Dr. Hubert Ortner
Wie Preiselastizität in der Theorie berechnet wird, wurde bereits im Artikel "Alles eine Frage der Elastizität" beleuchtet. Als einzelne Apotheke die Elastizität von Preisen selbst zu berechnen, ist allerdings weder vielversprechend noch sinnvoll: Ob ein Produkt grundsätzlich elastisch auf Preisänderungen reagiert, hängt nämlich nicht unbedingt davon ab, wo es verkauft wird.
Um zu bestimmen, wie preiselastisch ein Artikel ist, müssen große Datenmengen analysiert werden – idealerweise im gesamten deutschen Apothekenmarkt über einen langen Zeitraum. Dann lassen sich mithilfe statistischer Mittel Wahrscheinlichkeitsaussagen darüber treffen, inwiefern Preisänderungen mit Absatzbewegungen korrelieren.
Gefährliche Abwärtsspirale
Von den Top 1.000 freiverkäuflichen Pharmazentralnummern (PZN) hierzulande sind gut die Hälfte nicht preiselastisch (siehe Abbildung 1). Für diese kann also der Preis theoretisch angehoben werden, ohne dass dadurch nennenswerte Rückgänge beim Absatz zu erwarten sind.

In der Praxis werden jedoch eine Vielzahl unelastischer OTC-Artikel unter AVP ("Listenpreis") verkauft! Preisänderungen werden allenfalls als Reaktion auf einen geänderten AVP vorgenommen, manchmal sogar nicht einmal das. Das erhöht die Gefahr einer Abwärtsspirale aus niedrigen Preisen und daraus resultierenden niedrigen Preiserwartungen – und das alles bei gleichzeitig steigenden Einkaufspreisen.
Praxisbeispiel 1
Dazu ein Beispiel aus der Apothekenpraxis: Thomapyrin Intensiv (20 Stk.) wurde in den letzten zwölf Monaten knapp 2,4 Mio. Mal in deutschen Vor-Ort-Apotheken verkauft. Der AVP wurde in diesem Zeitraum einmal von 8,43 € auf 8,69 € angehoben. Der durchschnittliche reale Verkaufspreis stieg im selben Zeitraum von 7,67 € auf 7,91 € – lag also durchschnittlich immer unter dem AVP. Das zeigt: Obwohl Thomapyrin preisunelastisch ist, nutzen die Apotheken den Spielraum, der sich daraus ergibt, nicht.
Praxisbeispiel 2
Weit praxisrelevanter als die Betrachtung von Durchschnittspreisen ist es, die Auswirkungen eines aktiven Preismanagements an konkreten Beispielen aufzuzeigen. Hier ein sehr plastisches: Wir betrachten eine Apotheke in stark frequentierter Innenstadtlage mit hoher Kaufkraft sowie das Arzneimittel Kadefugin 3 (1 Stk.), das unter den 100 Top PZN liegt. Die Apotheke verkauft davon durchschnittlich 40 Einheiten pro Monat für 11,99 €, der AVP liegt bei 11,97 €. Der Umfeldpreis liegt bei 11,95 €. Aufgrund der besonderen Lage der Apotheke und der niedrigen Elastizität von Kadefugin 3 (1 Stk.) ließe sich das Arzneimittel dort aber auch für 13,99 € verkaufen, ohne dass mit einem Absatzrückgang zu rechnen wäre. Allein dadurch ließe sich der Rohertrag um 67 € pro Monat bzw. gut 800 € pro Jahr steigern.
Praxisbeispiel 3
Die volle Wirkung entfaltet ein aktives Preismanagement aber erst dann, wenn nicht nur einzelne Produkte, sondern das gesamte Sortiment optimiert wird. Dazu ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Wir schauen uns eine Apotheke im ländlichen Raum mit einem durchschnittlichen Umsatz an, die mit ihrem freiverkäuflichen Sortiment in den vergangenen zwölf Monaten Umsatzerlöse von 244.766 € erwirtschaftet hatte. Diese wurden mit 2.577 unterschiedlichen PZN erzielt.
"Obwohl gut die Hälfte der Top 1.000 freiverkäuflichen PZN nicht preiselastisch sind, werden viele unter AVP verkauft. 34% der Apotheken haben in diesem Jahr ihre Preise gar nicht angepasst."
Diese Apotheke verkauft im Durchschnitt bisher unter den Umfeldpreisen, ist also günstiger als ihr lokales Wettbewerbsumfeld. Würden dort die Preise für elastische und mittelelastische Produkte nur auf das Umfeldniveau angehoben und für niedrig elastische Artikel 5% darüber, ließe sich der jährliche Rohertrag bereits um 6.630 € steigern. Würden die beiden ersten Segmente um 1% bzw. 2% über das Umfeldniveau angehoben, dann könnte sich der Apothekeninhaber bereits über eine Steigerung des Rohertrags von 10.300 € freuen. Wenn das mal kein guter Grund dafür ist, ein aktives Preismanagement zu betreiben …
Allerdings ist ein aktives Preismanagement auf breiter Basis mit einem hohen Aufwand verbunden – schließlich müssten die Preise von 850 Artikeln angepasst werden. Und idealerweise sollten die Preise monatlich überprüft und ggf. nachjustiert werden. Ohne eine Automatisierung der entsprechenden Abläufe lässt sich das kaum bewerkstelligen. Dafür winken dann aber auch Rohertragssteigerungen zwischen 3% und 8% für alle Artikel, deren Preise aktiv gemanagt werden!
Lohnenswerte Beschäftigung
Und wie "preisaktiv" sind Apotheken in Deutschland tatsächlich? Fast 34% haben in diesem Jahr ihre Preise noch gar nicht angepasst. Das lässt darauf schließen, dass viele Apothekeninhaber und -leiter entweder nicht wissen, wie sie ihre Preise aktiv managen und damit ihren Rohertrag steigern können, oder sie aber den Aufwand scheuen.
Egal für welche Preisstrategie Sie sich als Apothekeninhaber entscheiden: Sich damit zu beschäftigen lohnt sich angesichts des anhaltend hohen Drucks auf die Erträge definitiv. Es bleibt freilich Ihre Entscheidung, wie Sie das Preismanagement in Ihrer Offizin praktisch umsetzen!
Preismanagement-Lösungen: Worauf es ankommt
Wenn Sie sich für ein kommerzielles Preismanagement-System entscheiden, sollten Sie folgende Punkte berücksichtigen: Die Datenbasis sollte möglichst breit sein und sowohl die realen Verkaufspreise als auch die Umfeldpreise Ihrer Apotheke berücksichtigen. Idealerweise sollten detaillierte Daten zur Preiselastizität über ein möglichst breites Sortiment hinweg Teil des Angebotes sein.
Und wie steht es um die Gefahr, dass ein automatisierter Service die "falschen" Preise empfiehlt, die Preisänderungen also zu Absatzrückgängen führen? Hierzu hat ein namhafter Anbieter (Solvena) eine umfangreiche Auswertung gemacht. Fazit: Die OTC-Absätze der Kunden des True-Price-Preismanagements weichen nicht signifikant von der Absatzentwicklung der Vergleichsapotheken ab, die diesen Service nicht nutzen (Abbildung 2). Es kann davon ausgegangen werden, dass das analog auch für die Lösungen der Mitbewerber gilt, die nach demselben Prinzip arbeiten.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(17):10-10