Interview mit Dr. Christian Fehske, Rathaus-Apotheke Hagen

„Das ist offene Misshandlung unseres Berufsstandes!“


Dr. Hubert Ortner

Selten hat ein Artikel so viel Resonanz ausgelöst wie unser Vorschlag einer gestaffelten Honorarerhöhung im AWA 13/2023. Eine Kritik haben wir zum Anlass für ein Interview mit dem Urheber genommen. Stellvertretend für das „Apotheken-Oberhaus“ erklärt Dr. Christian Fehske, dass kleine Apotheken höhere Umsatzrenditen einfahren würden als große und die Big Player insofern genauso unterfinanziert seien wie kleine Offizinen auf dem Land. Das klingt dann doch ziemlich überraschend.

"Sind große Apotheken genauso unterfinanziert wie kleine ...?" (Photo AdobeStock C_Andrey Popov)

Sie kritisieren (siehe Stellungnahme ganz unten), dass die Annahme unseres Artikels im AWA 13/2023, wonach große Apotheken höhere Erträge einfahren würden als kleine, falsch sei. Heißt das, dass kleine Apotheken grundsätzlich höhere Umsatzrenditen erzielen als große …?

Christian Fehske: Ich bin mit meiner Apotheke das beste „Gegenbeispiel“ für Ihre Fehlannahme, dass mehr Umsatz gleichzusetzen wäre mit höheren Erträgen. In der Tat fallen die Umsatzrenditen großer Apotheken im Durchschnitt niedriger aus als bei kleinen. Das hat mehrere Gründe. Die Wichtigsten sind:

  • Der in der Regel weit höhere Anteil von Hochpreisern drückt die Gesamtspanne bei großen Apotheken deutlich nach unten.
  • Die Geschwindigkeit der Packungsabgabe lässt sich nicht weiter steigern, so lange man seiner Beratungsverpflichtung nach § 20 ApBetrO nachkommt.
  • Große Apotheken decken auch arbeitsintensive, margenschwache Randsegmente wie aufwändige Rezepturen oder die Hilfsmittelversorgung und zudem weniger ertragreiche Randöffnungszeiten ab.

 

Will heißen, Sie müssen ein viel größeres Rad drehen als kleine Apotheken, doch am Ende bleibt nicht mehr hängen?

Christian Fehske: Im Grunde ja. Unterm Strich fahren wir dasselbe Betriebsergebnis ein wie Apotheken, die nur ein Viertel unserer Umsätze erlösen.

Und was ist mit Skaleneffekten sowie der höheren Professionalisierung, die den Big Playern einer Branche typischerweise höhere Erträge bescheren als den Kleinen?

Christian Fehske: Die bürokratischen Ärgernisse sind für alle gleich. Und viele Vorschriften stellen je nach Unternehmensgröße und Öffnungszeiten höhere Anforderungen, manche gelten ohnehin nur für große Betriebe: So bekomme ich beispielsweise jährlich Besuch von der Amtsapothekerin – kleinere Apotheken nur alle zwei Jahre – und bald darf ich sogar einen eigenen „Whistleblower“-Beauftragten schulen lassen …

Natürlich hat es auch Vorteile, groß zu sein – aber nennenswerte Skaleneffekte sehe ich nicht. 

Christian Fehske

Ist die Rathaus-Apotheke in Hagen mit ihrem enorm breiten Angebot und dementsprechend hohen Personalkosten eine Ausnahme oder durchaus repräsentativ für das deutsche „Apotheken-Oberhaus“?

Christian Fehske: Ich halte mich keineswegs für eine Ausnahme. Und ich bin sehr gut vernetzt und tausche mich eng mit Kollegen aus. Glauben Sie mir: Ich kenne keinen einzigen Inhaber einer umsatzstarken

„Das ist perfide: Wir bringen es nicht übers Herz, die Schwächsten in Geiselhaft zu nehmen. Und das wird schamlos ausgenutzt. Leider haben viele Politiker gelernt: Apotheker haben die schwächste Lobby, mit denen können wir fast alles machen …“

Apotheke, der mir hinter vorgehaltener Hand etwas anderes sagt, als dass ihm beim Blick in die BWA für 2023 angst und bange wird …

Das klingt in der Tat düster!

Christian Fehske: Der Gesetzgeber hat dafür gesorgt, dass die Löhne für PTA und PKA zuletzt so stark gestiegen sind wie nie zuvor – und das gänzlich ohne jede Gegenfinanzierung! Im Gegenteil wurde die Vergütung durch den erhöhten Kassenabschlag sogar noch gesenkt. In jedem „normalen Unternehmen“ würden derart massive Lohnerhöhungen auf die Preise umgelegt, das können wir aber nicht. Das ist eine offene Misshandlung unseres Berufsstandes und hat mit Wirtschaft nichts mehr zu tun!

Die Tariflohn-Erhöhung wurde in dieser Höhe übrigens nötig, weil PKA sonst unter den Mindestlohn von 12 € gefallen wären. Und jetzt redet die SPD sogar schon von 14 € Mindestlohn!

Dass eine Honorarerhöhung angesichts der massiv gestiegenen Kosten überfällig ist, bestreitet niemand. Mehr als fraglich ist allerdings, ob die ABDA mit ihren üppigen Forderungen in Berlin durchkommt. Hand aufs Herz, Herr Fehske: Glauben Sie wirklich, dass Karl Lauterbach über 3,2 Milliarden Euro zusätzliches Geld für die Erhöhung des Rx-Festzuschlags auf 12 € für eine Berufsgruppe mobilisieren wird, die ihm nicht mal eine kurze Stippvisite auf dem Deutschen Apothekertag wert ist …?

Christian Fehske: Meine Hoffnung, dass wir über ihn etwas erreichen werden, ist nicht besonders groß. Und das, obwohl Herr Lauterbach ja öffentlich geäußert hat, dass die Apotheken durch ihren Einsatz während der Corona-Pandemie zu einer geringeren Sterblichkeit beigetragen haben. Dennoch bekommen wir – im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen – noch nicht einmal einen Inflationsausgleich.

Insofern bleibt uns nur der Weg über persönliche Gespräche mit den Bundestagsabgeordneten, den ich auch gehe.

„Ich bin mit meiner Apotheke das beste ‚Gegenbeispiel‘ für Ihre Fehlannahme, dass mehr Umsatz gleichzusetzen wäre mit höheren Erträgen. In der Tat fallen die Umsatzrenditen großer Apotheken im Durchschnitt niedriger aus als bei kleinen.“

Läuft es im Worst Case (es gibt doch keine Honorarerhöhung) darauf hinaus, dass Apotheken sich gezwungen sehen, an der Beratung zu sparen, um wirtschaftlich weiterhin über die Runden zu kommen?

Christian Fehske: Es ist in der Tat so, dass die Umsatzrendite leidet, wenn Sie als Apotheke ihrer Beratungspflicht nachkommen. Bei uns ist eine „stumme Abgabe“ ohne Beratung verboten, weil wir das als unterlassene Hilfeleistung werten. Deshalb liegt unsere Abgabegeschwindigkeit für Rx-Arzneimittel bei maximal zwölf Gesprächen pro Stunde – mehr geht nicht, wenn man die Kunden vernünftig berät.

Das wäre auch eine der wichtigsten Fragen, die ich Herrn Lauterbach gerne persönlich stellen würde: Möchten Sie uns die Beratung künftig verbieten? Falls nein, müssen Sie uns aber anständig bezahlen!

Wo steht geschrieben, dass Apotheken defizitäre Versorgungsleistungen (z. B. aufwändige Rezepturen oder Hilfsmittel) erbringen müssen? Viele Ärzte machen ihre Praxen schließlich auch zu, wenn sie ihr Budget ausgeschöpft haben.

Christian Fehske: Der Kontrahierungszwang gilt leider auch für defizitäre Leistungen. Als Apotheker haben wir einen gesetzlich verankerten Versorgungsauftrag und gerade nicht die Freiheit, diesen auch nur teilweise zu missachten. Sonst drohen Konsequenzen. Wir haben hier keine Wahl.

„Ich kenne keinen einzigen Inhaber einer umsatzstarken Apotheke, der mir hinter vorgehaltener Hand etwas anderes sagt, als dass ihm beim Blick in die BWA für 2023 angst und bange wird …“

Wären Leistungskürzungen, wie von Hamburgs Apothekerkammer-Präsidenten Kai-Peter Siemsen vorgeschlagen, ein probates Mittel des „zivilen kaufmännischen Ungehorsams“?

Christian Fehske: Was wollen Sie denn streichen? Dann fallen Ihnen ja auch sofort die Einnahmen weg. Das gilt übrigens ebenso für Streiks: Die können wir uns gar nicht leisten! Im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen haben wir keine prall gefüllten Streikkassen.

Und dann gibt es noch die persönliche Ebene: Meine Mitarbeiter stehen Tag für Tag vor der Mutter mit ihrem herzkranken Kind und wollen ihr helfen. Das ist ja das Perfide: Wir bringen es einfach nicht übers Herz, die Schwächsten in Geiselhaft zu nehmen. Und das wird schamlos ausgenutzt.

Leider haben viele Politiker gelernt: Apotheker haben die schwächste Lobby, mit denen können wir fast alles machen …

Was wird Ihres Erachtens geschehen, wenn die Honorarerhöhung zur Gänze ausfällt oder ähnlich „üppig“ bemessen ist wie die lächerlichen 50 Cent fürs Lieferengpassmanagement?

Christian Fehske: Dann droht ein schlimmer, irreparabler Schaden für die Arzneimittelversorgung in unserem Land. Wenn die Apothekenstrukturen erst einmal in die Brüche gegangen sind, wird sich das nicht mehr so einfach rückgängig machen lassen. Ich helfe übrigens gerne mit, die 3 Mrd. € für Apotheken zu finden und ich wüsste da auch auf Anhieb einige Stellen, wo sich die Suche mit Sicherheit lohnen würde.

Wo zum Beispiel?

Christian Fehske: Vergleichen Sie mal die Umsatzrenditen der besten Apotheken mit denen der schlechtesten forschenden Pharmahersteller: Da liegen Welten dazwischen. Und Deutschland ist das Land, in dem innovative, meist teure Arzneimittel, deren Wirksamkeit teilweise noch fraglich ist, am schnellsten auf den Markt kommen: Sind das im EU-Durchschnitt 500 Tage, so sind es hierzulande nur 50 Tage. Damit sind wir quasi das „Experimentierfeld“ der Pharmaindustrie und bezahlen dafür auch noch Milliarden.

Außerdem sollten wir uns als Gesellschaft vor dem Hintergrund immer neuer hochpreisiger Arzneimitteltherapien ein paar ethische Grundsatzfragen stellen: Was ist zwar medizinisch möglich, das wir uns als Gesellschaft aber dennoch nicht mehr leisten wollen? Das hängt unmittelbar mit der Frage zusammen, wie groß (oder klein) der Nutzen neuer Therapien z. B. in gewonnenen Lebensjahren tatsächlich ist. Das Geld, das wir für solche meist sehr teuren Therapien ausgeben, fehlt nämlich letztlich an anderer Stelle.

Welchen Hebel sehen Sie als den stärksten, dass die Apotheker ihre Honorarforderungen politisch doch noch durchgesetzt bekommen und nicht an einem Gesundheitsminister abprallen, der abseits von Talkshows offensichtlich kommunikationsunfähig (oder auch nur unwillig?) ist?

Christian Fehske: Wie schon gesagt, erwarte ich mir von Herrn Lauterbach am wenigsten. Viel wird davon abhängen, dass möglichst viele Apotheker das Gespräch mit den Bundestagsabgeordneten in ihrem Wahlkreis suchen. Ein Politiker, der sich die Zahlen und Fakten in Ruhe erklären lässt, der kann gar nicht anders, als unsere Forderungen zu unterstützen. Oder er sollte zumindest offen dazu stehen, dass er es billigend in Kauf nimmt, wenn die gewachsene Apothekenstruktur – und damit auch die Arzneimittelversorgung – zunehmend zusammenbricht.

Aus diesen Gesprächen wird sich herauskristallisieren, welche Partei besonders apothekenfeindlich eingestellt ist. Und das wird bei den nächsten Wahlen dann mit Sicherheit Konsequenzen haben.

Im übrigen wird weder jetzt noch irgendwann in Zukunft der Zeitpunkt gekommen sein, zu dem im Gesundheitssystem Geld für die Apotheken übrig sein wird ...

„Die Umsatzrendite leidet, wenn Sie als Apotheke ihrer Beratungspflicht nachkommen. Bei uns ist eine ‚stumme Abgabe‘ ohne Beratung verboten, weil wir das als unterlassene Hilfeleistung werten. Das würde ich Herrn Lauterbach gerne persönlich fragen: Möchten Sie uns die Beratung künftig verbieten? Falls nein, müssen Sie uns aber anständig bezahlen.“

 

Stellungnahme: Große Apotheken sind genauso unterfinanziert wie kleine!

Es gab zahlreiche Reaktionen auf den Artikel „Die Gießkanne hat ausgedient“ im AWA 13/2023. Eine Kritik davon haben wir exemplarisch herausgegriffen, weil sie durchaus repräsentativ für viele große, umsatzstarke Apotheke hierzulande sein dürfte.

So schrieb uns Dr. Christian Fehske, Inhaber der Rathaus-Apotheke in Hagen, am 10. Juli 2023:

„Mit meiner Apotheke gehöre ich laut ABDA-Apotheken-Wirtschaftsbericht 2023 zu den 230 Apotheken in Deutschland (1,3 %) mit Jahresumsätzen über 10 Mio. €. Zunächst will ich auf die Herausgeber des ABDA-Wirtschaftsberichts verweisen, die deutlich machen, wie wenig aussagekräftig Umsatzzahlen sind, dass Absatzzahlen bzw. Roherträge aber nicht vorliegen. Woraus daher die Vermutung abgeleitet werden mag, dass 11 % der Apotheken bis zu 30 % des Gesamtgewinns aller Apotheken erlösen könnten, bleibt für mich bislang unklar. Daher empfinde ich die daraus abgeleiteten Vorschläge zu einer Umverteilung des Apothekenhonorars nicht nur politisch unglücklich, weil sie gängige Neid-Klischees bedienen – sondern auch inhaltlich unzutreffend begründet und damit riskant, weil sie das Vorhandensein jener mythischen Effizienzreserven suggerieren, die von der ABDA-Präsidentin entschieden zum „Unwort des Jahres 2022“ erklärt worden waren.

Anders als in Ihrem Artikel dargestellt, haben Apotheken mit hohen Jahresumsätzen niedrigere Ertrags-Spannen und höhere Kosten als kleine Apotheken – und das aus mehreren Gründen:

  • Trotz des für alle Apotheken bestehenden Kontrahierungszwangs dürfte der Anteil an Hochpreisern in großen Apotheken höher liegen als in kleinen, bei denen der Preis für eine Packung bereits den monatlichen Gewinn übersteigen und damit sogar existenzgefährdend sein kann. Im Marktdurchschnitt lag der Umsatzanteil hochpreisiger Arzneimittel 2021 laut PHAGRO bei 35 % – in meiner Apotheke liegt dieser Anteil aktuell bei gut 46 % des Rx-Umsatzes. Bei einer Apothekenspanne von lediglich 3 % (!) wird damit die Gesamtmarge deutlich gesenkt.
  • Früher haben sich größere Apotheken vielleicht über Wachstum durch Schließungen von Nachbarapotheken gefreut, über diesen Punkt sind wir inzwischen längst hinweg: Jede geschlossene Apotheke bedeutet zum einen mehr eigene Notdienste – vor allem aber lässt sich auch in großen Apotheken mit neuester Automatisierung und guten Abläufen die Abgabegeschwindigkeit von Packungen nicht unbegrenzt steigern – zumindest solange man seiner Beratungsverpflichtung nach § 20 ApBetrO nachkommt.
  • Die ABDA-Analyse beschreibt eine Verlagerung von weniger ertragreichen Öffnungszeiten und arbeitsintensiven, ertragsschwachen Randsegmenten von kleineren auf größere Apotheken. Das betrifft u. a. Hilfsmittelversorgungen sowie aufwendige Rezepturen. Hier lässt sich in der täglichen Praxis ein Trend hin zu „Rezeptur-Schwerpunkt-Apotheken“ beobachten, die erfahrungsgemäß nicht zu den kleineren zählen. Diese arbeitsintensiven Randsegmente sowie die weniger ertragreichen Randöffnungszeiten erhöhen in größeren Apotheken den größten Kostenblock aller Betriebe: die Personalkosten.

Insofern beginnen sich die Leistungsspektren größerer und kleinerer Apotheken – auch wenn es standespolitisch nicht gewünscht sein mag, das offen auszusprechen – immer weiter zu unterscheiden. In einer sicherlich angebrachten Honorar-Verteilungs-Debatte wäre es deshalb vollkommen unangebracht, aus einer hohen Packungsabgabe-Zahl oder hohen Umsätzen abzuleiten, dass große Apotheken von der aktuellen Unterfinanzierung aller Apotheken weniger stark betroffen wären als kleinere!

Abschließend noch ein Satz zu dem politischen Mantra „Mehr Geld nur für mehr Leistung“: Von jedem Politiker und jeder Politikerin, die das unerbittlich fordern, wüsste ich zunächst mal gern, welche zusätzlichen Leistungen der Öffentliche Dienst inklusive der Minister und ihrer Mitarbeitenden ab sofort erbringen, um in den Genuss von 5,5 % mehr Gehalt und 3.000 € Inflationsausgleich zu kommen.“

Das Interview führte Dr. Hubert Ortner

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(15):7-7