Künstliche Intelligenz (KI) in der Apothekenpraxis – Teil 1

Nur ein kleiner Schritt von der Theorie zur Praxis


Dr. Christian Knobloch, Prof. Dr. Hendrik Schröder

Spätestens seit ChatGPT ist das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in aller Munde. Doch was steckt wirklich dahinter und – für Sie als AWA-Leser/in noch wichtiger – bieten Ihnen KI-Algorithmen heute schon einen echten Nutzen und Mehrwert für Ihre Offizin? Lassen Sie sich überraschen, wie kurz die Meile zwischen grauer KI-Theorie und Apothekenpraxis in diesem Kontext ist ...

KI-Anwendungen wirken auf den ersten Blick abstrakt – sind aber näher an der Apothekenpraxis dran, als man auf den ersten Blick vermuten würde. (© phonlamaiphoto)

Seit ChatGPT online gestellt wurde, hat das Thema Künstliche Intelligenz (KI) spürbar an Fahrt aufgenommen. Das ist kein Wunder: Die Antworten, die ChatGPT selbst auf komplexe Fragen gibt, fallen häufig so aus, dass es für den Nutzer fast unmöglich wäre zu beurteilen, ob hier eine KI oder ein sehr gut informierter und strukturierter Mensch die Antwort gibt. Insofern würde der Chatbot an vielen Stellen sicherlich den legendären „Turing-Test“ bestehen. Allerdings macht ChatGPT an einigen Stellen auch eklatante Fehler und dies sollte uns daran erinnern, dass diese KI lediglich ein besonders gut konstruiertes Wortvorhersageprogramm ist.

Ein Hinweis darauf steckt bereits im Namen: GPT steht für „Generative Pretrained Transformer“. „Generative“ meint, dass das Programm etwas erzeugt – in diesem Fall Text. „Pretrained“ verweist auf den Umstand, dass die Software im Vorfeld mit Milliarden von Dokumenten trainiert wurde und daher meint zu wissen, welches Wort mit der größten Wahrscheinlichkeit auf eine Abfolge von vorhergehenden Wörtern folgt. „Transformer“ beschreibt die besondere Form des neuronalen Netzwerks, mit dem die Software zusammenhängende Sprache oder Text verarbeitet und erzeugt. Die Vorstellung, dass hier in irgendeiner Form eine KI mit einem eigenen Bewusstsein am Werk ist, ist insofern vollkommen abwegig.

Mit diesem Beitrag wollen wir nicht nur erklären, wie verschiedene KI-Methoden funktionieren, sondern Ihnen zugleich auch aufzeigen, wie Sie als Apothekenleiter KI-Methoden für Ihre Apothekenpraxis nutzen können. Dazu sollen folgende zwei Fragen beantwortet werden:

  1. Wie funktioniert eine KI?
  2. Was können sich Apotheker von einer KI abschauen?

Verschiedene Arten und Methoden der KI

Grundsätzlich muss zwischen zwei Arten von KI unterschieden werden – der starken und der schwachen KI:

  • Eine starke KI verfügt je nach Definition über ein eigenes Bewusstsein, einen eigenen Willen sowie eigene Emotionen. Von einer solch starken KI sind wir – auch wenn Prognosen schwierig sind – noch sehr weit entfernt, wenn wir sie denn je erreichen. Ob wir eine solche starke KI überhaupt erreichen wollen, steht auf einem anderen Blatt.
  • Einen großen Teil der schwachen KI machen verschiedene Machine-Learning-Modelle aus (Abbildung 1): Unsupervised Learning, Supervised Learning und Reinforcement Learning. In letzteren beiden Fällen kann auch Deep Learning zur Anwendung kommen.

Abb. 1: Verschiedene KI-Methoden im Überblick. Quelle: Ch. Knobloch, H. Schröder

Im ersten Teil dieser zweiteiligen Artikelserie geht es um Unsupervised und Supervised Learning: Wir erklären, wie diese Formen schwacher KI funktionieren und – für Sie als Apothekeninhaber noch wichtiger – welche konkreten Anwendungen sich daraus für die Apothekenpraxis ergeben. Sie werden erstaunt sein, wie kurz die Meile von der KI-Theorie zur praktischen Anwendung in Ihrer Offizin ist: So können Sie z. B. das Weiterempfehlungsverhalten Ihrer Kunden KI-basiert anhand verschiedener Parameter verlässlich bewerten und auch gleich die richtigen Schlussfolgerungen für Ihre Kundenansprache daraus ziehen.

Unsupervised Learning

Unsupervised Learning teilt unterschiedliche Objekte anhand ähnlicher Merkmalsausprägungen in gemeinsame Gruppen ein, also zum Beispiel verschiedene Kunden (Objekte) mit ähnlichem Einkaufsverhalten (Merkmalsausprägungen).

Abbildung 2 zeigt, wie Kunden (dargestellt als grüne Punkte) anhand des Umfangs ihres Warenkorbs und ihrer Besuchshäufigkeit in homogene Gruppen unterteilt werden. In der Regel geschieht dies über Distanzmaße: Nach einer erfolgreichen Gruppierung sollen Objekte derselben Gruppe im Durchschnitt weniger Abstand zueinander haben als zu Objekten in anderen Gruppen. Kunden, die häufig kleine Warenkörbe kaufen, sollten also in einer anderen Gruppe sein als Kunden, die selten große Warenkörbe kaufen.

Abb. 2: Gruppierung von Kunden anhand von zwei Merkmalen. Quelle: Ch. Knobloch, H. Schröder

Die Gruppierung von Kunden ist vor allem im Hinblick auf deren Ansprache sowie den Einsatz von Marketingmaßnahmen wie Flyer, Newsletter und Rabatt-Coupons o. ä. nützlich. Sie hilft, eine bestimmte Aktivität maßgeschneidert auf die jeweilige Zielgruppe auszuspielen und damit Streuverluste zu minimieren. Eine mögliche Gruppierung der Kunden kann anhand der RFM-Kennzahlen vorgenommen werden. R steht für Recency, also wann der Kunde zuletzt gekauft hat. F bezeichnet die Frequency bzw. beantwortet die Frage, wie oft der Kunde gekauft hat. Und M steht für Monetary, also wie viel Umsatz oder Rohertrag Sie mit dem Kunden generiert haben. Arbeitet die Apotheke mit Kundenkarten und pflegt die Datenbank, könnten Sie mithilfe eines Gruppierungs-Algorithmus diese Kunden anhand der RFM-Kennzahlen in unterschiedliche Gruppen einteilen.

Ein Beispiel für die Interpretation der Gruppierungsergebnisse: Kunden, deren letzter Besuch schon lange zurückliegt (niedrige Werte für R) und deren Besuchshäufigkeit und Einträglichkeit im mittleren Segment liegt (mittlere Werte für F und M), könnten als gefährdete Kunden angesehen werden, die mit Rabatten und Aktionen angesprochen werden könnten. Dagegen lassen sich Kunden, die bei allen drei der RFM-Kriterien im mittleren Bereich liegen, als Wachstumskunden betrachten, die ein hohes Potenzial für Beratungsverkäufe aufweisen. Diejenigen Kunden, die bei allen drei RFM-Kriterien hohe Werte aufweisen, also erst vor kurzem in der Apotheke etwas gekauft haben, häufig in der Apotheke etwas kaufen und mit denen Sie viel Rohertrag generieren, sind die Topkunden, für deren Treue man sich mit Dankesmaßnahmen revanchieren könnte.

Folgende Fragen können Sie als Apothekeninhaber oder Filialleiter somit als Inspiration für Ihre eigene Offizin aus dem Bereich Unsupervised Learning mitnehmen:

  • Lassen sich meine Kunden in verschiedene Gruppen einteilen?
  • Welche Gruppen ergeben sich?
  • Wie lassen sich diese Gruppen zielgerichtet erreichen bzw. ansprechen?

Supervised Learning

Bei Supervised Learning lernt die KI, welche Ausprägungen von Input-Variablen dazu führen, dass eine Output-Variable bestimmte Ausprägungen annimmt. Als Folge kann die KI die Ausprägung der Output-Variablen anhand der Ausprägungen der Input-Variablen vorhersagen.

Dazu ein Beispiel: Wir befragen 100 Kunden nach ihren Einkäufen in unserer Apotheke, ob sie uns weiterempfehlen würden. Die Output-Variable ist hier die Antwort auf die Frage nach der Weiterempfehlung, die Ausprägungen können Ja oder Nein sein. Als Input-Variable erheben wir das Alter sowie das Geschlecht der Kunden, die Beratungsdauer, die Anzahl der Artikel im Warenkorb sowie dessen Wert und wer die Kunden bedient hat. Für jeden einzelnen der Kunden liegen uns nun die jeweiligen Ausprägungen der Input-Variablen sowie der Output-Variable vor (Abbildung 3).

Abb. 3: Beispiel für Input- und Output-Variablen zum Weiterempfehlungsverhalten von sechs Kunden. Quelle: Ch. Knobloch, H. Schröder

Auf dieser Grundlage kann ein Algorithmus lernen, welche Input-Variablen einen großen Einfluss darauf haben, dass die Ausprägung der Output-Variable „Ja“ lautet und wie groß dieser Einfluss ist. Wenn unser Algorithmus eine ausreichende Anzahl von Kunden gesehen hat – also gut trainiert ist – kann er uns vorhersagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Kunden unsere Apotheke weiterempfehlen. So könnte ein Ergebnis lauten, dass ein 65-jähriger Mann, der 20 Minuten beraten wurde, drei Artikel in seinem 50-Euro-Warenkorb hat und von Frau Meier bedient wurde, unsere Apotheke mit einer Wahrscheinlichkeit von 89 % weiterempfiehlt.

Folgende Fragen lassen sich nun als Inspiration aus dem Bereich Supervised Learning ableiten:

  • Kenne ich die Faktoren, die einen Einfluss auf das Weiterempfehlungsverhalten meiner Kunden haben?
  • Ist mein Algorithmus, um diese Faktoren abzuschätzen, noch aktuell? Gibt es neue Gruppen von Kunden oder Umständen, die eine Anpassung nötig machen?
  • Weiß ich, wie groß der Einfluss der einzelnen Faktoren auf das Weiterempfehlungsverhalten meiner Kunden ist? Was sind zum Beispiel die drei wichtigsten Faktoren für meine Kunden?
  • Inwieweit erfüllt das Apothekenteam die sich daraus ergebenden Anforderungen?

Im zweiten Teil wird es dann um Reinforcement sowie Deep Learning gehen, und welche konkreten Anwendungen sich daraus für die Apothekenpraxis ergeben.

 

Dr. Christian Knobloch, Leiter der Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft, Universität Duisburg-Essen, 45141 Essen, E-Mail: christian.knobloch@uni-due.de

Prof. Dr. Hendrik Schröder, Lehrstuhl Marketing und Handel, Universität Duisburg-Essen, 45141 Essen, E-Mail: hendrik.schroeder@uni-due.de

 

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Künstliche Intelligenz (KI) in der Apothekenpraxis - Schlaue Schachprogramme und schwarze Schachteln finden Sie in AWA 12/2023 (Teil 2).

KI-Anwendungen sind näher an der Apothekenpraxis dran, als man auf den ersten Blick vermuten würde. (© AdobeStock/DIgilife)

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(10):9-9