Prof. Dr. Reinhard Herzog
Historisch betrachtet kann man tatsächlich sagen, dass die ABDA über sich selbst hinausgewachsen ist. Ihr Forderungskatalog setzt eine ganze Reihe dicker Ausrufezeichen, hier kurz zusammengefasst:
- Erhöhung der fixen Rx-Packungspauschale von derzeit 8,35 € (ohne Zuschläge für Dienstleistungen) auf glatte 12,00 €. Der preisabhängige 3 %-Aufschlag soll dagegen unangetastet bleiben. Das Honorar soll zudem automatisch dynamisiert werden.
- Eine nicht näher bezifferte „Pauschale für jede Betriebsstätte“, letztlich wohl als Strukturpauschale für Standorte in der Fläche zu verstehen.
- Erleichterte Abgaberegeln, keine Nullretaxation und Haftung für Herstellerabschläge mehr.
- Bürokratieabbau, zudem die Präqualifizierung überdenken oder ganz abschaffen.
- Separat honoriertes Lieferengpassmanagement (21 € je Fall).
- Förderung Medikationsmanagement und Ärztekooperation.
Rx-Packungspauschale
Kernpunkt ist das Rx-Packungshonorar. Erwünscht ist, wie erwähnt, eine Erhöhung des Festzuschlags von 8,35 € (ohne Zuschläge für Notdienste und pharmazeutische Dienstleistungen) auf glatte 12,00 €, unter Beibehalt des 3 %igen Aufschlags auf den Listeneinkaufspreis. Mit + 3,65 € je Packung wäre es der größte Cashflow-Hebel. Bei 740 bis 750 Mio. Rx-Fertigarzneimittelpackungen käme ein Apotheken-Mehrertrag von etwa 2,7 Mrd. € zusammen, 150.000 € je Betrieb heute, 2024 eher um 155.000 € v. a. wegen sinkender Betriebszahlen. Die Kostenträger müssen die Mehrwertsteuer obenauf veranschlagen und kämen auf 3,2 Mrd. € Mehrkosten. Pro Beitragszahler (GKV und PKV) wären es gut 4 € monatlich.
Realisierungschance: In dieser Höhe, falls nicht Wunder geschehen, nicht näherungsweise realistisch. Tabelle 1 zeigt, basierend auf detailgenauen Modellrechnungen, die Auswirkungen erhöhter Rx-Festaufschläge für die statistische Durchschnitts-Offizin, hochgerechnet auf die Jahre 2023/2024 mit zu erwartender Marktentwicklung und in Stufen von 8,35 €, 10,00 € und 12,00 €.
2023 |
2024 prognostiziert |
|||
Rx-Honorar Fixanteil netto |
8,35 € |
8,35 € |
10,00 € |
12,00 € |
Rx-Packungen |
42.000 |
43.000 |
43.000 |
43.000 |
Umsatz netto |
3.200.000 € |
3.360.000 € |
3.431.000 € |
3.517.000 € |
Rohertrag (Nettospanne) |
690.000 € |
715.000 € |
786.000 € |
872.000 € |
… davon Honorare ** |
25.000 € |
25.000 € |
25.000 € |
25.000 € |
Personalkosten |
330.000 € |
350.000 € (49,0 %) |
350.000 € |
350.000 € |
sonst. Betriebskosten |
160.000 € |
168.000 € |
168.000 € |
168.000 € |
... davon Energiekosten |
24.000 € |
20.000 € |
20.000 € |
20.000 € |
Zinsen |
12.000 € |
12.000 € |
12.000 € |
12.000 € |
= Cashflow vor Steuern |
188.000 € |
185.000 € |
256.000 € |
342.000 € |
Abschreibungen |
30.000 € |
30.000 € |
30.000 € |
30.000 € |
sonst absetzbar* |
45.500 € |
47.000 € |
47.000 € |
47.000 € |
= zu versteuern |
112.500 € |
108.000 € |
179.000 € |
265.000 € |
Einkommensteuer etwa |
27.500 € |
24.700 € |
55.700 € |
95.100 € |
Tilgungen |
30.000 € |
30.000 € |
30.000 € |
30.000 € |
= Netto-Einkommen*** |
102.900 € |
101.900 € |
141.900 € |
188.500 € |
Personalkosten plus 20 % |
(--) |
= zusätzliche Personalkosten von jeweils 70.000 € |
||
= Cashflow vor Steuern |
(--) |
115.000 € |
186.000 € |
272.000 € |
= Netto-Einkommen*** |
(--) |
48.600 € |
102.500 € |
150.300 € |
* zwei Kinder-/Betreuungsfreibeträge, verheiratet, gesetzliche Höchstbeiträge zu Rente und Krankenkasse
** Not- und Botendienst, Btm, Rezepturen
*** Gewerbesteuer durchlaufend (bei 380 % Hebesatz) bzw. vernachlässigt
Dabei wird die bisherige Kostenentwicklung fortgeschrieben und in den unteren Zeilen noch eine Lohnkostensteigerung um zusätzliche 20 % simuliert. Diese 20 % mögen das Lohnniveau auf ein konkurrenzfähiges Niveau heben oder etwaige Personallücken füllen. Zu bedenken ist, dass bereits im „normalen“ Lohnkostenansatz (Ø um 10 % vom Umsatz / um 45 % bis 48 % vom Rohertrag) ein übertariflicher Anteil enthalten ist, wie er im Schnitt eben bezahlt wird.
Es bleibt festzuhalten, dass selbst nach Lohnaufbesserung (würde diese im übrigen real so erfolgen?) ein Einkommensniveau erreicht würde, welches jenes niedergelassener Haus- oder Kinderärzte deutlich übersteigen würde. Von Notaren abgesehen, würden die Apotheken im Kontext der Freiberufler (Anwälte, Architekten, Steuerberater usw.) an der Spitze stehen. Es sei gegönnt, muss aber gegenüber der Politik schon dargestellt werden, warum die Apotheken ein solches Vergütungsniveau verdienen.
Durchschnitt ist das eine. Doch spaltet sich die Apothekenlandschaft immer weiter. Tabelle 2 zeigt die Auswirkungen von 12,00 € Wunsch-Packungshonorar für drei unterschiedlich große Apotheken mit 25.000, 45.000 und 75.000 Rx-Packungen jährlich (kleine, Center- und Ärztehaus-Apotheke).
klein |
Center |
Ärztehaus |
|
Rx-Honorar Fixanteil netto |
8,35 € |
8,35 € |
8,35 € |
Rx-Packungen |
25.000 |
45.000 |
75.000 |
Umsatz netto |
2.000.000 € |
3.500.000 € |
6.000.000 € |
Rohertrag (Nettospanne) |
450.000 € (22,5 %) |
986.000 € (28,2 %) |
1.162.000 € (19,4 %) |
… davon Honorare ** |
24.000 € |
22.500 € |
35.000 € |
Personalkosten (% v. Rohertrag) |
200.000 € (44,4 %) |
450.000 € (45,6 %) |
550.000 € (47,3 %) |
sonst. Betriebskosten |
116.000 € |
260.000 € |
270.000 € |
... davon Energiekosten |
16.000 € |
25.000 € |
22.500 € |
Zinsen |
4.000 € |
15.000 € |
15.000 € |
= Cashflow vor Steuern |
130.000 € |
261.000 € |
327.000 € |
Abschreibungen |
12.000 € |
45.000 € |
45.000 € |
sonst absetzbar* |
47.000 € |
47.000 € |
47.000 € |
= zu versteuern |
71.000 € |
169.000 € |
235.000 € |
Einkommensteuer etwa |
12.200 € |
51.000 € |
81.800 € |
Tilgungen |
12.000 € |
45.000 € |
45.000 € |
= Netto-Einkommen*** |
77.200 € |
136.600 € |
171.900 € |
2024 hochgerechnet mit 12,00 € Rx-Fixkomponente |
|||
= Cashflow vor Steuern |
221.300 € |
425.200 € |
600.800 € |
= Netto-Einkommen*** |
133.000 € |
226.600 € |
324.300 € |
+ halbe Stelle Approbierte + PTA |
jeweils zusätzlich 80.000 € Personalkosten |
||
= Cashflow vor Steuern |
141.000 € |
345.200 € |
520.800 € |
= Netto-Einkommen*** |
85.200 € |
182.000 € |
279.800 € |
* zwei Kinder-/Betreuungsfreibeträge, verheiratet, gesetzliche Höchstbeiträge zu Rente und Krankenkasse
** Not- und Botendienst, Btm, Rezepturen
*** Gewerbesteuer durchlaufend (bei 380 % Hebesatz) bzw. vernachlässigt
Auch hier wurde eine fallgerechte Variante ohne und mit Personalkostenaufstockung betrachtet. So „gönnen“ wir hier den Apotheken zusätzlich eine halbe Approbierten- und PTA-Stelle (wo die praktisch herkommen sollen, steht auf einem ganz anderen Blatt), alternativ eine kräftige Lohnanpassung. Die Kosten sollen sich dafür auf 80.000 € belaufen (48.000 € für Approbierte und 32.000 € für PTA).
Im Ergebnis wird die kleine Apotheke so halbwegs stabilisiert, das Plus der größeren Apotheken ist aber zumindest erklärungsbedürftig.
Dynamisierung
Wunschtraum ist ein automatischer Dynamisierungsmechanismus. Das kommt schon einer Beamtenposition nahe – obwohl: Auch beim Staat wird jährlich immerhin verhandelt. Damit wären wir bei den operativen Fragen: Woran soll die Dynamisierung festgemacht werden? An der Inflationsrate? An der Lohnentwicklung? An einem Apotheken-Kostenpanel? Wie beziehen wir den Einfluss der bislang stets steigenden Packungswerte und die erzielten Einkaufsrabatte mit ein? Weglassen kann man das nicht, hat dies in der Vergangenheit doch dazu geführt, dass die Roherträge aus den Rx-Präparaten sehr wohl gestiegen sind. Der entscheidende Punkt ist aber, dass es einen formelhaft-automatischen Dynamisierungsmechanismus bei den Honoraren speziell der Freiberufler nirgends gibt. Die Ärztevergütung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab im GKV-Bereich (EBM) wird, trotz Rahmenwerten wie Lohnentwicklung, Demografie u. a., mit Detailmodifikationen jährlich ausverhandelt. Die Privatgebührenordnung (GOÄ) wird erst aktuell neu gefasst – sie gilt seit 1996.
Realisierungschance: Im Sinne einer formelhaften Dynamisierung gering. Realisierbar scheint, Honorare jährlich neu zu verhandeln.
„Betriebspauschale“
Unklar ist, was mit einer Betriebspauschale gemeint ist. Der Interpretationsspielraum ist groß: Von einem Mindestbetrag seitens der Kostenträger für die Versorgung mit Verordnungen bis hin zu einem Zuschlagsmodell auf das bisherige Honorar für solitäre, versorgungsrelevante Apotheken ist vieles denkbar.
Sollen zudem diese Fördermittel obenauf kommen oder aus dem bestehenden Honorarvolumen umverteilt werden (eine Vorstellung, mit der die rot-grünen Regierungsparteien wohl am ehesten konform gingen)? Die konkreten Anspruchsgrundlagen sind zu definieren und (wettbewerbs-)rechtliche Fragen zu klären. Das bewegt sich stark in Richtung einer „Kassenapothekerlichen Vereinigung“ mit Sicherstellungsauftrag und Honorarverteilungskompetenz.
Realisierungschance: Perspektivisch ist ein Honorarverteilungsmodell mit Sicherstellungsfunktion der (ländlichen) Versorgung denkbar. Die Fallen liegen im Detail, ein Seitenblick zu den Ärzten ist anzuraten.
Kampf der Bürokratie
Auf kurze Sicht liegen hier die größten Optionen. Die Abschaffung bzw. drastische Vereinfachung überkomplexer Abgabe- und Austauschregeln sowie das Zurückstutzen einer nicht sachgerechten Sanktionierung auf ein verschuldensadäquates Maß bedeuten auch für die Kostenträger eher eine Ent- denn Belastung. Fassen wir das in Zahlen.
Jede einzelne Minute Entlastung pro GKV-Rezept – Stundensatz Minimum 38 € als Mix aus PTA- und Approbierten-Selbstkosten der Apotheke – bedeuten gut 16.000 € oder 430 Arbeitsstunden jährlich (bei im Durchschnitt fast 26.000 Rezepten). Die heutige GKV-Rezeptbürokratie wurde bereits mit über 3 Minuten je Blatt beziffert (AWA 02/2023, Seite 4 ff.). Tatsächlich wirkt diese zeitliche Entlastung nicht direkt auf den Cashflow bzw. nur, wenn ein Stundenabbau erfolgt, was kaum geschieht. Dennoch kann der Personalmangel deutlich gemildert und die Attraktivität der Arbeit gesteigert werden.
Realisierungschance: Hier bestehen größte Chancen, denn das Problem der grassierenden Überregulierung und Verkomplizierung ist in der Politik angekommen. Entscheidend wird sein, dass die Standespolitik bereit ist, an einem kräftigen Kehraus mitzuwirken.
Strategische Fragen
Einige strategische Implikationen seien ebenfalls zu bedenken gegeben. Eine hohe Aufwertung der Rx-Vergütung und damit des Rezeptertrags – schon heute bei Licht betrachtet der Deckungsbeitragsbringer – könnte OTC-Preisschlachten eine neue Dynamik verleihen. Das aggressive Werben um Rezepte würde nochmals attraktiver, ebenso die Subvention von OTC durch Rx. Ähnliche Überlegungen lassen sich für den Versandhandel anstellen.
Und nicht zuletzt würden womöglich Neugründungen wieder aussichtsreicher. Aus der „Friedhofsdividende“ wird dann eine „Wohlstandsabgabe“ bestehender, gutlaufender Apotheken, denen Makler eine Konkurrenz vor die Nase setzen. Alles schon dagewesen – die 1990er und frühen 2000er Jahre lassen grüßen. Ohne das dramatisieren zu wollen, sollte man solche Nebenfolgen auf dem Schirm behalten.
Kompromiss nötig
Ein guter Kompromiss wird an vielen Stellen ansetzen (Abbildung 1). Zuerst sind alltagswirksame, zeitliche Entlastungen, die insoweit kein Geld kosten, umzusetzen. Im Hinblick auf den inflationären Schub wäre ein weiteres Ziel, die Vor-Corona-Gewinne in die Welt nach der „Zeitenwende“ zu transformieren.
Abb. 1: Zukunft Apotheke – viele Ansatzpunkte. Quelle: eigene Darstellung
Angelehnt an den Verbraucherpreisindex und auf 2024 projiziert, läge der durchschnittliche Ziel-Vorsteuergewinn gut 20 % bis 25 % höher als 2019 (Unsicherheit aktuelle Inflationsentwicklung), also um 185.000 €. Der dazu nötige Anpassungsbedarf des Rx-Honorars liegt weit unter dem Geforderten. Die Honorierung sollte jedoch jährlich neu verhandelt werden. Für drohend unterversorgte Regionen empfehlen sich „Sicherstellungszuschläge“, dies passiert bei den Ärzten auch. Zu guter Letzt sind neue Märkte und Handlungskompetenzen zu erschließen. Am Ende wird das „Gesamtpaket“ zählen, und das ragt über rein kurzfristig-monetäre Aspekte hinaus.
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(06):4-4