Vom fleißigen Pharmazeuten zum strategischen Unternehmer

Raus aus dem Hamsterrad!


Thorsten Schüller

Inhaber, die 60 Stunden und mehr pro Woche „malochen“, vernachlässigen ihre eigentliche Kernaufgabe – die Führung ihrer Apotheke. Wie man den Sprung von Zustand I zu Zustand II schafft, das beleuchtete RST-Geschäftsführer Axel Witte unlängst auf der INTERPHARM. Direkt im Anschluss berichtete der Dresdener Apothekeninhaber Roland Rudolf von seinem persönlichen Ausstieg aus dem Hamsterrad.

Viele Apothekeninhaber sind derart im Hamsterrad ihrer täglichen Aufgaben gefangen, dass ihnen kaum Zeit für eine strategische Planujng bleibt. (© AdobeStock/Johannes Menge)

60 Wochenstunden Arbeit. Ich kann nicht mehr, mir fehlt es an Personal. Warum bin ich eigentlich Apotheker geworden? Diese und ähnliche Fragen stellen sich nach Erfahrung von Axel Witte von der Essener Steuer- und Wirtschaftsberatung RST zahlreiche Apothekerinnen und Apotheker. Sie seien im Hamsterrad gefangen, fühlten sich ausgelaugt, und die Arbeit werde als monoton empfunden. Stattdessen lebten und arbeiteten sie im Hier und Jetzt, bedienen Kunden und umschiffen Lieferengpässe. Zeit für die Weiterentwicklung ihrer Apotheken und Ausarbeitung von Strategien bleibe da nicht, weiß Witte aus zahlreichen Gesprächen (s. Hinweis).

Angst vor Kontrollverlust

In seinem Vortrag auf der Interpharm 2023 erläuterte der Berater, wie Inhaber aus dieser Situation herauskommen können, um wieder mehr Zeit für sich zu gewinnen, die sie dann in die Weiterentwicklung ihrer Apotheken stecken können.

Ein zentraler Aspekt dabei ist das Delegieren von Aufgaben: „Kein Dirigent kommt auf die Idee, alle Instrumente selbst spielen zu wollen“, so Witte. In diesem Zusammenhang sei vor allem ein Punkt ein starkes Hindernis: Nach den Erfahrungen des langjährigen Branchenkenners hätten viele Apothekeninhaber Angst vor einem Kontrollverlust, wenn sie Aufgaben an ihre Mitarbeiter delegieren. Freilich brauche es zunächst Zeit, in die neue Führungsrolle hineinzuwachsen. Ein wichtiger Faktor sei dabei die Mitarbeiterführung. Entscheidend seien heutzutage flache Hierarchien, eine offene Feedbackkultur sowie Familienfreundlichkeit. Die Mitarbeiter wollten und müssten „mitgenommen“ werden. Nur so könne ein Teamgefühl entstehen. Das trage nicht nur zur Steigerung der Motivation bei, sondern erhöhe auch die Attraktivität der Apotheke als Arbeitgeber. Witte: „Wenn Sie Ihren Mindshift nicht ändern, werden Sie auch kein gutes Personal bekommen.“

Eine Langfrist-Strategie ist harte Arbeit

In einem weiteren Schritt sollten die Unternehmer über die inhaltliche Ausrichtung ihrer Apotheken nachdenken. Wichtig sei, innovativ zu sein und Neues zu wagen. Grundsätzlich lohnenswert ist nach Wittes Einschätzung eine klare Fokussierung auf Kranke und Dauerpatienten, das gelte auch für die Werbung: Richtet man diese konsequent krankheitsbiografisch und nicht produktorientiert aus, dann führe das nachweislich zu höheren Erträgen. Zudem sprach er folgende Empfehlung aus: Apotheken sollten sich auf bestimmte Aktivitäten oder Therapiegebiete spezialisieren und somit Alleinstellungsmerkmale schaffen: Das könne die Onkologie ebenso sein wie Diabetes, Hämophilie, Schmerztherapie, HIV oder seltene Erkrankungen. Ebenfalls erfolgversprechend sei eine Spezialisierung auf Senioren, Prävention oder das lukrative Segment Tiergesundheit. Entscheidend sei es, die gesamte Produkt- und Marketingstrategie auf diesen Schwerpunkt hin auszurichten. „Daran muss man arbeiten, das ist Langfrist-Strategie“, so Witte. „Die ist nicht in drei Monaten zu erledigen, da braucht man ein Jahr dafür.“

Die ausgetretenen Trampelpfade verlassen

Darüber hinaus hatte der RST-Chef einige praxiserprobte Beispiele innovativer Vertriebsansätze im Reisegepäck: Warum nicht als Apotheke größeren Unternehmen, Behörden oder (Hoch-)Schulen einen Arzneimittelbotendienst oder Abholfächer für Mitarbeiter bzw. Studenten anbieten? Oder in Kaufhäusern, Supermärkten etc. Rezepte direkt einsammeln und die Kunden dann komfortabel per Botendienst beliefern? Von den etwa 150 Apotheken in Essen würden mindestens fünf genau solche Services anbieten, wusste Witte zu berichten, und sich damit ein attraktives Zusatzgeschäft sichern.

Nach seinen Erfahrungen geht die Hinwendung vom fleißig arbeitenden zum unternehmerisch denkenden und handelnden Apotheker oftmals mit einem steigenden wirtschaftlichen Erfolg einher. So brächten Laufkunden einen jährlichen Umsatz von etwa 60 Euro, Patienten mit einem höheren Krankheitsbild führten in Apotheken hingegen zu Umsätzen von bis zu 1.500 Euro. Ein Jahresumsatz von bislang 1,5 Millionen Euro könne mit dem richtigen Konzept in den zweistelligen Millionen-Euro-Bereich wachsen.

Best-Practice-Beispiel wie aus dem Lehrbuch

Wie der Schritt vom „Malocher“ zum Apotheker-Unternehmer in der Praxis konkret aussehen kann, erläuterte Roland Rudolf direkt im Anschluss an Wittes Vortrag. Der Inhaber der Vital-Apotheke in Dresden und der Adler-Apotheke in Radebeul fühlte sich vor einigen Jahren erschöpft: Er bekam körperliche Probleme, das Leben erschien ihm monoton und grau, an Sonntagabenden trudelten bei ihm die Krankmeldungen seiner Mitarbeiter ein. „Ich reagierte immer nur auf Ereignisse. Ich dachte, das ist normal, wenn man eine Apotheke hat“, so Rudolf. „Ich war im Hamsterrad drin.“

Bei der Lektüre eines Ratgeberbuches wurde Rudolf klar: „Der schreibt ja über mich!“. Es dämmerte ihm die Erkenntnis, dass er selbst jahrelang sein bester (vor allem pharmazeutischer) Mitarbeiter gewesen war und darüber seine ureigenste Kernaufgabe – Unternehmenslenker zu sein – grob vernachlässigt hatte. Daraufhin beschloss er, sein Leben zu ändern und fing bei sich selber an: Er trieb drei Stunden Sport, legte sein Handy abends zur Seite, ernährte sich gesünder, machte Meditation und änderte seinen Glaubensgrundsatz, immer präsent sein zu müssen. Er war überzeugt, dass die Veränderung bei ihm anfangen müsse. Denn: „Mitarbeiter folgen keinem nörgelnden, kränklichen Chef!“

Stattdessen konzentrierte sich Rudolf fortan auf wirklich unternehmerische Tätigkeiten und arbeitete an einer Vision und Strategie für seine Apotheken. Er übertrug seinen Mitarbeitern zunehmend Aufgaben, führte Feedback-Gespräche und bildete sich weiter. Zudem begann er, die Tätigkeiten in seinen beiden Apotheken in drei Unterkategorien zu unterteilen:

  1. Fachkraftaufgaben,
  2. Manageraufgaben und
  3. Unternehmer-Aufgaben.

Seine Kernaufgabe als Unternehmer sieht er nun darin, den Mitarbeitern Struktur und Orientierung zu geben, Entscheidungen zu treffen und Aufgaben zu delegieren. Täglich selbst fünf Stunden am HV-Tisch zu stehen, gehöre hingegen nicht dazu. Um die neuen Routinen auch für sich selbst einzuüben, begann Rudolf damit, jeden Tag eine Fachkraft-Aufgabe abzugeben und regelmäßig auch Manager-Aufgaben zu delegieren.

Wo ist der Chef …?

Anfangs habe es bei seinen Mitarbeitern Irritationen gegeben. Sie fragten: Wo ist der Chef? Auch kamen ihm immer wieder grundsätzliche Bedenken, ob er auf dem richtigen Weg sei. Überdies stellen sich die Erfolge, die man als Unternehmer für sich verbucht, diffuser und längerfristig ein. Das schnelle Erfolgserlebnis durch das Abarbeiten einer eingeübten Fachkraft-Aufgabe blieb jetzt weitgehend aus. Andererseits, so Rudolf, sei im Laufe der Zeit die Motivation der Mitarbeiter gestiegen. Sie hätten zunehmend eigene Ideen eingebracht, schließlich habe er sogar Initiativbewerbungen erhalten. Zudem habe sein persönliches Stresslevel nachgelassen, während er neue Kraft und Lebensfreude gewann.

Ein zentraler Aspekt beim Übergang vom fleißigen Pharmazeuten zum strategischen Unternehmer ist für Axel Witte das Delegieren von Aufgaben: "Kein Dirigent kommt auf die Idee, alle Instrumente selbst spielen zu wollen." eines der stärksten Hindernisse liegt darin, dass viele Apothekeninhaber Angst vor einem Kontrollverlust haben, wenn sie Aufgaben an ihr Team delegieren. Das bestätigt auch Roland Rudolf: Er habe sich zu Beginn des Umstellungsprozesses darin geübt, jeden Tag eine Fachkraft-Aufgabe an seine Mitarbeiter abzugeben. Was zunächst durchaus zu Irritationen geführt hat - und zu der Frage: "Wo ist eigentlich der Chef...?"

 

„Wann sollten Sie damit beginnen, das Hamsterrad zu verlassen und Unternehmer zu werden?“, fragt Rudolf und gibt selber die Antwort: „Jetzt, sofort!“ Dass es auf diesem Weg auch Herausforderungen gibt, will Axel Witte allerdings nicht verschweigen: „Sie müssen manchmal hart durchgreifen und beständig dranbleiben.“ Nach seinen Erfahrungen sind 30 Prozent aller Apotheker diesbezüglich recht aktiv, 10 Prozent seien „super erfolgreich“. Der Rest, sagt Witte ehrlich-unverblümt, „schläft“ hingegen. Was er damit meint: Diese Apotheker arbeiten zwar hart und fleißig – sind aber keine „echten Unternehmer“.

 

Thorsten Schüller, Wirtschaftsjournalist, Grafing b. München, E-Mail: schuellercomm@gmail.com

 

Hinweis

Der Artikel basiert auf zwei Vorträgen bei der Interpharm-Online-Veranstaltung vom 21.04.2023: Die gesamte Veranstaltung ist als Video on demand noch bis 30. Juni im Internet (kostenpflichtig) abrufbar unter interpharm.de/video-archiv

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(12):6-6