Dr. Uwe Weidenauer
Beim „Working Capital“ (im Deutschen auch „Betriebskapital“) handelt es sich finanzmathematisch um die Differenz aus dem Umlaufvermögen (dazu gehören u.a. Vorräte, Forderungen und liquide Mittel) und den kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens. Verfügt ein Unternehmen über ein hohes Working Capital, bedeutet dies, dass große Teile des Umlaufvermögens mittel- bzw. langfristig finanziert sind. Ist dies bei Ihnen der Fall, haben Sie – da die Finanzierung des Umlaufvermögens eben nicht nur kurzfristig abgesichert ist – die Möglichkeit, zumindest Teile dieses Umlaufvermögens kurzfristig freizusetzen. So könnten Sie beispielsweise Ihre Vorräte (sprich: das Warenlager) reduzieren. Damit ist dann gleichzeitig weniger Kapital gebunden, das Ihnen nun an anderer Stelle (z.B. für langfristige Investitionen) zur Verfügung steht. Doch dazu im Folgenden mehr.
Angemerkt sei zuvor noch eines: In der obigen Erklärung ist die verringerte Kapitalbindung gleichbedeutend mit einem verringerten Working Capital. Denn Sie überführen ja Teile des Umlaufvermögens in Anlagevermögen (in Form einer langfristigen Investition). Vorausgesetzt, die kurzfristigen Verbindlichkeiten bleiben gleich, muss also das Working Capital (als Umlaufvermögen minus kurzfristige Verbindlichkeiten) abnehmen.
Gründe für ein großes Warenlager in Apotheken
Einen wesentlichen Einfluss auf das Working Capital in Apotheken hat das Warenlager. Dieses hat mitunter einen Wert von 7%–8% des Jahresumsatzes und liegt demnach in einer durchschnittlichen deutschen Apotheke mit einem Jahresumsatz von rund 2,2 Mio. € bei 150.000 € bis 180.000 €.
Was nun können Gründe für ein großes Warenlager sein? Zunächst steigen die Rabatte für die Waren – und damit die Roherträge pro Packung – in der Regel mit der Einkaufsmenge. Weiterhin ist für eine optisch ansprechende Bestückung der Frei- und Sichtwahl eine recht große Menge an Packungen erforderlich. Und schließlich sollten Sie Ihren Kunden einen optimalen Service bieten. Insofern ist es sinnvoll, die Lieferfähigkeit auf einem hohen Niveau zu halten bzw. sogar noch weiter zu steigern. Allerdings erhöhen Sie durch eine entsprechende Aufstockung Ihrer Lagermenge eben sowohl die Kapitalbindung als auch – gemäß unserer Erklärung – das Working Capital.
Hinzu kommt, dass der Personalaufwand bei einem großen Warenlager relativ hoch ist: Ihre Mitarbeiter müssen sich nicht nur um die Bestellung kümmern, sondern beispielsweise auch die Regale auffüllen und die Artikel nach dem Verfalldatum sortieren.
Möglichkeiten zur Verkleinerung des Warenlagers
Wie aber können Sie Ihr Warenlager verkleinern? Eine Möglichkeit hierfür stellt die Umstellung auf eine Attrappensichtwahl dar. Auf Anfrage sind die meisten Hersteller bereit, Ihnen Leerpackungen zur Verfügung zu stellen. Sinnvoll ist es, diese Leerpackungen zu größeren Attrappenblöcken zusammenzukleben. Somit bleibt die Sichtwahl immer sauber strukturiert und in einer optisch ordentlichen Erscheinung. Die Verkaufspackungen der entsprechenden Produkte werden dann idealerweise im Kommissionierautomaten gelagert.
Wenn Sie überdies Ihren Einkauf umstellen und mehr Artikel als zuvor nicht direkt vom Hersteller, sondern über den pharmazeutischen Großhandel beziehen, können Sie mit einem erheblich reduzierten Warenlager arbeiten. Die Apotheke verliert hierdurch zwar Rabatte und somit Rohertrag. Sie kann aber manuellen/personellen Aufwand bei der Lagerhaltung und somit Personalkosten einsparen. Auch hierdurch lässt sich in toto das Working Capital reduzieren.
Ein Beispiel
Apotheker Maier betreibt seit über 27 Jahren eine traditionsreiche Apotheke in einer mittleren Kleinstadt. Auch die Nachfolge gilt bereits als gesichert: Einer von Maiers zwei Söhnen studiert Pharmazie im zweiten Semester und ist entschlossen, die Familientradition fortzusetzen. In den letzten Jahren haben drei junge Kollegen jeweils Apotheken in der Nachbarschaft übernommen und Maier das Leben zunehmend schwer gemacht. Maier weiß, dass er eigentlich mit der Investition in einen Kommissionierautomaten besser aufgestellt wäre. Vor allem könnte er dann seinem Sohn eine Apotheke mit höherem unternehmerischem Wert übergeben. Doch mit seinen 59 Jahren scheut er die Investition in sechsstelliger Höhe. Insbesondere möchte er keinen größeren Kredit – mit womöglich zehnjähriger Laufzeit – mehr aufnehmen.
Der jährliche Apotheken-Umsatz liegt bei rund 2,5 Mio € (Tendenz fallend) und der Wert des Warenlagers nach Winterbevorratung bei 160.000 €. Mittlerweile hat sich Maier verschiedene Angebote für Kommissionierer unterbreiten lassen. Die entsprechenden Vollautomaten sind auch in der Lage, die Verfallsdaten einzulesen und Packungen nahezu ohne Personalaufwand einzulagern. Die Investitionshöhe von 110.000 € ist für Maier allerdings zunächst eher abschreckend.
Nach reiflicher Überlegung erscheint das Investitionsvorhaben jedoch in einem anderen Licht: Maier hat errechnet, dass er rund 60.000 € an freier Liquidität erhalten kann, indem er möglichst schnell den Bestand in seinem Warenlager abbaut. Dies gelingt ihm zum einen durch eine Attrappensichtwahl, zum anderen dadurch, dass er den OTC-Einkauf von der Direktbeschaffung auf einen Großhandelsbezug umstellt.
Zukünftig gewährt der Großhandel Maier aufgrund des höheren Einkaufsvolumens einen Rabatt von 20% pauschal auf den gesamten OTC-Einkauf. Beim Direkteinkauf hatte der Rabatt über alle OTC-Artikel rund 25% betragen. Weil das jährliche Netto-OTC-Einkaufsvolumen bei etwa 300.000 € liegt, verliert Maier durch die Umstellung einerseits rund 5% Rabatt. Dies entspricht ca. 15.000 € an Rohertrag bzw. Liquidität jährlich. Allerdings nehmen andererseits schon hierdurch die Personal- bzw. Handling-Kosten wesentlich ab.
Weil Maier den Aufwand in der Lagerbewirtschaftung zusätzlich noch durch die Attrappensichtwahl und vor allem den Vollautomaten reduzieren kann, muss er auch die Stelle der PKA, die in diesem Jahr in den regulären Ruhestand geht, nicht mehr neu besetzen. Hierdurch spart er jährlich rund 35.000 € an Personalkosten ein und gewinnt entsprechend an Liquidität.
Gemäß der Investitionsrechnung ist die Anschaffung des Vollautomaten also bereits im dritten Jahr vollständig finanziert (Tabelle 1). Außerdem kann Maier anschließend jährlich mit rund 20.000 € mehr Cashflow aus dem Apothekengeschäft rechnen.
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(10):8-8