a. Einbuße unter dem Strich mit einem deutlich dreistelligen Millionenbetrag zugunsten des Großhandels überkompensieren würde. Die Folge wären „Umgehungsversuche“ über das Non-Rx-Sortiment. Aufgrund des Wertverhältnisses (20% Non-Rx vs. 80% Rx) und der sehr unterschiedlichen Non-Rx-Anteile der einzelnen Apotheken erschöpft sich dies schnell. Ein auch nur näherungsweiser Ausgleich dürfte fast nie gelingen.

Kostenträger

Die Krankenkassen würden unter dem Strich sehr deutlich entlastet – im Wesentlichen durch den Kahlschlag beim Apotheken-Festzuschlag. Erste Modellrechnungen, welche die Ent- und Belastungen in den einzelnen Leistungsbereichen (ohne Parenteralia) summieren und die Mehrwertsteuer berücksichtigen, kommen auf Beträge von etwa 1.200 Mio. € für die GKV und ca. 230 Mio. € für die Privatversicherungen bzw. zum Teil damit auch für die selbstzahlenden Kunden.

Kompensationsmöglichkeiten

Wie könnten die Apotheken die teils sechsstelligen Einbußen (s. Tabelle 1) kompensieren? Das Honorargutachten schlägt dazu Preiserhöhungen im OTC-Bereich vor und kommt auf einen Wert von überschaubaren gut 10%. Abgesehen davon, dass schon allein die Größenordnung nicht stimmt: Aufgrund der sehr unterschiedlichen Aufstellung der Apotheken je nach Lage, Rezeptstruktur und Verhältnis OTC zu Rx ist dieser Ansatz in vielen Fällen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Schließlich wirkt der Versand immer noch als „OTC-Preisdeckel“.

Tabelle 1 zeigt auch die nötigen, prozentualen Preiserhöhungen über das gesamte freigestaltbare Sortiment hinweg (welches nur eine Teilmenge des Non-Rx-Geschäftes ist; schließlich gibt es auch dort preisgedeckelte Verordnungen). Es wären mehr oder minder hoch zweistellige prozentuale Anhebungen erforderlich – in Lauflagen weniger, gerade auf dem Land weitaus mehr.

Fazit

Würden die vorgeschlagenen Änderungen wahr, wären tatsächlich alle (!) Apotheken in seltener Dramatik betroffen. Die Mischung aus stark gekürztem Festaufschlag und Rabatt-Kahlschlag (letzterer wurde bei den Zahlen des Gutachtens nonchalant völlig übergangen, das ändert eben alles!) würde wie eine „Todeskombination“ wirken, die kaum kompensierbar wäre. Seit Jahrzehnten leben die Apotheken wesentlich von ihren Rabatten. Man mag dies als Lebenslüge oder Intransparenz sehen, wegdiskutieren lässt es sich nicht – und das System wurde ein gutes Stück weit so stabilisiert.

Bedenken Sie aber: Es handelt sich „nur“ um ein Gutachten. Bis zu einer Gesetzesvorlage wäre es ein weiter Weg. Und solche Vorlagen erscheinen nie so in Gesetzesform, wie sie eingebracht werden. Wenn es überhaupt dazu kommt! Vielmehr zeichnet sich ab, dass das Gutachten als treffliche Drohkulisse gegenüber weitergehenden Honorarforderungen dienen wird. Motto: Im System steckt genug Geld, streng betrachtet eventuell sogar zu viel. Aber es ist vielleicht nicht richtig verteilt. Wenn der Berufsstand das ändern möchte, dann nur bitte aus der bestehenden Substanz heraus!

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(01):7-7