Prof. Dr. Reinhard Herzog
Das Karussell des Irrsinns scheint sich wieder schneller zu drehen – und mit immer größeren bewegten Summen. Würden wir jetzt zudem noch von den ganzen politischen Wirrungen mit ihren exorbitanten, auf die Zukunft verlagerten Lasten schreiben: Der Platz des ganzen Heftes wäre nicht ausreichend.
Bleiben wir bei einem greifbareren, gleichwohl kuriosen Beispiel: die Kryptowährung Bitcoin. Im Grunde vernunftbegabte Menschen investieren immer höhere Beträge in ein künstlich auf Rechnern nach komplizierten Rechenalgorithmen „erzeugtes“ Währungs- oder zumindest Wert-Äquivalent – bar jeder volkswirtschaftlichen Logik oder staatlichen Aufsicht. Inzwischen gibt es sogar Papiere („Derivate“), mit denen man indirekt auf den Anstieg oder Abfall der Bitcoin-Kurse spekulieren kann, ohne selbst welche zu besitzen. Sozusagen der Irrsinn im Quadrat.
Dazu bemerkte unlängst Alan Greenspan, der hochbetagte ehemalige Chef der amerikanischen Notenbank FED: „Bitcoin ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Menschen Wert schaffen. Das ist nicht rational, doch solange das Vertrauen der Käufer da ist, dass sie ihre Bitcoins wieder verkaufen können, funktioniert es. Menschen kaufen alle möglichen Dinge, die nichts wert sind.“
Man könnte auch sagen: Selten waren sich (Aber-)Glaube, Religion und Wirtschaft so nahe. Und das schwappt zunehmend wieder auf das allgemeine Leben über. Religionen beruhen ja ebenfalls auf den Prinzipien Hoffnung und Glauben, auf Erwartungen und Versprechungen, deren Einlösung – nach dem Tod – ja niemals verifizierbar sein wird. Trotzdem schlagen sich Menschen auf der Suche nach dem „wahren Gott“ und der „Wahrheit“ den Schädel ein – wie politische Ideologen übrigens auch. Bei den Bitcoins bleibt es schlimmstenfalls nur bei empfindlichen Vermögensverlusten.
Was lernen wir daraus? Der Mensch tickt heute nicht viel anders als im Mittelalter oder gar in der Steinzeit, nur auf verfeinerter und ausgebauter Wissens- und Technikbasis, aber eben immer noch nach elementaren Überlebensprinzipien. Aus dieser Erkenntnis machen wir in unserer Gesundheitsbranche und speziell in unseren Apotheken viel zu wenig. Wie der Titel schon suggeriert: Glauben und Vertrauen (gerne zugegebenermaßen mal mit Gier angereichert) sind die härtesten „Währungen“ und öffnen die Geldbörsen für Vieles, sogar für kompletten Blödsinn.
Bei uns in den Apotheken geht es um das kostbarste Gut überhaupt: Das Leben in guter Gesundheit, zumindest in subjektivem Wohlbefinden. Quacksalber wussten sich das schon in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte lebhaft zunutze zu machen. Selbst heute gibt es immer noch moderne Quacksalberei. Aber Emotionalität, gepaart mit durchaus etwas Irrationalität, gehört dazu, wenn man Menschen erreichen und sie zu Investitionen über das unbedingt Nötige hinaus motivieren möchte. Hierzu zählen Geschichten, Hoffnungen, Erwartungen. Gewiss soll man damit nicht leichtfertig spielen, gar Lügen verbreiten, wenn auch als nettes Märchen verkleidet. Das gebietet die Seriosität eines akademischen Berufs.
Dennoch: Ein wenig möchten die Menschen umschmeichelt und von bloßen Aufwand-Nutzen-Erwägungen verschont werden. Sie möchten Geschichten erzählt bekommen, in denen sie die Hauptrolle spielen und die eine gute Chance auf ein Happy End beinhalten. Nennen wir das Ganze „Arzneimittel plus X“. Dieses X ist wohlgemerkt nicht allein die „Rentner-Bravo“ oder eine sonstige materielle Zugabe – und deshalb werden die Kunden es so weder im Versand noch in anonymen „Taubenschlag-Apotheken“ bekommen. Es ist eine Atmosphäre, in welcher unser Gast – für ihn erkennbar – die Hauptrolle in dem einige Minuten dauernden „Film“ des Apothekenbesuchs spielt.
Leider spielt jedoch heute aus der Kundenperspektive viel zu oft der starr-konzentrierte Blick auf den Rechner die Hauptrolle, zudem administrative Dinge wie Rabattverträge, logistische Unzulänglichkeiten oder Probleme, für die der vor uns Stehende gar nichts kann. Versuchen Sie erst einmal im Kopf, den Rollentausch vorzunehmen – und ziehen Sie dann Ihre Konsequenzen für den HV-Alltag!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(02):19-19