Arbeit, Arbeit über alles!

Stupid German Working


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Deutschland ist bekannt für seine Großzügigkeit im Umgang mit Ressourcen, wie man an vielen Beispielen der jüngeren Vergangenheit sieht. Das Meiste läuft unter dem Motto: Extrem viel Aufwand für erstaunlich wenig Ergebnis. Folgerichtig sind wir auch das Paradies für Lobbyisten aller Art. Wir erfreuen uns an niedrigen Arbeitslosenzahlen, die gleichzeitig mit einem der größten Niedriglohnsektoren im Industrieländer-Vergleich einhergehen. Aber was zählt, ist Arbeit! Alles ist gut, was Arbeit schafft! Und sei sie noch so sinnbefreit! Hauptsache beschäftigt! Arbeit statt Leistung und Innovation! Es verwundert daher nicht, dass wir mit unserer kostbarsten Ressource, der Zeit, eben extrem verschwenderisch umgehen. Wenn wir erst einmal mit muskelbetriebenen Lastenrädern unterwegs sind, stundenlang Autoakkus aufladen oder noch länger auf Bus und Bahn warten dürfen (dem Klima gilt es schließlich, deutsche Opfer zu bringen), dann wird die Nutzung unserer Lebenszeit nochmals viel unerfreulicher.

Hierin kann man auch eine perfide Machtmaschinerie sehen. Wer arbeitet und von immer mehr Alltagssorgen umgetrieben wird, ist abends müde und kommt immer weniger zum Nachdenken – was in unserer Gesellschaft aber sowieso zunehmend als gefährlich eingestuft wird. Ein munter weiter wucherndes Bürokratie- und Vorschriften-Dickicht schafft stets aufs Neue viele Bullshit-Bingo-Jobs und prachtvolle Bullshit-Castles – oder raubt den Werktätigen einfach nur ihre kostbare Lebenszeit, ihre Arbeitsfreude und eine Menge Produktivität.

Dies ist ein wesentlicher Grund, weswegen allenthalben die Umsätze wachsen, die Rentabilität und die Innovationskraft aber auf der Strecke bleiben. Interessierte analysieren hierzu einmal deutsche Unternehmensbilanzen. Man mag da an die ehemalige DDR erinnert werden, in der es ja auch keine offizielle Erwerbslosigkeit gab: Jeder arbeitete irgendwie, und war es noch so sinnlos – oder eben politisch opportun, indem man die Mitbürger bespitzelte und kontrollierte. Gewisse Anklänge daran vernehmen empfindliche Ohren heute wieder.

Wie weit der Irrsinn voranschreitet, mögen nur diese Kostproben unseres Berufsalltags illustrieren:

Der Dauerbrenner Lagertemperatur: Diese ist nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands (APD) nicht nur sicherzustellen und zu überwachen, sondern auch stets zu dokumentieren, einschließlich Archivierung der Protokolle. Dazu sei es erforderlich, Ausmaß und Zeitspanne der Abweichungen von den vorgeschriebenen Lagertemperaturen festzustellen und aufzuzeichnen. Hierfür gelten kalibrierte, möglichst webbasierte Datenlogger als aktueller Stand von Wissenschaft und Technik. Das alles beträfe im Wesentlichen auch den Botendienst. Angesichts dieser Wichtigtuerei freuen sich doch gleich wieder diverse Anbieter von Geräten und Ablagesystemen. Bei 19.000 Apotheken kommen da schnell Millionenbeträge zusammen! Aber mal überspitzt: Wie viele Kunden haben bislang deshalb das Zeitliche gesegnet, weil Allerwelts-Arzneimittel durch eine kurzfristige Erwärmung unbrauchbar geworden sind?

Weil es so schön ist, weist die APD bei der Gelegenheit noch auf die Dokumentationserfordernis bei jedweden simplen Identitätsprüfungen von Ausgangsstoffen hin. Damit auch ja niemand an deren Sinn zweifeln mag!

Zu guter Letzt das neueste Schmankerl bei Nichtverfügbarkeit eines Rabattarzneimittels: Da darf man künftig zwar die Sonder-PZN nutzen, die "Abgaberangfolge" wird aber nicht außer Kraft gesetzt. Sie muss so lange durchlaufen werden, bis ein abgabefähiges Arzneimittel ermittelt wurde. Für jeden Rabattpartner sind je zwei Nichtverfügbarkeitsnachweise beim Großhandel einzuholen und zu dokumentieren. Dann darf die Apotheke eines der vier preisgünstigsten Arzneimittel bzw. einen preisgünstigen Import abgeben. Fehlen auch diese, darf das nächstpreisgünstige verfügbare Arzneimittel abgegeben werden – das jedoch nie teurer als das verordnete sein darf. So sieht Arbeitsbeschaffung heute aus!

Im Grunde gehört der Raub von Lebenszeit quer durch die Gesellschaft genauso streng bestraft wie der Raub materieller Güter. Nur säße dann bei uns in Deutschland wohl ein Millionenheer an heute noch achtbar Bediensteten im Knast.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(23):19-19