Zeit zum Umdenken

Arbeit, Arbeit, Arbeit!?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Arbeit scheint unsere wichtigste Ersatzwährung zu sein. Wenn jemand in Lebenskrisen stürzt, weil der Job endet oder die Rente "droht", lässt das tief blicken. Bei hoch kreativen, gestaltenden Tätigkeiten mag man das verstehen. Gerne verschwimmen dort Interessen, Talente, Hobby und Beruf, sodass Letzterer gar nicht als Belastung wahrgenommen wird. Das ist eine bewundernswerte Minderheit. Die große Mehrheit geht primär einer Erwerbstätigkeit nach und bezieht dafür eher "Schmerzensgeld". Hierzulande ist aber der Sozialisierungseffekt so stark, dass es von allen Seiten tönt: "Arbeit, Arbeit, Arbeit!"

Kein Wunder, hängen die meisten Steuern und Sozialabgaben doch direkt oder indirekt an der Lohnsumme. Und so soll, wer nicht arbeitet, am liebsten darben – immerhin auf "Grundsicherungsniveau". Die Idee eines fairen, bedingungslosen Grundeinkommens ist noch nicht reif – auch wenn die jetzt nachrückende Generation das womöglich schon anders sieht. Im Zuge der Coronakrise wird aber gerade diese Generation auf der Maslowschen Bedürfnispyramide eine oder zwei Stufen zurückfallen. Die Bedeutung des Jobs für die reine Existenzsicherung dürfte zunehmen. Arbeitnehmer werden sich kompromissbereiter und flexibler zeigen müssen. Die Zeichen stehen also eher auf strengere Disziplinierung durch den Arbeitsmarkt – auch wenn die Politik gerade andere Signale zu senden versucht.

Doch was zählt eigentlich? Pure Arbeit um der Beschäftigung und Sozialisierung willen – oder nicht viel mehr die Wertschöpfung?

Ein durchschnittlicher Apple-Mitarbeiter erwirtschaftet seit Jahren 1,8 bis 2 Mio. US-$ Umsatz und sagenhafte 400.000 US-$ Gewinn pro Jahr – Wertschöpfung auf Top-Niveau! Andere US- und zunehmend asiatische High-Tech-Konzerne kommen in ähnliche Sphären. Was dort als Pro-Kopf-Gewinn erzielt wird, schaffen hierzulande viele nicht mal als Umsatz. Millionen Beschäftigte scheitern schon an der sechsstelligen Pro-Kopf-Umsatzmarke, vom Gewinn reden wir besser gar nicht. Diese Vergleiche illustrieren die Zielrichtung. Wir arbeiten viel und schaffen wenig Wertschöpfung bzw. Renditen. Der überwunden geglaubte "Arbeiter- und Bauernstaat", diesmal in Grün, klopft wieder an – Perspektive "working poor". Apotheken erzielen zwar Pro-Kopf-Mitarbeiterumsätze von 400.000 € bis 500.000 €, aber nach Unternehmerlohn nur schwach einstellige kaufmännische Renditen – und fahren so meist allenfalls niedrig fünfstellige Pro-Kopf-Gewinne ein, wenn überhaupt.

Dafür werden sehr viele Leute in Lohn und Brot gehalten, auch bei den vielen "Partnern". Alle schlagen sich mehr mit bürokratischen Monstern und der Administration des Irrsinns herum als mit wertschöpfenden Tätigkeiten. Das ist grotesk, aber insoweit systemkonform. Sie wissen ja: Löhne sind alles für unser System, egal für welchen Unsinn bezahlt. Das mag zwar die Arbeitslosenstatistik schönen, aber eine hohe Wettbewerbsfähigkeit erreicht man so nicht. Überall, wo der Staat mit Regulierungs- und Umverteilungsfantasien übermächtig wird, verliert wieder eine Branche den Anschluss. Auch wir Apotheken müssen aufpassen, nicht abgehängt zu werden.

Ein (jedenfalls von den Kunden empfundener) hoher Mehrwert, nachhaltige Qualität und höchste Innovationskraft sind in allen Branchen der Schlüssel zu Wertschöpfung und Renditen. Oft führt das direkt zur Marktführerschaft und zur Preissetzungsmacht. Hat man Prozesse und Kosten u.a. auch mittels kluger Automation im Griff, sind selbst mit Massenprodukten zweistellige Renditen möglich. Führende Generikakonzerne, gar gut geführte "Ramschläden" oder ein exzellent sortierter Bauzubehörhandel zeigen dies (siehe z.B. die US-Aktiengesellschaften Dollar Tree und Fastenal). Sie übertreffen unsere Apotheken rentabilitätsmäßig bei Weitem.

Arbeitsplätze sind eben nicht alles. Wenig wertschöpfende Tätigkeiten en masse können nicht unsere Zukunft sein. Hohe Wertschöpfung schafft die dringend nötigen Verteilungsspielräume. Wir dagegen fördern mit Wonne sogar immer noch mehr un- oder gar kontraproduktive Kontroll-, Verwaltungs- und Bremsertätigkeiten. Allein viel Arbeit und tägliches Treten im Hamsterrad machen eben nicht reich und viel zu selten glücklich. Im Gegenteil, um mit John D. Rockefeller zu sprechen: "Wer den ganzen Tag arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen."

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(05):19-19