Strategie

Den richtigen Absprung schaffen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Wir erleben momentan in der Politik, was es bedeutet, wenn Spitzenpolitiker derart an ihren Posten kleben, dass selbst jeder Entwickler bester Industrieklebstoffe neidisch wird. Ähnlich geht es vielen Unternehmern, die bisweilen zum Ende ihres Berufslebens ihr ganzes Lebenswerk in Gefahr bringen, Börsianern, die den Ausstieg verpassen, Spielern, die nach einer Gewinnsträhne nicht rechtzeitig vom Spieltisch aufstehen, oder Eltern, die von ihren Kindern nicht loslassen können.

Diese „Klebephänomene“ ziehen sich weit durch unser Leben – bis hin zu den liebgewonnenen Schuhen, die man trotz Loch in der Sohle nicht missen mag. Die nettere, begriffliche Schwester hört auf den Namen „Treue“, bisweilen „irrationale Treue bis in den Tod“. Auch hierfür weisen die große Geschichte sowie viele kleine Lebensgeschichten zahllose Beispiele auf.

Was sind die Motive für solche Verhaltensweisen? Konzentrieren wir uns auf den vornehmlich beruflich-wirtschaftlichen Teil.

Pragmatisch betrachtet stehen oft der Mangel an Alternativen und schlicht Geldbedarf an der Spitze der Liste. Nicht wenige Inhaber haben noch Altschulden oder sonstige Altlasten mit erhöhtem Finanzbedarf offen. Gerne vereiteln diverse Verträge (obenan: Mietverträge) den problemlosen Ausstieg. Somit sitzen viele Inhaber insbesondere kleinerer, schlecht verkäuflicher Betriebe dies schlicht ab und können, einem Häftling gleich, irgendwann eine Strichliste über die verbleibenden Tage führen.

In der milderen Variante erntet man einfach, solange es geht, selbst wenn die persönliche Situation nicht dazu zwingt. Doch der Verkaufserlös ist oft überschaubar und eben ein Einmalbetrag. Da lässt man es lieber lockerer laufen und zieht jedes Jahr einen nicht selten noch hübsch sechsstelligen Gewinn heraus, ohne sich im Idealfall allzu großem Stress auszusetzen. Voraussetzung: Man hat seinen Betrieb entsprechend gut organisiert und entsprechendes Personal aufgebaut.

Auf der Gefühlsebene sind es die Angst vor der Leere und dem Machtverlust, verbunden mit mangelndem Vorstellungsvermögen hinsichtlich der freien Zeit oder fehlenden Interessen abseits des Berufs, welche Unternehmer zu regelrechten „Klammeraffen“ machen. Menschen, die immer nur für ihren Betrieb gelebt haben und zudem der Vorstellung „Arbeit ist mein Ein und Alles“ anhängen, sind ganz besonders gefährdet. Einst sehr mächtige Personen fürchten mit ihrem Machtverlust zudem das Aufkommen der „Jäger und Rächer“, die dann, nicht selten vor Gericht, diese ehemaligen Entscheidungsträger für ihre früheren Fehlentscheidungen und Fehltritte zur Rechenschaft ziehen. Dafür gibt es bei Politikern und Top-Managern eine ganze Reihe prominenter Beispiele.

Intellektuell machen sich zunehmender Starrsinn sowie mangelnde geistige Flexibilität bei gleichzeitiger Überschätzung der eigenen Person und Wichtigkeit bzw. der vermeintlichen Unersetzlichkeit breit. Das Nichterkennen des Verlustes eigener Fähigkeiten, welcher die Zukunftsfähigkeit zunehmend gefährdet, generiert immer größere Probleme. Diese aber spiegeln dem Altinhaber insoweit seine Unersetzlichkeit noch verstärkt vor – eine regelrechte Todesspirale.

Wie machen Sie es besser? Sie kennen sicher den Spruch: „Dein Reden muss besser sein, als es Dein Schweigen gewesen wäre.“ Ähnliches gilt für die eigene Berufstätigkeit als Inhaber: Sie muss bessere Ergebnisse zeitigen, als wenn Sie nicht da wären. Spätestens, wenn Sie mitbekommen, dass es ohne Sie besser läuft als in Ihrer Anwesenheit, sollten die Alarmglocken schrillen. Ungeschminkt ehrliche Selbsterkenntnis ist dann gefragt.

Beugen Sie schon frühzeitig vor, indem Sie einen gesunden Pragmatismus und eine gewisse Distanz entwickeln – so wie Manager, die ja gern mal ihre Position unfreiwillig verlieren. Und wenn das Ende des Berufslebens in Sichtweite kommt, helfen gezieltes Entwöhnen und die ausschleichende Dosierung – wie Sie das bereits aus der Pharmazie kennen. Es gibt tatsächlich ein Leben außerhalb der Apotheke! Manche tun sich mit der Suche danach etwas schwerer als andere, aber: Wer gründlich sucht, der findet!

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(03):19-19