Dienstleister in schwierigem Fahrwasser

Die Kette reißt am schwächsten Glied


Prof. Dr. Reinhard Herzog

"Noventi in Not": Das lässt die Wellen hochschlagen, handelt es sich doch um den größten Apotheken-Dienstleister. 20 Mio. €, nicht gerade Kleingeld, muss nun der Trägerverein FSA e.V. mit knapp 4.000 Apothekenmitgliedern lockermachen, damit Banken mitziehen und die Liquidität sicherstellen. Im Gegenzug werden bis zu 460 Stellen (etwa 20% der Belegschaft) abgebaut, Kosten gestrafft, EDV-Linien eingestellt, der Beteiligungsdschungel gelichtet: Das nennt man wohl harte Sanierung. Was ist davon zu halten? Reminiszenzen an die AvP-Pleite werden wach, auch wenn die Sachlage hier eine andere ist. Doch was droht, sollte dieser Konzern straucheln, und welches Schlaglicht wirft das auf die Stabilität des Apothekensystems insgesamt?

Ein Blick in den Noventi-Jahresbericht für 2021 weist 235,5 Mio. € Umsatz aus, ohne "sonstige Erträge" und "aktivierte Eigenleistungen". Gut 40% stammen aus IT-Dienstleistungen, knapp 60% aus dem Abrechnungsgeschäft. 121 Mio. € sind Personal- und 98 Mio. € sonstige Material-, Sach- und Betriebskosten. Das macht insoweit einen Gewinn auf Ebene EBITDA (= vor Abschreibungen, Zinsen und Steuern) von rund 16 Mio € oder knapp 7% vom Umsatz. Es gibt schlimmere Bilanzen. Lassen wir mal an dieser Stelle weg, dass die zahlreichen Beteiligungen und "digitalen Ausflüge" eher etwas kosten als einbringen – der Pferdefuß liegt woanders. So betragen die Bankverbindlichkeiten um 105 Mio. €, zwar weitestgehend kurzfristiger Natur, aber bereits gut das Sechsfache des EBITDA. Die Verbindlichkeiten aus dem Abrechnungs- bzw. Factoring-Geschäft betrugen 2021 stolze 929 Mio. €, 2020 gar 1.360 Mio. €. Alles in allem kam man 2021 aber noch mit 6 Mio. € für Zinsen hin.

Viele dieser auf den ersten Blick enormen Summen sind quasi durchlaufende Posten, einiges wird u.a. den Apotheken vorfinanziert, aber die Krankenkassen zahlen mit genau planbarem Nachlauf bislang stets pünktlich. Wehe, dieser Geldmotor käme ins Stottern, und die Zahlungen würden nur einige Wochen nicht geleistet werden (können) – das käme einer finanziellen Neutronenbombe gleich. Vergessen wir nicht: 30 Mrd. € betrug das Noventi-Abrechnungsvolumen, wovon die Apotheken gut 20 Mrd. € brutto ausmachen dürften, der Rest kam aus sonstigen medizinischen Einrichtungen. Doch auch ohne den "worst case" illiquider Kostenträger haben steigende Zinsen angesichts der Ertragslage empfindliche Auswirkungen, vor allem, falls Banken Risikoaufschläge verlangen. Wenn dann kleinteiliges Standesdenken auf knallhartes Großkapital trifft, steht der Verlierer meist fest.

Allzu viel schiefgehen darf nun bei Noventi nicht. 460 Stellen entlasten um geschätzt 25 Mio. €. Die Trennung von EDV-Linien kann Kundenverlust bedeuten, spart aber operativ "à la longue" viel. Bereits Bruchteile eines Promilles höhere Abrechnungsgebühren entfalten einen erheblichen Einnahmehebel. Das Unternehmen sollte somit angesichts vieler Stellschrauben wieder in die Spur kommen, sofern nicht eine massive Vertrauens- und Kundenerosion einsetzt.

Schlimmstenfalls müssten es neue Regularien richten. Dazu dürfte eine feste Honorierung der Abrechnungsleistungen gehören, die so dem offenbar ruinösen Wettbewerb entzogen würde. Ein "kleines Kombimodell" – z.B. 20 Cent je Rezeptblatt plus 0,1% der Taxsumme – könnte diesen systemrelevanten Part in der Apotheken-Wertschöpfungskette mitsamt einem Risikopuffer absichern, auch wenn das aus marktliberaler Sicht gar nicht schön wäre. Wenn man denn im Zeitalter von E-Rezepten noch die Extrameile über einen externen Dienstleister gehen will. Aus Sicht heutiger Abrechnungstechnik und -bürokratie scheint das naheliegend. Kreativ "out of the box" gedacht sind aber effiziente, direkte und billigere Abrechnungsprozesse denkbar.

Der Noventi-Paukenschlag dürfte nun die Latte, das Abrechnungsgeschäft neu zu denken, ein gehöriges Stück höher heben. Nicht nur hier hängen ja noch Apotheken-Warenwirtschaftssysteme dran, die mit in den Strudel gerissen werden könnten samt aller Konsequenzen. So wird es wohl darauf hinauslaufen, dass die Apotheken auf längere Zeit den "digitalen Heizer auf der E-Lok (alias E-Rezept)" finanzieren. Wenn es damit gelingt, die kritische Sollbruchstelle "Abrechnung" zu stabilisieren, soll es recht sein, wenn auch nicht ganz billig. Noch spielt allerdings die Musik des freien (Abrechnungs-)Marktes.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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