Preisfindung mit Köpfchen

Die Qual der Wahl


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Trotz fortbestehender struktureller Probleme im Barverkauf, vor allem im Verhältnis zum Versandhandel, ist es an der "Front vor Ort" im Hinblick auf Preiskämpfe und die Massenwerbung ruhiger geworden. Mit den Masken und Schnelltests stellen sich die Preisfragen aber neu.

Schon im letzten AWA 4/2021, S. 4f., haben wir das Thema Masken und Corona-Schnelltests angesprochen. Hier winken Stückzahlen wie bei keinem Produkt zuvor. Das kurz gefasste Fazit in der letzten Ausgabe lautete: Lieber bescheidenere Stückerträge in der Kasse als Wunscherträge im Regal. Heute vertiefen wir das Thema Preisfindung.

Preisrelevanz ermitteln

Wann ist eine aktive Preispolitik über die Standardkalkulation hinaus sinnvoll? Typischerweise lohnt sich das nur bei absatzstarken Produkten bzw. "Indikator-Artikeln", von denen viele Kunden eine wettbewerbliche Preisvorstellung haben und die geeignet sind, Ihr Preisimage zu prägen. Dienstleistungen oder Spezialprodukte können eine solche Indikatorfunktion ebenfalls erfüllen, selbst wenn der Absatz nicht hoch ist. Gerne trägt eine intensive Werbung dazu bei (selbst wenn sie "am Markt vorbei geht").

Die Preisrelevanz entscheidet sich zudem an der Wettbewerbsintensität. In Städten, wo Letztere hoch ist und sich viele Konkurrenten auf engem Raum konzentrieren, stellen sich Fragen anders als auf dem Land. Doch Vorsicht! Immanent spielt der Versandhandel immer mit, selbst in entlegenen Regionen. Wettbewerbsfreie Zonen gibt es nicht mehr. Dennoch ist der Aufwand für den Kunden unterschiedlich hoch, wenn er nur über die Straße in die nächste Apotheke gehen oder eine Online-Bestellung aufgeben muss. Das kann man begrenzt einpreisen. Analysieren Sie dazu sorgfältig, wie preissensibel Ihre Hauptkundschaft ist.

Informiert sein!

Am Anfang steht die Preisrecherche, und zwar bei den Konkurrenz-Apotheken und gegebenenfalls – je nach Produkt und eigener Ausrichtung – auf anderen Handelskanälen. Weiterhin empfiehlt sich eine Internet-Suche, hier natürlich auch bei den Versendern. Das alles unterbleibt viel zu häufig bzw. wird unzureichend gemacht. Danach bemisst sich dann der "Referenzpreis", also der typischerweise in Ihrem Konkurrenzumfeld verlangte Preis.

Ziele

Formulieren Sie die Ziele, die Sie mit Ihrer Preispolitik erreichen möchten:

  • Bisherige Kunden halten, sprich: Sie nicht vergraulen, aber auch die Preisspielräume nach oben mit Fingerspitzengefühl ausreizen.
  • Neukunden gewinnen bzw. Kundenfrequenz generieren (vor allem in Lauflagen), gerne mit dem Hintergedanken an zusätzliche Rezepteinlösungen.
  • "Absahnen" auf Zeit ("kriegen, was man noch kriegen kann"). Das bedeutet Hochpreispolitik bzw. Ausnutzen vermeintlicher Monopolstellungen.

Diese Ziele werden vom Marktpotenzial quasi eingerahmt. Mit einem Spezialprodukt, das nur 1% der Bevölkerung adressiert, werden Sie Ihre Kundenfrequenz kaum steigern können. Wenn Sie jedoch der Experte für diese enge Zielgruppe sind, kommt bei entsprechendem Kunden-Mehrwert die Hochpreisstrategie in Betracht. Kurzum: Schätzen Sie immer die realistischen Absatzmengen ab!

Ausführliches Beispiel

Was in die Überlegungen alles hineinspielt, soll ein Beispiel zeigen. Greifen wir dazu die künftigen Corona-Kundenselbsttests heraus, die keinen Dienstleistungsanteil mehr umfassen und die zeitökonomisch "über die Theke" gehen sollten.

Als erstes haben Sie ausgerechnet, dass 1.000 Tests pro Monat eine realistische Größenordnung sein könnten. Bei Einkaufspreisen um 4 € verlangen Sie für einen einzelnen Test etwa 8 € bis 10 €. Im Beispiel konzentrieren Sie sich aber auf den viel rentableren Absatz (Ertrag je Einkauf!) von günstigeren 5er-Packungen. Sie binden so zudem die Kunden besser bzw. vermeiden, dass sie einzelne Tests woanders kaufen.

Nun zu den Zahlen: Im oberen Teil der Tabelle 1 sind die Einkaufsstaffeln auf Basis von 5er-Stückelungen abgebildet. Sie bevorraten sich für drei Monate. Natürlich könnten Sie mehr herausholen bzw. preisaggressiver rechnen, wenn Sie mehr als drei Monatsbedarfe ordern würden – was in einem solch hochdynamischen Markt riskant wäre (selbst die drei Monate kann man anzweifeln).

Darunter in der Tabelle findet sich die entscheidendste Information: Wie hängen Preis und Absatz zusammen (Preis-Absatz-Kurve, eine typische zeigt Abbildung 1)? Hier kann man nur schätzen bzw. sich in der Praxis herantasten. Die 100%-Marke wird durch den Referenzpreis markiert. Darauf aufbauend lassen sich die Absatzszenarien für die jeweils verlangten Kundenpreise erstellen, wobei der je nach Absatz-/Bevorratungsmenge differierende Einkaufspreis natürlich einfließt.

Die Billigstrategien (weit unter dem Referenzpreis) verfangen hier nicht – erst recht nicht, wenn man z.B. 3 € festen Aufwand je verkaufter Packung ansetzt. Die daraus resultierenden Deckungsbeiträge werden gar negativ. Tatsächlich liegt hier das Rohertrags- bzw. Deckungsbeitrags-Maximum sogar ein wenig über dem Referenzpreis, aber eben nicht zu viel. Das ist eine Gratwanderung!

Mit anderen Randbedingungen ergeben sich abweichende Resultate. Das rechnet man am besten konkret durch, z.B. mit unserer Excel-Datei (vgl. Service). Sie sehen aber anhand der Summen: Bei solch potenziell absatzstarken Produkten ergibt es Sinn, sich ein wenig tiefer mit dem Pricing zu beschäftigen!

Service

Über diesen OneDrive-Link finden Sie zukünftig weiteres Material und Rechentools des Autors.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(05):4-4