Liquiditätsschonendes Lagermanagement 

Alternativen zum Hamstermodell


Dr. Uwe Weidenauer

Trotz verschärfter gesetzlicher Bevorratungspflichten muss davon ausgegangen werden, dass Apotheken auch in der kommenden Erkältungssaison wieder von drastischen Engpässen betroffen sein werden. Unser Artikel erläutert, wie Ihnen ein Konsignationslager oder eine externe Lagerhaltung als Apothekenleiter dabei helfen können, den Spagat zwischen Lieferfähigkeit und Schonung der Liquidität gut zu meistern.

So viele Arzneimittel wie möglich zu hamstern, solange sie verfügbar sind, mag angesichts der akuten Engpässe logisch erscheinen. Doch können dadurch leicht Liquiditätsengpässe entstehen. (© AdobeStock/mariusz szczygie)

Die wachsende Anzahl an Lieferengpässen für wichtige Arzneimittel wird auch nach der Verabschiedung des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) nicht abnehmen. Unter anderem muss der pharmazeutische Großhandel die Bevorratung für die im Gesetz aufgelisteten Kinderarzneimittel auf vier Wochen Lagerreichweite erhöhen, während die pharmazeutischen Unternehmer eine sechsmonatige Lagerreichweite vorhalten müssen. Das Würzburger EThICS-EU Programm (Essential Therapeutics Initiative for Chemicals Sourcing for the European Union) konnte mittlerweile zeigen, dass viele Ursachen für die Störung der Lieferketten verantwortlich sind und der Aufbau dieser Bestände in der Praxis kaum umsetzbar sein wird. Deshalb ist auch in dieser Erkältungssaison weiterhin mit drastischen Engpässen zu rechnen. Die Apotheken vor Ort sind insofern gut beraten, sich (soweit möglich) entsprechende Lagerbestände zu sichern. 

Lagerwert als wichtige Unternehmenskennzahl

Der Lagerwert (oder auch Bestandswert) beschreibt die Warenbestände einer Apotheke zu einem definierten Zeitpunkt. Die Berechnung erfolgt in der Regel monatlich, indem die Anzahl der einzelnen Artikel mit dem jeweiligen Einkaufspreis multipliziert wird. Die Summe aller Artikel ergibt den jeweiligen Lagerwert. Dieser muss zumindest einmal im Jahr – im Rahmen der Inventur – bestimmt werden.

Das Dilemma der selbstständigen Apotheker besteht darin, zum einen eine maximale Warenverfügbarkeit sicherzustellen, zum anderen jedoch den Lagerwert soweit zu minimieren, dass das Unternehmen weiterhin wirtschaftlich agieren kann und die notwendige Liquidität nicht leidet.

Der Lagerwert stellt somit eine unmittelbare Kennzahl für die Bindung von Liquidität (Cash) dar. Infolge der Lieferengpässe kaufen viele Apotheken Arzneimittel in großen Mengen ein, sofern sie beim Großhandel oder bei der Industrie verfügbar sind. Das sichert die Lieferfähigkeit und somit das Geschäft, bindet aber enorm viel Liquidität, was unter Umständen existenzbedrohend werden kann. Andererseits kann ein Handelsgeschäft nur Umsätze und Gewinne erzielen, wenn es Handelsware zur Verfügung hat.

Klassisches Konzept: Winterbevorratung und Valuta

Ein in den Apotheken bekanntes und gut etabliertes Vorgehen ist die Bevorratung beim jeweiligen Hersteller, die in der Regel für OTC-Ware stattfindet. Für den Anbieter ist dies von Vorteil, weil er damit eine gute Prognose für die kumulierten Bedarfe in den anstehenden Produktionskampagnen hat. Zudem spart er sich Logistik- und Buchhaltungskosten. Vorteilhaft ist dieses Vorgehen insbesondere für die niedergelassenen Apotheken, die damit ihren mittelfristig wichtigen Bedarf an Schnelldrehern sichern, höhere Rabatte erzielen und über den Absatzzeitraum kalkulierbare Einkaufspreise sicherstellen können. Der Fokus der Anbieter liegt in erster Linie auf dem OTC- und weniger dem Rx-Segment. Mit Ausnahme von Fiebersäften und -zäpfchen ist in der anstehenden Erkältungssaison mit Lieferengpässen bei Antibiotika und weiteren kritischen Wirkstoffgruppen wie den oralen Antidiabetika, Statinen oder Sartanen zu rechnen.

Innovativ: Konsignationslager und externe Lagerhaltung

Ein in der Industrie verbreitetes Konzept ist die Einrichtung eines sogenannten Konsignationslagers. In der Lebensmittelproduktion werden z. B. Vormischungen für Getränke mit Aromen und weiteren Zusatzstoffen gerne dem Hersteller bereitgestellt, welcher diese erst bei unmittelbarer Verarbeitung bezahlt.

Ein Konsignationslager ist allgemein definiert als das Lager eines Lieferanten, das sich nahe am Kunden befindet. Charakteristisch ist, dass das Lager Eigentum des Lieferanten bleibt, und der Kunde die Waren erst dann bezahlt, wenn er sie aus dem Lager entnimmt.

Übertragen auf die moderne Apothekenwelt wurde dieses Konzept bereits von Kommissionierautomaten-Herstellern in Zusammenarbeit mit dem Großhandel ausgearbeitet. Beispielsweise können – basierend auf den Securpharm-Seriennummern – Rx-Produkte in den Kommissionierautomat eingelagert werden, diese bleiben jedoch im Eigentum des jeweiligen Großhändlers. Erst bei Abgabe der Arzneimittelpackung (Seriennummer) und Ausbuchung aus dem Securpharm-System erfolgt die Rechnungsstellung an die Apotheke. Das heißt, die Rx-Packungen im Automaten sind Eigentum des Großhändlers, und die Apotheke kann trotz vorrätigen Arzneimitteln den Lagerwert signifikant senken bzw. auf niedrigem Niveau halten.

Die pharmazeutischen Großhändler, die gemäß ALBVVG dazu verpflichtet sind, vor allem für Kinderarzneimittel eine vierwöchige Bevorratung einzurichten, könnten trotz leerem eigenen Logistiklager auf einen „marktnahen“ Bestand bei den Vertrags-Apotheken verweisen. Da die Konsignationsläger der Apotheken rechtlich dem pharmazeutischen Großhandel zuzuordnen sind, würden dadurch die gesetzlichen Anforderung erfüllt.

Alles andere als trivial ist bei diesem Konzept die Ausgestaltung der versicherungsrechtlichen Haftung. Immerhin handelt es sich schnell um Werte im sechsstelligen Euro-Bereich, die zwar in der Apotheke lagern, aber nicht dem Inhaber gehören. Natürlich ist dieses Problem lösbar, sollte allerdings bedacht werden.

Ein weiteres Modell, das pharmazeutische Unternehmer zurzeit anbieten, ist die externe Lagerhaltung. Damit erhalten Apotheken die Möglichkeit, definierte Arzneimittel-Kontingente im Lager des Großhändlers oder Herstellers zu reservieren. Bei Bedarf können die benötigten Mengen dann von den reservierten Produkten abgerufen werden. Meist besteht der Anbieter auf definierte Logistikgebinde (z. B. 50iger oder 80iger Kartons). Die Rechnungsstellung erfolgt erst bei Auslieferung, und nicht abgerufene Mengen können nach Ablauf der Reservierungszeit wieder regulär an andere Apotheken verkauft werden.

Vor- und Nachteile der verschiedenen Konzepte

Vergleicht man die unterschiedlichen Konzepte (Tabelle 1), so hat die klassische Bevorratung mit Valutierung den wesentlichen Vorteil für Apotheken, dass ihre Liefersicherheit hoch ist. Gegen dieses Standardmodell sprechen die Kosten für Handling, Lagerung und Kapital, die gerade in Zeiten steigender Zinsen immer stärker ins Gewicht fallen.

Tab. 1: Vergleich der verschiedenen Lagermanagement-Konzepte

Bevorratung, Valuta

Konsignationslager

Externe Lagerhaltung

Eigentum

Apotheke

Großhandel1

Industrie1

Einfluss Liefersicherheit

maximal

eher unsicher

gute Absicherung

Bedarf an Lagerflächen

hoch

gering

mittel

Bewirtschaftungsaufwand

sehr hoch

gering

mäßig

Kapitalkosten

unter Umständen hoch2

gering – positiver Cashflow3

mäßig

Versicherungsrisiko

hoch

gering

mäßig

Vertragswerk

einfach

(i. d. R. sind keine Verträge notwendig)

komplexes Vertragswerk

(v. a. Abgrenzung Eigentum und Haftung)

einfach

(i. d. R. sind keine Verträge notwendig)

1) Erfüllt die ALBVVG-Anforderungen bezüglich Bevorratung 2) Bei Ende der Valutafrist 3) Weil bei der Einführung Liquidität frei wird

Die im Apothekenwesen eher als innovativ zu bezeichnenden Konzepte des Konsignationslagers und der externen Lagerhaltung bieten sowohl den Apotheken als auch dem pharmazeutischen Großhändler bzw. Hersteller einige Vorteile. Mit Blick auf Kapitalbindung und Liquiditätsbedarf bietet ein Konsignationslager die größten Vorteile; allerdings ist davon auszugehen, dass die für die Apotheke verfügbaren Mengen die Geringsten von allen sind. Bei der externen Lagerhaltung ist mit einem ähnlich geringen Liquiditätsbedarf zu rechnen. Allerdings können bei einem totalen Engpass größere Mengen in das Apothekenlager verbracht werden, was einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz mit sich bringt.

 

Dr. Uwe Weidenauer, Apothekeninhaber, Geschäftsführer Gesundheit247 GmbH, 69469 Weinheim, E-Mail: awa@gesundheit247.academy

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(18):10-10