Wie Sie Aktien-Kennzahlen richtig interpretieren

Erst viele Zahlen ergeben ein rundes Bild


Thomas Hammer

Angesichts der anhaltenden Nullzinsphase versuchen immer mehr Anleger ihr Glück am Aktienmarkt. Doch wie lässt sich zuverlässig beurteilen, wie solide ein Unternehmen dasteht? Die wichtigsten Aktien- und Bilanzkennzahlen können bei der Einschätzung helfen.

Wer Geld in Aktien investiert, möchte sich meist nicht allein auf Kaufempfehlungen von Banken und Finanzmedien verlassen, sondern die in Frage kommenden Unternehmen zusätzlich noch selbst unter die Lupe nehmen. Zwar lassen sich mit dieser Prüfung in Eigenregie die Verlustrisiken nicht gänzlich ausschließen. Doch unterm Strich ergibt sich eine klarere Entscheidungsgrundlage, wenn die eigenen Recherchen mit den externen Anlageempfehlungen übereinstimmen. Hilfreich für Sie als Apotheker ist in diesem Kontext, dass Ihnen die Grundstruktur der wichtigsten Kennzahlen aus Ihrer eigenen betrieblichen Praxis geläufig sein dürfte – denn auch bei der betriebswirtschaftlichen Analyse von Apotheken spielen Begriffe wie Cashflow oder Eigenkapitalquote eine zentrale Rolle.

Marktkapitalisierung: Wie viel ist das Unternehmen wert?

Neben der Höhe des Umsatzes und der Anzahl der Mitarbeiter ist die Marktkapitalisierung an der Börse ein wichtiger Maßstab für die Größe eines Unternehmens. Die Berechnungsmethode ist denkbar einfach: Man multipliziert den aktuellen Börsenkurs mit der Anzahl der ausgegebenen Aktien. Anhand der Börsenkapitalisierung lässt sich erkennen, ob ein Unternehmen zu den Schwergewichten seiner Branche zählt. Zusammen mit weiteren Kennzahlen wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis oder dem Umsatz gibt die Marktkapitalisierung auch Aufschluss darüber, wie viel Hoffnung auf künftiges Wachstum im aktuellen Kurs bereits enthalten ist.

Gewinn ist nicht gleich Gewinn

Wie wertvoll ein Unternehmen ist, hängt nicht allein von der Höhe des Umsatzes und von der Zahl der Mitarbeiter ab. Wer Anteile an einem Betrieb kauft, erwartet davon zukünftige Gewinne. Somit sind sowohl der aktuelle als auch der prognostizierte Gewinn wichtige Anhaltspunkte für den Wert eines Unternehmens. Allerdings sollten Sie darauf achten, welche Art von Gewinn das Unternehmen angibt (siehe Tabelle1): Werden wichtige finanzielle Belastungen wie Zinszahlungen für Kredite oder Abschreibungen ausgeklammert, sind die Angaben nur wenig aussagekräftig. Am besten als Vergleichsgröße geeignet ist entweder der Gewinn vor Steuern (EBT) oder der Nachsteuergewinn, bei dem auch die Körperschaftsteuer berücksichtigt ist.

Aus dem Gewinn lässt sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) errechnen, indem die Marktkapitalisierung durch den Unternehmensgewinn geteilt wird. Erzielt beispielsweise ein Unternehmen bei einer Kapitalisierung von einer Milliarde Euro einen Gewinn von 100 Millionen Euro, beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis 10. Diese Kennzahl alleine sagt noch wenig aus, denn sowohl die Gewinnaussichten des Unternehmens als auch die Branche sollten in die Interpretation mit einfließen.

So kann ein hohes KGV von 20 oder noch mehr gerechtfertigt sein, wenn in den nächsten Jahren mit einem starken Gewinnwachstum zu rechnen ist. Bei Unternehmen mit stagnierenden oder gar rückläufigen Gewinnprognosen liegt das KGV hingegen oft sogar im einstelligen Bereich. Je nach Branche kann das durchschnittliche KGV innerhalb des Sektors stark schwanken: So haben Wachstumsbranchen wie Software oder High-Tech oft ein hohes Branchen-KGV, während die klassischen Industriesektoren deutlich niedriger bewertet werden.

Tipp: Prüfen Sie, auf welches Berichtsjahr sich das KGV bezieht. Üblich ist die Bewertung auf Basis der Gewinnprognose für das aktuelle Geschäftsjahr. Manche Aktienanalysten verwenden in ihren Empfehlungen hingegen die Prognose für das kommende Jahr. Wird ein Anstieg des Gewinns erwartet, erscheint durch das dann niedrigere KGV die Bewertung günstiger – allerdings basierend auf dem Prinzip Hoffnung.

Cashflow und Eigenkapitalquote

Der Cashflow bildet die Zahlungsströme des Unternehmen ab und ist ein wichtiges Indiz dafür, wie sich die Liquidität entwickelt. Nicht enthalten im Cashflow sind Erträge und Aufwendungen, die nicht direkt mit einer Zahlung verbunden sind – typisches Beispiel hierfür sind die Abschreibungen (AfA). Offene Forderungen wirken sich wiederum erst dann aus, wenn der Kunde die Rechnung bezahlt.

Aktienanleger können anhand des Cashflows unter anderem einschätzen, ob dieser ausreicht, um einen großen Teil der künftigen Investitionen aus Eigenmitteln zu finanzieren und somit die Kreditaufnahme zu minimieren. Vorsicht ist geboten, wenn ein Unternehmen über längere Zeit einen negativen Cashflow ausweist. Das bedeutet nämlich, dass die Liquiditätsreserven nach und nach aufgebraucht werden und im schlimmsten Fall schon bald die Zahlungsunfähigkeit droht.

Eine weitere wichtige betriebswirtschaftliche Kennzahl stellt die Eigenkapitalquote dar. Sie gibt Aufschluss darüber, welcher Anteil des Betriebsvermögens aus Eigenmitteln finanziert wird. Je höher die Eigenkapitalquote, desto eher kann das Unternehmen eine finanzielle Durststrecke überbrücken, ohne eine Überschuldung zu riskieren.

Je nach Branche kann die typische Eigenkapitalquote sehr unterschiedlich ausfallen: Niedrige Eigenkapitalquoten von 20 Prozent oder noch weniger sind oft in Sektoren mit hohem Investitionsbedarf, wie beispielsweise Energieversorgung oder Telekommunikation, zu finden. In wissensbasierten Branchen wie Software oder Dienstleistung liegen die Eigenkapitalquoten häufig bei mehr als 50 Prozent.

Eine einzelne Zahl sagt nur wenig aus

Erträge für Aktienanleger speisen sich nicht nur aus den Kursgewinnen, sondern zu einem erheblichen Teil auch aus Dividenden. Die zumeist jährlichen Ausschüttungen an die Aktionäre sind häufig – aber nicht zwangsläufig – an den Unternehmensgewinn gekoppelt. So kann ein Unternehmen beschließen, trotz rückläufiger Gewinne die Höhe der Dividende beizubehalten, um die Investoren nicht zu verärgern. Umgekehrt können Dividenden bei steigenden Gewinnen stagnieren oder gar gekürzt werden, wenn für das Management die Rückzahlung von Schulden oder die Finanzierung großer Investitionen eine höhere Priorität haben.

Die Dividendenrendite wird errechnet, indem die Dividende pro Aktie durch den aktuellen Aktienkurs geteilt wird. Für Sie als Anleger ist diese vor allem dann interessant, wenn Sie aus Ihren Aktieninvestments regelmäßige Ausschüttungen erhalten wollen.

Allerdings sollten Sie prüfen, ob die aktuelle Ausschüttung auch langfristig beibehalten werden kann. Weil sich die Dividendenrendite meist auf die letzte Ausschüttung bezieht, ist sie oft gerade dann besonders hoch, wenn sich der Gewinn und damit der Aktienkurs bereits im Sinkflug befindet und eine baldige Kürzung der Dividende zu erwarten ist. Damit gilt dieselbe Devise wie bei allen anderen Kennzahlen: Eine einzelne Zahl sagt nur wenig aus – erst mit der Gesamtbetrachtung des Unternehmens, dem Branchenvergleich und der Einschätzung der künftigen Entwicklung wird das Bild komplett.

Thomas Hammer, Freier Wirtschaftsjournalist, 75443 Ötisheim, E-Mail: th@hammertext.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(03):10-10