Schrumpfende Apothekenanzahlen – ein Blick in die Zukunft

Unter 2 Mio. Euro Jahresumsatz wird die Luft dünn


André Butterweck, Doris Zur Mühlen

Setzt sich die anhaltende Konsolidierung ungebremst fort, dann dürften in den nächsten fünf Jahren weitere 2.000 Apotheken für immer schließen. Eine detaillierte Auswertung der aktuellen Entwicklung zeigt, dass sich mittelfristig insbesondere Apotheken bis 1,5 Mio. € Jahresumsatz kaum werden halten können. Erst ab 2 Mio. € Umsatz geht die Rechnung einigermaßen auf. 

Die Konsolidierung in der Apothekenbranche schreitet ungebremst voran – die Erfolge von gestern sind längst kein Garant mehr für eine ebenso erfolgreiche Zukunft. (© AdobeStock/C_Prach)

Zum Ende des Jahres 2022 betrug die Apothekenanzahl deutschlandweit noch 18.068 (Quelle: ABDA). Im Durchschnitt der letzten 5 Jahre (2017 bis 2021) wurden 410 Apotheken pro Jahr geschlossen, bei gleichzeitig 97 Neueröffnungen. Im Saldo wurden in diesem Zeitraum also jährlich durchschnittlich 313 Apotheken dem Markt entzogen. Dieser Trend setzte sich auch im letzten Jahr mit 393 Apothekenschließungen ungebremst fort. Anders ausgedrückt, hat 2022 jeden Tag (mehr als) eine Apotheke geschlossen!

Schreibt man diesen Trend für die Zukunft fort, so würden in den kommenden fünf Jahren weitere rund 2.000 Apotheken schließen.

Tabelle 1 gibt einen Überblick zur Anzahl und Umsatzverteilung der deutschen Vor-Ort-Apotheken. Entsprechend der Tabelle sind derzeit 2.331 Apotheken mit einem Umsatzvolumen bis zu 1,5 Mio. € am Markt tätig. Bis zu einem Umsatzvolumen von 1,75 Mio. € sind es 3.523 Apotheken.

Nettoumsatz/Apotheke

in Mio.

Apothekenverteilung

in % (Basis 2021)1

Apothekenzahl (2022)

Verteilung kumuliert

Apothekenzahl kumuliert

1,00

3,2 %

578

3,2 %

578

1,25

3,7 %

669

6,9 %

1.247

1,50

6,0 %

1.084

12,9 %

2.331

1,75

6,6 %

1.192

19,5 %

3.523

2,00

8,2 %

1.482

27,7 %

5.005

2,25

8,4 %

1.518

36,1 %

6.523

2,50

8,5 %

1.536

44,6 %

8.058

2,75

7,1 %

1.283

51,7 %

9.341

3,00

7,7 %

1.391

59,4 %

10.732

3,25

7,4 %

1.337

66,8 %

12.069

3,50

5,8 %

1.048

72,6 %

13.117

3,75

3,9 %

705

76,5 %

13.822

4,00

3,7 %

669

80,2 %

14.491

4,25

3,4 %

614

83,6 %

15.105

4,50

3,1 %

560

86,7 %

15.665

4,75

2,1 %

379

88,8 %

16.044

5,00

1,3 %

235

90,1 %

16.279

6,00

4,7 %

849

94,8 %

17.128

7,00

2,1 %

379

96,9 %

17.508

8,00

0,8 %

145

97,7 %

17.652

9,00

0,6 %

108

98,3 %

17.761

10,00

0,4 %

72

98,7 %

17.833

> 10,00

1,3 %

235

100,0 %

18.068

Summe

100,0 %

18.068

Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel …

Von Ausnahmen abgesehen, stellt eine Umsatzgröße bis 1,5 Mio. € keine ausreichende wirtschaftliche Basis für die Zukunft dar, um eine Apotheke betriebswirtschaftlich nachhaltig betreiben zu können. Unter üblichen Voraussetzungen und ohne Sonderfaktoren lässt sich bei einem Umsatzvolumen in dieser Größenordnung und guter Unternehmensführung eine Umsatzrendite von 6 % erwirtschaften, mithin ein Gewinn von rund 90.000 . Hiervon sind alle weiteren privaten Kosten zu decken – das sind kleinere Reinvestitionen und Tilgungen ebenso wie Ertragsteuern, Vorsorgeaufwendungen und Privatentnahmen. Damit ergibt sich die in Tabelle 2 zusammengefasste Liquiditätsrechnung.

Gewinn vor Steuern

90.000

Cashflow vor Steuern
(Gewinn und Abschreibungen)

97.000 €

./. Tilgungen und Reinvestitionen

7.000

./. Ertragsteuern

21.000

./. Vorsorgeaufwendungen

24.000

= Verfügungsbetrag netto p. a.

45.000 €

Im Durchschnitt verbleibt dem Unternehmer damit ein monatliches Nettoeinkommen von gerade einmal 3.750 €. Dies dürfte im Regelfall unterhalb des Nettogehalts eines in einer Apotheke angestellten Apothekers oder Filialleiters liegen.

Unter normalen Umständen wird ein solches Nettoergebnis nicht ausreichen, um eine Apotheke nachhaltig wirtschaftlich zu führen. Dies auch vor dem Hintergrund sich weiter abzeichnender Rendite-Einbußen u. a. durch Erhöhung des GKV-Rabatts, steigende Personalkosten, die hohe Inflation sowie das höhere Zinsniveau.

Gleichwohl gehen wir davon aus, dass sich ein Teil der Apotheken in diesem Umsatzsegment dennoch weiter am Markt halten wird. Das ist häufig dann der Fall, wenn die Apotheke z. B. in eigenen Räumen betrieben wird, oder der Inhaber auf Kosten seiner eigenen Lebensqualität mit unterdurchschnittlich wenig Personal arbeitet.

Schließungsprämie als letzte Hoffnung

Unstrittig ist hingegen, dass die Mehrzahl der Apotheken in dieser Umsatzklasse zukünftig kaum mehr veräußerbar sein wird, da der Ertragswert unter dem Substanzwert liegt und größere Investitionen langfristig nicht mehr refinanzierbar sind. Hier kommt allenfalls noch ein strategischer Kaufpreis eines Wettbewerbers oder eine sogenannte „Schließungsprämie“ in Betracht. Dabei sind allerdings die rechtlichen Voraussetzungen und Anforderungen des BGH zu beachten.

Damit stellt sich die Frage, welche Folgen der anhaltende Apothekenschwund auf die verbleibenden Apotheken hat. Bei zukünftig unterstellten weiteren rund 2.000 Apothekenschließungen in der Umsatzklasse bis 1,5 Mio. € wird ein Marktvolumen von 2,5 bis 3,0 Mrd. € freigesetzt. Da dieser Umsatz im Markt verbleibt, ist er zum Großteil auf die verbleibenden Apotheken aufzuteilen. Bei linearer Verteilung würde dies pro Betrieb einen Umsatzzuwachs in Höhe von 160.000 € bis 190.000 € ausmachen. Da sich der Umsatz in der Praxis aber nicht gleichmäßig verteilen wird, werden einige Apotheken leer ausgehen und andere überproportional profitieren.

Unter Berücksichtigung der oben angestellten Berechnungen dürfte unserer Einschätzung nach die Mehrzahl der Apotheken, die derzeit einen Jahresumsatz von bis zu 1,75 Mio. € erwirtschaften und nicht von zukünftigen Apothekenschließungen im direkten Umfeld profitieren, mittelfristig ebenfalls von möglichen Schließungen betroffen sein.

Fazit: Wachsen oder weichen

Auf Basis der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung kann man davon ausgehen, dass eine Apotheke für ein auskömmliches Ergebnis auf Fünf-Jahres-Sicht mindestens 2,0 Mio. € Umsatz erwirtschaften muss, um sich erfolgreich am Markt behaupten zu können. Apotheken unterhalb einer Umsatzschwelle von 1,5 Mio. dürften hingegen stark unter Druck geraten mit der Folge, dass viele von ihnen schließen werden. Das wird auch zu Zuwächsen bei Wettbewerbern in der Umsatzklasse bis 1,75 Mio. € führen, die diese wiederum benötigen, um ihre Apotheke dauerhaft wirtschaftlich betreiben zu können. Nur wer von diesen Schließungen profitiert, wird auf diesem Umsatzlevel auch 2027 noch ein auskömmliches Ergebnis erzielen. Unterm Strich müssen wir davon ausgehen, dass weitere 2.000 Apotheken ihre Tore in den nächsten fünf Jahren für immer schließen werden – sofern die Politik nicht gegensteuert!

Apotheken, deren Umsatzerlöse über der Schwelle von 2 Mio. € Umsatz liegen, dürften bei guter Unternehmensführung hingegen – zumindest bis 2027 – nicht von dieser anhaltenden Konsolidierung betroffen sein. Der Durchschnittsumsatz einer typischen deutschen Offizin-Apotheke liegt übrigens in einer Bandbreite von 2,0 bis 2,5 Mio. €.

Unstrittig ist, dass die Mehrzahl der Apotheken in der Umsatzklasse bis 1,5 Mio. € zukünftig kaum mehr veräußerbar sein wird, da der Ertragswert unter dem Substanzwert liegt und größere Investitionen langfristig nicht mehr refinanzierbar sind. Hier kommt allenfalls noch ein strategischer Kaufpreis eines Wettbewerbers oder eine sog. ‚Schließungsprämie‘ in Betracht.

 

André Butterweck, Dipl.-Ök., Dipl.-Arb.-wiss., ö. b. u. v. Sachverständiger für Apothekenbewertung, RST Steuerberatungsgesellschaft mbH, 45128 Essen, E-Mail: abutterweck@rst-beratung.de

Doris Zur Mühlen, Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, geschäftsführende Gesellschafterin der RST Steuerberatungsgesellschaft mbH, 45128 Essen, E-Mail: dzurmuehlen@rst-beratung.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(09):6-6