Prof. Dr. Reinhard Herzog
Manchmal sind es kleine Anlässe, die den Kamm schwellen lassen –hier ist es die Bewerbung einer PTA-Anwärterin, einer inzwischen raren Spezies, sodass man seine Anforderungen von vornherein (im Grunde unbotmäßig) zurückschraubt. Was aber heute teilweise geboten wird, spottet jeder Beschreibung. Vor nicht allzu langer Zeit wäre so etwas kommentarlos in der (heute digitalen) „Rundablage“ entsorgt worden. Offenbar geht jedes Scham- und Ehrgefühl verloren, denn so etwas wie eine Bewerbung steht ja doch stellvertretend für die eigene Person. Aber das erleben wir nun quer durch unsere tolerante, bunte, diverse Gesellschaft. Schämen muss man sich für rein gar nichts mehr – wenn man nicht gerade an der falschen Stelle gegen den Strich bürstet und schlicht gecancelt wird. Eine vielfältige, lebhafte und insoweit kraftvoll-kreative Gesellschaft ist das eine, ja Wünschenswerte. (Wohlstands-)Verwahrlosung, Ideologisierung, die Bemäntelung schlichten Leistungsunwillens und mangelnder Fähigkeiten durch vermeintliche Toleranz sind jedoch das andere: „Everything goes, but nothing works.“
In seiner postapokalyptischen Novelle “Those Who Remain“ schreibt G. Michael Hopf im Jahr 2016: „Strong men create good times. Good times create weak men. Weak men create bad times. Bad times create strong men." Wir befinden uns wohl im dritten Viertel dieser Abfolge, bevor schlechte Zeiten womöglich noch viel schlechtere, aber eben wieder starke Führer hervorbringen. Die Geschichte sollte Warnung genug sein.
Was machen wir daraus? Sollen wir die Ansprüche immer weiter herunterschrauben und uns dem Pragmatismus hingeben? Vergrößern wir einfach die Wohlfühloasen und Komfortzonen immer weiter, egal, wie es um uns herum in der Welt aussieht? Ergehen wir uns in Schein-Qualifikationen, punkten und schulen wir uns zu Tode, halten wir das Schild hoch, auch wenn die vielen Papier-Qualifikationen nur eine hohle Hülle sind – mehr Schein als Sein, weil eben der harte Kern und Unterbau fehlen? Oder reaktivieren wir einmal wieder die fünf ungeliebten Buchstaben, bevor es – siehe den Zyklus oben – unvermittelt über uns fremdbestimmt hereinbricht: Härte!
Erinnern wir uns an den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Agenda 2010, die er vor 20 Jahren im März 2003 (Deutschland war damals der „kranke Mann Europas“) in einer vielbeachteten und kritisierten Rede verteidigt hat: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern, und mehr Eigenleistung von jedem einzelnen abfordern müssen […]."
Schon früher übrigens, nämlich 1997, sorgte mein Namensvetter (ohne jede verwandtschaftliche Beziehungen), Bundespräsident Roman Herzog, mit seiner „Ruckrede“ für Aufsehen. Man findet sie im Internet – selten war sie so aktuell, obwohl über 25 Jahre alt. Eine seiner Quintessenzen: „Aber es ist auch noch nicht zu spät. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen – die Großen mehr, die Kleinen weniger –, aber es müssen auch alle mitmachen."
Was erleben wir heute? Das politisch opportune Zurechtbiegen der (Natur-)Wissenschaft, gern verbunden mit der Beleidigung des Intellekts liberal denkender Bürger im Gefolge eines Lebens in Wunschwelten. Der Staat lässt sich im Gegenzug mit großzügigen Volks-Sedativa nicht lumpen: „Doppel-Wumms“, Geld hier, Sozial-Schminke dort, vielleicht bald Cannabis für alle. Und immer eine kräftige Schippe Regulierung obenauf.
Nur gilt nach wie vor: Leistung (nicht bloße Arbeit!) ist die Grundlage allen Fortkommens. Wie sprach John F. Kennedy: „Unsere Probleme sind von Menschen gemacht, darum können sie auch von Menschen gelöst werden.“ Aber wir müssen wollen. Wandel beginnt von unten im Kopf der Einzelnen, bevor dann die Treppe politisch von oben nach unten gekehrt werden kann.
Fordern Sie mehr ein, im Betrieb wie nach außen. Verbinden Sie Härte mit Intelligenz, Charme und Vorbildcharakter. Belohnen Sie großzügig bei Erfolgen. Und machen Sie im Berufsalltag mal den Schröder – oder den Herzog, welchen auch immer. Denn: Nur Kuchen, die gebacken sind, können verteilt werden.
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
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