Dr. Michael Brysch
Ein Schwerpunkt der Vorträge und Diskussionen lag auf dem Thema „Digitalisierung“. So verwies Dr. Hans-Peter Hubmann, stellvertretender DAV-Vorsitzender, darauf, dass sich die Digitalisierung zum „Dauerbrenner“ entwickelt habe, der sich nicht mehr aufhalten lasse. Ohne Frage biete die Digitalisierung Chancen. Hubmann nannte als Beispiele die Optimierung von Prozessen, individualisierte Beratungsangebote oder auch eine Steigerung der Beratungsqualität. Allerdings müsse man sinnvoll damit umgehen.
Dies unterstrich auch Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): Man dürfe sich nicht von Digitalisierung und Kommerz treiben lassen. Es sei „nicht der Sinn und Zweck, dass wir etwas digital machen, weil man es digital machen kann. Das Digitale soll uns bei Dingen, die wir machen müssen und möchten, helfen – möglichst unauffällig und möglichst sicher.“
Welche Chancen Digitalisierungs-Risiken bergen
Inwieweit sich die Digitalisierung auch negativ auf die Beziehung zum Patienten auswirken kann, machte Gassen anhand eines Beispiels deutlich: In seiner Praxis sei kürzlich der Strom ausgefallen. Deswegen habe er wieder auf die altbewährten Karteikarten zurückgreifen müssen. Die Folge: Seine Patienten hätten es „gut“ gefunden, dass er nicht mit einem Auge auf den Computer geschielt habe. Gerade wenn das Persönliche betroffen sei, müsse man sehr aufpassen – das gelte nicht nur für Ärzte, sondern auch für Apotheker. Denn Gassen glaubt, dass die Patienten-Apotheker-Beziehung gleichermaßen „mehr ist als ein reines Beratungsgespräch.“ Insofern ist es im Apothekenalltag sicherlich sinnvoll, die Digitalisierung lediglich, wie auch Hubmann betonte, als „Werkzeug“ einzusetzen – zum Wohle der Patienten.
Gassen machte überdies auf eine zweite Problematik aufmerksam: Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von „Dr. Google“ würde man auf der einen Seite häufig mit „völlig abgedrehten Konzepten“ konfrontiert. Auf der anderen Seite allerdings hätten die Patienten durch die Bank weniger medizinisches Basiswissen als früher. So sei häufig nicht einmal mehr bekannt, was ein Wadenwickel sei oder ab welcher Temperatur man von „Fieber“ spreche. Aus dieser Problematik ergeben sich gleichzeitig aber neue Chancen – nicht zuletzt für die Beratung in der Apotheke.
Wie sinnhaft Apps zu gesundheitsbezogenen Themen sind
Dr. Frank Wartenberg, Präsident für Zentraleuropa bei IQVIA, beschäftigte sich unter anderem mit Apps zu gesundheitsbezogenen Themen: Vor rund fünf Jahren habe man in seinem Unternehmen versucht, alle diese Apps im App-Store zu klassifizieren, u.a. nach anatomischen Gesichtspunkten, nach Anwendung und nach Qualität. Den Versuch habe man allerdings aufgegeben, nicht zuletzt aufgrund des rasanten Wachstums: 2013 lag die Zahl dieser Apps noch bei 67.000. Bis 2015 wuchs sie um 148% auf 165.000 und bis 2017 nochmals um 93% auf 319.000 (Abbildung 1). Allerdings würde der Großteil dieser Apps gar nicht erst heruntergeladen (vgl. auch den Beitrag im letzten AWA 9/2018). „Da ist viel Lärm um ganz wenig“, resümierte Wartenberg. Man müsse nur einmal von sich selbst ausgehen und sich überlegen, wie viele Apps man täglich oder aber mindestens einmal pro Woche nutze. Dann würde man sehen, dass es nur sehr wenige seien, die wirklich einen konkreten Nutzen brächten.
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Wartenberg unterteilte die Apps zu gesundheitsbezogenen Themen noch einmal in solche mit dem Fokus auf „Wellness“ und solche mit dem Schwerpunkt „Gesundheitszustand“ (Abbildung 1). Während der Anteil der „Wellness“-Apps in einer Stichprobe der untersuchten Apps 2015 noch bei 72% gelegen hatte, fiel er bis 2017 – ebenfalls in einer Stichprobe – auf 60%. Dementsprechend nahm die Bedeutung der „Gesundheitszustand“-Apps zu (von 28% auf 40%).
Wie Sie die Adhärenz Ihrer Patienten verbessern können
Im Zentrum von Wartenbergs Vortrag stand das Thema „Daten“. Auch hier ergäben sich Chancen für die Beratung. Im Modellversuch sei nämlich bereits gezeigt worden, dass Apotheken dazu beitragen können, die Adhärenz der Patienten zu verbessern und Notfälle deutlich zu reduzieren. Grundlage dafür bildeten solide Daten, aus denen sich etwa darauf schließen lasse, dass bestimmte Patienten höhere Risiken hätten, nicht adhärent zu sein. Relevant sei dies z.B. bei chronischen Erkrankungen, für deren Behandlung Medikamente mit langfristiger Wirkung verschrieben würden: Die Patienten merkten es hier eben nicht unmittelbar, wenn sie die Einnahme vergessen hätten. Eine dahingehende Beratung spiele für die Apotheken „sicherlich eine große Rolle.“
Wie Sie Marktdaten gezielt nutzen können
Schließlich ging Wartenberg auch auf die Bedeutung von Marktdaten für Apotheken ein: Derartige Informationen ließen sich für das Marketing inklusive einer aktiven Preisgestaltung sowie auch für Verhandlungen mit den Herstellern nutzen.
Anhand von Marktdaten könne man beispielsweise sehen, wie hoch der Umsatz mit und der Absatz von bestimmten Arzneimitteln seien. Zudem ließe sich Aufschluss über die Preise der eigenen Apotheke im Vergleich zum Marktumfeld gewinnen. Weiterhin könne man erkennen, welche Therapiegebiete besonders stark wüchsen und ob es in gewissen Indikationen Saisoneffekte gebe. Für Apotheker wichtig sei zudem die Frage, wo die Hersteller in Produkte investieren und welche TV- bzw. Print-Werbungen sie schalten würden. Hierdurch würden Prognosen möglich. So könne man etwa abschätzen, wo eine entsprechende Nachfrage oder auch ein besonders starkes Wachstum zu erwarten sei. Besonders lohne es sich, die „Top 15“ anzuschauen.
Anschließend stelle sich die Frage, ob die eigene Sortimentsgestaltung mit den Daten zusammenpasse. Wenn also beispielsweise der Markt in einem bestimmten Bereich um 7,5% gewachsen sei, man in der eigenen Apotheke aber einen Rückgang von 10% verzeichnet habe, dann hätten andere im Umfeld profitiert. In diesem Falle gelte es, etwa auch durch Gespräche mit Kunden und/oder Mitarbeitern die Ursachen auszumachen und entsprechend zu reagieren. Dabei sollte man sich z.B. die folgenden Fragen stellen:
- Habe ich die richtigen Produkte in der Frei- und Sichtwahl bzw. im Lager?
- Habe ich den richtigen Preis?
- Beziehe ich meine Ware zu den richtigen Konditionen?
- Habe ich das richtige Empfehlungsverhalten?
- Kann ich mein Personal (nochmal) schulen?
Man müsse ein grundsätzliches Verständnis dafür entwickeln, was in der/den eigenen Apotheke/n und was im Umfeld geschehe. Ausschlaggebend seien vergleichbare Apotheken. Denn es mache einen Unterschied, ob eine Apotheke in der Fußgängerzone an der S-Bahn-Haltestelle liege oder in einem Ärztehaus am Stadtrand.
Die Marktdaten könnten dafür sensibilisieren, die derzeitige Geschäftsstrategie zu hinterfragen. Denn schließlich würden sie aufzeigen, wo es noch Potenzial nach oben gebe. Anschließend müsse aber jeder Apotheker den eigenen Kopf einschalten. Nur so lasse sich das Potenzial dann auch tatsächlich nutzen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(10):12-12