Prof. Dr. Reinhard Herzog
Betrachtet man die Lage pragmatisch, wird nunmehr eine de facto schon lange bestehende Sachlage legalisiert – nämlich ein regulärer Botendienst als feste Dienstleistung. Weiterhin darf nicht übersehen werden, dass wir rund 3.000 Versandhandelserlaubnisse im Markt haben, was bisher schon sehr weitreichende Zustellmöglichkeiten erlaubt, u.a. per Post oder mittels fremder Boten, wie z.B. Kurierdiensten. Für die "mit allen Wassern gewaschenen" Marktführer ändert sich somit in aller Regel kaum etwas. Gleichwohl kann ein psychologisches Momentum jetzt dafür sorgen, dass das Thema Zustellung in der Branche verstärkt gespielt wird und Eingang ins Marketing findet. Das setzt alle Beteiligten unter Handlungsdruck.
Wirtschaftliche Betrachtung
Schauen wir zuerst auf die realen Kosten. Hier lassen wir die Backoffice-Kosten außen vor, die z.B. für das Richten der Lieferungen anfallen (ein ähnlicher Aufwand entsteht bei klassischen Nachlieferungen auch). Stattdessen betrachten wir die Fahrzeugkosten und die Löhne der Boten. Tabelle 1 stellt drei Varianten von Botenfahrzeugen gegenüber:
- typischer Kleinwagen: ein kleiner Benziner (z.B. VW up!) in zweckmäßiger Ausstattung mit Navigationssystem und Klimaanlage,
- der gleiche Kleinwagen als Elektro-Variante (z.B. VW e-up!),
- ein Lastenrad mit elektrischem Hilfsmotor (E-Lastenrad) bzw. alternativ ein gleichfalls versicherungsfreies, wertiges E-Bike (max. 25 km/h).
Berücksichtigt sind gängige Förderprämien, so 6.000 € aus Bundesmitteln für kleinere E-Autos oder hier angenommene 1.000 € für ein E-Lastenrad. Bei den E-Bikes bzw. -Lastenrädern gibt es besondere Förderungen, vor allem auch auf Landes- und kommunaler Ebene. Nachfragen lohnt! Welche Anspruchsvoraussetzungen gelten, ist je nach Region unterschiedlich. Gerade "grüne" Unistädte haben diverse Programme aufgelegt.
Wer nun meint, mit einem E-Bike oder E-Lastenrad einen bequemeren und dennoch vergleichbar unkomplizierten Ersatz für seinen "Drahtesel" zu finden, der irrt. Wir haben es hier mit höherwertigen, anspruchsvolleren technischen Gegenständen zu tun, bei denen Wartungen und allfällige Reparaturen deutlich aufwendiger ausfallen. Zudem schwingt bei jedweder E-Mobilität das Thema Akku-Haltbarkeit mit: Nach rund 500 bis 1.000 Ladezyklen ist meistens Schluss – was je nach Nutzung der E-Komponenten bei einem E-Bike schon nach rund 10.000 Kilometern der Fall sein kann.
Was bei einem E-Auto an Wartung und Verschleiß wegfällt, wird – aufgrund des höheren Preises und des kleinräumigen Einsatzgebietes – gern durch höhere Versicherungsprämien aufgewogen. Ein weiterer Knackpunkt von E-Autos ist ihr Wertverlust. Wie stark der ist, steht in den Sternen. Mutmaßlich wird er aber vorerst höher ausfallen, u.a. weil irgendwann ein teurer Akkutausch droht. Zudem beginnt die Entwicklung erst. In einigen Jahren wird es viel bessere E-Autos geben, die die heutigen in der Tat "alt" aussehen lassen werden. Wer heute dort einsteigt, zahlt ein gutes Stück weit eine "First-Mover-Prämie", die durch Fördermittel nicht unbedingt kompensiert wird.
Ergebnisse
Schauen wir auf die Ergebnisse, dann dominieren ganz klar die Lohnkosten für die Boten, darauf folgen die Fixkosten (Wertverlust, Versicherung etc.), und erst am Schluss kommen – angesichts der meist überschaubaren Fahrleistungen – die Verbrauchskosten. Jeder einzelne gefahrene Kilometer rangiert da bei 2 € aufwärts. Dreht man an allen Kostenschrauben und wählt eine sehr günstige Gebrauchtwagenversion (Vorsicht mit den steuerlichen Konsequenzen, u.a. 0,5%- bzw. 1%-Regel!), kann man vielleicht auf nur etwas über einen Euro je Kilometer kommen.
Wie viel eine einzelne Kundenzustellung (Sendung) kostet, hängt von der Gesamtsendungszahl ab, und diese wieder hochgradig vom Auslieferradius. Auf dem Land ist dies ungünstiger als in der Stadt, allerdings verliert man im dichten Stadtgewühl mehr Zeit – morgen wohl noch mehr als heute. Die realistischen Beispielannahmen implizieren Kosten von etwa 3,50 € je Sendung. Das gilt übrigens erstaunlicherweise auch für das Lastenrad. Der Grund: Hier sind die spezifischen Kosten je Kilometer sehr hoch, nicht zuletzt, weil es mit dem Rad meist deutlich langsamer vorangeht (Innenstädte vielleicht ausgenommen).
Wie sieht das Ganze bei höheren Kilometerleistungen aus, z.B. bei 10.000 Botenkilometern statt der 4.000 km in der Tabelle? Der Betriebswirt würde wohl zuerst auf sinkende Kosten je einzelner Zustellung tippen. Das ist nicht notwendigerweise der Fall! Der Grund: Während die Verbrauchskosten je Kilometer gleich bleiben, der Wertverlust auf den Kilometer gerechnet sogar abnimmt, steigen die hohen Lohnkosten relativ gesehen an. Sie betragen nämlich regelhaft etwa 60% bis 80% der Gesamtkosten, bei den muskelbetriebenen Varianten durchaus auch 90%. Somit kommen wir eher auf Beträge von 4 € bis 5 € je Zustellung.
Die exakte Aufteilung hängt jedoch stark von der individuellen Verkehrssituation ab – Sie können das mit Excel durchrechnen (siehe Hinweis am Ende).
Konsequenzen
Botendienste sind eine teure Sache. 3 € bis gar 5 € je Kundenzustellung bei einem durchschnittlichen Rezeptertrag von oft 10 € bis 14 € sind schon eine Ansage. Wohl dem, der gut lieferfähig ist – der erste Schritt zu einem rationellen Botendienst-Angebot.
Ein Erfolgsgeheimnis besteht darin, den maximalen Lieferradius samt Tourenplanung clever festzulegen, jeweils abhängig von den individuellen Ortsgegebenheiten. Bei sehr weiten Zustellwegen sollten Sie ernsthaft über eine Gebühr nachdenken. Die meisten Kunden werden dafür Verständnis haben, insbesondere bei vergleichsweise geringwertigen Artikeln. Alternativ können Sie eine Versendung per Post ins Auge fassen, wobei die Temperaturproblematik hier verkomplizierend wirken dürfte.
Ansonsten sollten Sie Ihren Kunden gezielt Anreize bieten, Nachlieferungen abzuholen. Und denken Sie über Abholfächer nach. Aufgrund der dargestellten Kostenproblematik ohne große "Skaleneffekte" kommt es elementar darauf an, den Anteil der zugestellten Packungen im sehr niedrigen Prozentbereich zu halten.
Service
Für die Berechnung der Verkehrssituation können Sie die Excel-Datei "Botendienst-Kalkulation" benutzen.
Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(23):4-4