Versorgungssicherheit – aber für wen?

Die Rabattschacherei kommt an ihre Grenzen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Das Thema der Versorgungssicherheit erscheint hochaktuell in verschiedensten Facetten auf den Schirmen aller Beteiligten. Selbst die Politik beginnt, angesichts sich verfestigender Probleme unruhig zu werden, womöglich sogar plan- und kopflos. Über die Engpassproblematik ist schon so viel Tinte geflossen, dass man – „long story short“ – zusammenfassen kann: Es gibt, von seltenen und dann meist nur zeitlich eng begrenzten Ausnahmen abgesehen, jedenfalls global kaum Mangel an Wirkstoffen und Präparaten.

Es ist ein Verteilungsproblem, und da stehen wir mit unserer Preisschacherei um den letzten Cent, eingerahmt von zig Regularien und bürokratischen Schikanen, zunehmend auf den hinteren Rängen in der Schlange der Nachfrager. Wenn wir von Herstellerpreisen nach Rabatten von nicht selten deutlich unter einem Euro je Hunderter-Packung reden, dann sind das schlicht lächerliche Beträge. Da kostet eine ordentliche Tafel Schokolade selbst zu Einkaufswerten oftmals mehr. Und im globalen Maßstab wachsen enorme Massen an Menschen in Einkommensbereiche hinein, welche mit unseren geforderten Preisen locker mithalten können oder sie sogar überbieten – man denke nur an Asien mitsamt Indien und Indonesien. Da spielen wir auf dem Weltmarkt mit unserem Anteil von gerade einmal 1 % an der Weltbevölkerung eine immer geringere Rolle. Die Rabattschacherei kommt an Grenzen. Bei den Hochpreismedikamenten sieht es noch anders aus, sowohl was die globale Zahlungsfähigkeit hierfür angeht als auch das hiesige Rabattpotenzial.

Wie in unserem gesamten strukturell verkrusteten Staatswesen sind hier eine Entbürokratisierung, Entschlackung und Bündelung der Einkaufsmacht, eine Flexibilisierung und breitere Aufstellung bei den Lieferanten, sowie die Erkenntnis, dass gerade Allerwelts-Medikamente international einer kräftigen Preisdynamik unterliegen, wichtige Marken auf dem Weg aus der Misere. Im Schnitt ein Euro mehr je Generikum auf Herstellerebene würde schon eine Menge Druck vom Kessel nehmen. Die Kosten in der Größenordnung von überschaubaren 700 bis 800 Mio. € ließen sich durch genaueres Hinschauen bei den teils abenteuerlichen Preisen von Neueinführungen leicht kompensieren. Wir reden also von einem selbst geschaffenen Strukturproblem, und so können wir es eben auch lösen.

Die Engpassdebatte führt nahtlos zur Diskussion über die ambulante Gesundheitsdienstleister-Versorgung: Ärzte, Apotheken, Heilmittelerbringer, Pflegedienste u. a. Haben wir zu viele oder zu wenige Apotheken, oder sind die bestehenden Apotheken zwar ausreichend, aber nicht optimal verteilt? Etliche Beiträge beschäftigen sich gerade damit, und wir werden das ebenfalls noch aufgreifen. Vorangestellt sei aber die Frage nach dem Anspruch, der mit der ökonomischen Leistungsfähigkeit abzugleichen ist. Müssen wir, provokativ gesagt, noch in Rabenhausen hinter dem Wald Arzt und Apotheke vorhalten, wo schon lange Lebensmittler, Bank, Post, Drogerie und Tankstelle die Segel gestrichen haben? In mittel- bis hochverdichteten Regionen haben wir dagegen erkennbar kaum (Apotheken-)Versorgungsprobleme.

Damit ist ein zentrales Dogma tangiert, jenes der gleichen Lebensverhältnisse quer durch die Republik, was schon immer ein Stück weit Illusion war. Mit der klimapolitischen Gesellschaftstransformation kommen auf die abgelegenen Regionen noch ganz andere Herausforderungen zu. So ist ein großer Teil der Gebäude auf dem abgelegenen Land unter ökonomischen Aspekten gar nicht sanierungs- und klimaneutralitätsfähig. Gegen diese Problematik verblasst das Apothekenthema. Andererseits hat das Leben „ab vom Schuss“ ja diverse Vorteile gegenüber dem Stadtleben. Gefahren werden muss, siehe oben, jedoch für alle möglichen Elementarbedürfnisse, das ist nicht neu. Die Frage der Zumutbarkeit muss also eher eng als weit gestellt werden. Jedenfalls wird man die Diskussion der wünschenswerten Apothekendichte nicht erschöpfend und losgelöst von grundlegenden infrastrukturellen Betrachtungen führen können. Wobei „wünschenswert“ eine Frage des Betrachters ist. Ein Berufsstand wird diese Frage selbstredend anders beantworten als die Patienten und Kunden. Und selbst letztere werden einsehen müssen, dass das Leben kein Wunschkonzert auf Kosten der Allgemeinheit ist.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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