„Fragen Sie Ihren Apotheker!“

Wie können wir Pharmazeuten mit dem ständig wachsenden Wissen umgehen?


Karin Wahl

Gefühlt hundert Mal täglich hören wir in der Werbung, dass man sich bei Fragen (auch) an uns Apotheker wenden solle. Dies vermittelt den Eindruck, dass wir alles wissen – was natürlich, gerade bei stetig neuen Erkenntnissen, gar nicht möglich ist. Wie können wir damit umgehen?

2013 schrieb Ulrich Walter, Professor für Raumfahrttechnik, in der „Welt“: „Der Mythos der Halbwertszeit unseres Wissens durchzieht unsere Gesellschaft. Was heute gilt, kann morgen schon falsch sein. Je mehr Erkenntnisse, desto schneller verlieren sie ihre Gültigkeit.“ Fakt ist, dass sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse alle fünf bis zehn Jahre verdoppeln, dass das werthaltige Wissen aber schwindet oder sich ändert.

Warum gerade wir unser Wissen ständig anpassen müssen

Davon sind besonders auch wir Apotheker betroffen: Zum einen gibt es zwar Fakten, die immerwährend gültig zu sein scheinen. Zum anderen kommen aber in rasantem Tempo dauernd neue Erkenntnisse hinzu, die uns zwingen, unser Wissen ständig zu aktualisieren. So wurden beispielsweise im Jahr 2017 laut „Gelbe Liste Pharmindex“ mehr als 30 neue Arzneimittel zugelassen.

Es sei aber auch an ständig aktualisierte Empfehlungen erinnert – etwa an die neuen US-Leitlinien, denen zufolge man nun schon mit einem Blutdruck von 130/80mmHg Hypertoniker ist. Oder an die Diskussion, ob Kaffee in die tägliche Flüssigkeitsbilanz einbezogen werden soll.

Wenn eine Verkäuferin in einem Modegeschäft dem Käufer eine falsche Anweisung zur Pflege gibt und der Pullover dann beim Waschen eingeht, mag das unerfreulich sein. Erteilt hingegen ein Apotheker eine falsche Auskunft zur Einnahme eines Medikaments oder gibt sogar das falsche Medikament ab, kann das gesundheitsschädlich oder sogar tödlich enden. Deshalb hat jeder Bediener die unabdingbare Pflicht, bei Nicht- oder Halbwissen eine andere Person einzubeziehen, die über ein gesichertes Wissen verfügt.

Leider nur ist bei Testkäufen in Apotheken immer wieder festzustellen, dass Mitarbeiter „die Story vom Pferd“ erzählen, wenn sie sich nicht sicher sind. Hinterfragt man dieses Verhalten, erhält man diverse Antworten. Zumeist kristallisiert sich dabei der Zeitdruck als ein Hauptargument heraus. Der zweite Grund ist eine gewisse Bequemlichkeit. Sehr selten werden indes mangelnde Informationsquellen als Argument genannt.

Wo sich Informationen finden lassen

Informationsquellen müssen allein schon laut Apothekenbetriebsordnung (§5) ausreichend vorhanden sein. Allerdings sind viele Mitarbeiter nicht geübt darin, mit diesen Quellen umzugehen. Oft auch wird die neu eingetroffene Pflichtliteratur einfach ins Regal neben die anderen Bücher eingereiht: Wenn etwa eine Apotheke geschlossen wird, finden sich die entsprechenden Werke häufig noch in der Schutzfolie – das gilt übrigens nicht nur für die neuesten Ausgaben! Insofern sollten Sie Ihre Mitarbeiter dazu anhalten, sich in ruhigen Zeiten ohne konkreten Anlass mit dieser Literatur zu befassen.

Zudem empfiehlt es sich, in jeder Apotheke – je nach Größe – ein bis zwei Rechner allein für Recherchezwecke zur Verfügung zu stellen. Einer dieser Rechner könnte z.B. im Beratungsraum stehen.

Bildschirmkassen hingegen sollten in der Regel nicht für die Internet-Recherche genutzt werden – vor allem dann nicht, wenn sich zwei oder drei Bediener eine Kasse teilen müssen. Denn hierdurch kann der fließende Ablauf im Handverkauf erheblich gestört werden. Dies führt möglicherweise auch dazu, dass Ihre Mitarbeiter sich gar nicht erst an einer Recherche versuchen – wenngleich sie eigentlich notwendig wäre.

Als Chef sollten Sie dafür sorgen, dass dem HV-Personal immer – insbesondere auch in Stoßzeiten – ausreichend Informationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen: Nur so können Ihre Mitarbeiter stets qualifizierte Auskünfte erteilen und in jedem Fall das richtige Medikament aushändigen.

Wie Sie Ihre Mitarbeiter sonst noch auf dem Laufenden halten

Zwar steigen die Wissensanforderungen an das Apothekenpersonal in hohem Maße. Allerdings kennt vermutlich keiner Ihrer Mitarbeiter beispielsweise alle neuen Arzneimittel aus der Ausbildung oder dem Studium. Hier sind Sie als Chef gefragt: Unterstützen Sie die Pflicht zur ständigen Fort- und Weiterbildung nicht nur, sondern fordern Sie sie vielmehr massiv von Ihren Mitarbeitern ab!

Inhouse-Schulungen, Seminare oder Webinare sind inzwischen ein Muss geworden – das Angebot wird ja begrüßenswerterweise auch immer größer. Sie sollten dafür sorgen, dass jeder Mitarbeiter regelmäßig an derartigen Fortbildungen teilnimmt – je mehr es dabei in die Tiefe geht, umso besser! So können Sie die Qualität der Beratung für sich und für Ihre Apotheke garantieren.

Denken Sie dabei auch daran, dass sich ein guter Ruf durch eine schlechte Beratung schnell ruinieren lässt – die Mund-zu-Mund-Propaganda ist dabei nicht zu unterschätzen. Im Anschluss braucht es oftmals Jahre, bis der gute Ruf wieder hergestellt ist.

Warum Sie Fragen auch mal später beantworten sollten

Früher waren wir Apotheker stolz, Werte auswendig zu kennen. Das ist heute vorbei! In Zeiten des Internets ist es vielmehr wichtig zu wissen, wo sich die aktuellsten und werthaltigsten Informationen finden lassen.

Einst mag es beinahe schon als „Makel“ gegolten haben, etwas nachschauen zu müssen. Heute hingegen ist es eher ein Zeichen von Verantwortung, wenn man – zumindest bei der Beratung zu nicht alltäglichen Themen – den Kunden oder auch einen anfragenden Arzt „auf später“ vertröstet. Verweisen Sie z.B. darauf, dass Sie die genauen, aktuellen Werte noch einmal überprüfen wollen: Sie werden sie Ihrem Gegenüber dann entweder in wenigen Augenblicken oder später – per Fax, E-Mail, Telefon oder WhatsApp – mitteilen.

Bei solchen Themen hingegen, die im Apothekenalltag immer eine wesentliche Rolle spielen, sollte ein gesichertes, aktuelles Wissen natürlich stets sofort bei allen PTAs und Apothekern abrufbar sein. Dabei müssen Sie als Chef ganz klar festlegen, bis zu welchem Punkt eine PTA selbst berät und ab wann sie an einen Apotheker „übergibt“. Berücksichtigen Sie dabei aber bitte auch, dass jede Berufsgruppe in Abhängigkeit von Alter, Berufserfahrung oder Ausbildungsgrad Wissensdefizite haben kann.

Es ist keine „Schande“, wenn eine PTA mit fünfjähriger Erfahrung als Vollzeitkraft in manchen Bereichen mehr weiß als beispielsweise eine Apothekerin, die aus dem Mutterschutz zurückkommt: Als Approbierte sollten Sie gerne auf eine solch kompetente Quelle zurückkommen und diese Kompetenz auch dankend anerkennen.

Warum wir die Bemühungen um Wissen publik machen sollten

Leider wird ja immer wieder behauptet, wir würden viel zu üppig honoriert – man denke nur an das jüngst publizierte Honorar-Gutachten. Dabei wird der Öffentlichkeit und der verantwortlichen Politik viel zu wenig klar gemacht, welche „Herkulesarbeit“ Apothekenmitarbeiter leisten, um ihr Wissen ständig aktuell zu halten – das gilt sowohl für den Rx- und den OTC-Bereich als auch für die Rezeptur. Nun ist es an uns, dies allen Verantwortlichen bei den Krankenkassen und in der Gesundheitspolitik anhand von konkreten Beispielen aus der Praxis zu demonstrieren.

Fazit

Wir müssen uns anstrengen – jeder für sich und alle gemeinsam als Berufsstand –, unseren Aufgaben gut und verantwortungsvoll nachzukommen. Dabei muss nicht jede Antwort „wie aus der Pistole geschossen“ kommen. Mitunter sind auch eine zeitaufwendige Datenbankrecherche oder ein Telefonat erforderlich – hier geht Sicherheit vor Schnelligkeit! Der Kunde wird es Ihnen danken!

Karin Wahl, Fachapothekerin für Offizinpharmazie, Unternehmensberatung e.K., 70195 Stuttgart, E-Mail: karin.wahl@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(02):6-6