Lukas Frigger
Damit die Rechnung am Ende wirklich aufgeht, sollten Sie die Anschaffung eines Kommissionierers sorgfältig kalkulieren.“ (© AdobeStock/EdNurg)
Wer in seiner Offizin täglich 600 Kunden versorgt, wird sich sicher nicht ernsthaft fragen, ob es sich lohnt, einen Kommissionierer anzuschaffen. Doch wie sieht es auf dem Land aus, wo die Betriebe meist deutlich kleiner und die Kundenfrequenzen geringer sind? Rechnet sich eine solche Investition auch dort? Was können die Systeme, was nicht? Und wann ist von einer Anschaffung abzuraten?
Ein Kommissionierer ist – unabhängig vom System und Hersteller – ein Roboter, der Packungen wegräumt und für den Handverkauf raussucht. Nicht mehr und nicht weniger. Am Ende kosten die Maschinen je nach Größe, Sonderwünschen und Verhandlungsgeschick zwischen 80.000 € und 150.000 €. Das ist gerade für kleine Betriebe das Betriebsergebnis für ein gesamtes Jahr harter Arbeit. Insofern stellt sich umso drängender die Frage: Für wen macht eine solche Investition tatsächlich Sinn …?
Auswirkungen aufs Warenlager
Einlagerung
Das Wegsortieren und Buchen der Ware wird in einem Arbeitsschritt erledigt. Diesen (offensichtlichen) Aspekt dürfte man schnell in seine Überlegung einbeziehen, und er lässt sich auch relativ einfach quantifizieren: Man kann einfach die Zeit für diesen Prozess in seiner Apotheke an mehreren Tagen messen und bekommt so einen realistischen Wert für die benötigte Arbeitszeit. Man unterscheidet bei den Maschinen zwischen manuellen und optional vollautomatischen Einlagerungen. Der Kernprozess ist aber immer gleich: Ein Mitarbeiter gibt die LS-Nummer am Gerät ein und scannt anschließend die Packungen, bevor diese in einen Einlagerungspuffer kommen. Die Maschine nimmt sich die Packungen dann vom Puffer und räumt sie automatisch nach einem mehr oder weniger intelligenten Algorithmus in ein chaotisches Hochregal ein. Zu 100 % werden die Schubsäulen nie aus der Apotheke verschwinden, und es wird – trotz eines deutlich reduzierten Arbeitsaufwandes – immer ein gewisser personeller Aufwand bestehen bleiben. Die 1-Liter-Lactuloseflasche und der Beutel mit Flohsamenschalen sind – egal bei welchem Kommissionierer – in der Schublade besser aufgehoben.
Die Einlagerungsgeschwindigkeit ist von vielen Parametern abhängig. Hier unterscheiden sich die Kommissioniersysteme in der Bedienung am stärksten. Im Durchschnitt kann man bei einer Sendung von 150 Packungen bei einem Langautomaten (Willach Consis C, Rowa Vmax etc.) von einem manuellen Aufwand von etwa 15 Minuten ausgehen. Bis die Maschine die Ware komplett verräumt hat, vergehen weitere 30 bis 45 Minuten. Diesen Arbeitsschritt erledigt das Gerät jedoch allein.
Vollautomatische Einlagerung
Vollautomatische Einlagerungen kosten zwischen 25.000 € und 40.000 € – ohne Wartungs- und Betriebskosten. Die Einlagerungen verkürzen den Aufwand von 15 Minuten auf schätzungsweise 5 Minuten. Die LS-Nummer muss eingegeben werden, dann wird der Inhalt der Großhandelskisten unsortiert in einen Pufferspeicher gekippt. Das Suchen des Scancodes entfällt ebenso wie das Ausrichten der Packungen. Für sehr große Betriebe können solche Systeme sinnvoll sein, für kleine bis mittlere (Land-)Apotheken ist der Unterschied zwischen manueller und vollautomatischer Einlagerung hingegen zu klein, um eine ernsthafte betriebswirtschaftliche Option zu sein. Um es bildhaft zu sagen: Die Umstellung von Schubladen auf Automat ist vergleichbar mit dem Umstieg von einer Pferdekutsche auf ein Auto. Der Umstieg von manueller auf vollautomatische Einlagerung ist die Frage, ob das Auto Allrad hat oder nicht.
Lagerpflege
Auch bei der Lagerbereinigung, bei Rückrufen, der Verfallsdatenkontrolle und Inventur spart der Kommissionierer deutlich Zeit ein:
Permanente Neuanlagen aufgrund von Lieferengpässen und Rabattverträgen,
- Kärtchen drucken und ganze Schubsäulen umsortieren, weil für den neuen Artikel kein freier Platz mehr im Alphabet vorhanden ist,
- die überquellende Übervorratsschublade,
- die Suche nach der 20er-Packung, die versehentlich im falschen Fach eingeordnet wurde sowie
- die Bestandsdifferenzen, die den Prüfer vom Finanzamt hochschrecken lassen, da er keine Ahnung vom Apothekenbetrieb hat:
All diese Dinge werden mit einem Automaten nicht zu 100 % verschwinden, aber eben um 80 % bis 90 % reduziert. Die eingesparte Zeit lässt sich im Apothekenalltag nur schwer quantifizieren. Bei gut gepflegtem Alphabet und konsequenter Defektbearbeitung kommen hier schnell drei Stunden pro Woche zusammen. Darüber hinaus macht es gegenüber den Kunden einen kompetenteren Eindruck, wenn nicht erst lange „herumgekramt“ wird. Und für die Mitarbeiter reduziert sich der Stress in solchen Situationen erheblich.
Auswirkungen auf die Offizin
Handverkauf
Auch im Handverkauf bietet die Automatisierung deutliche Vorteile. Gerade in den Hochlastphasen entlasten Kommissionierer die Mitarbeiter im HV und verkürzen die Wartezeiten der Kunden deutlich. Es gilt die Faustregel: Je mehr Rezepte, je mehr Packungen – desto größer die Zeitersparnis. Während langjährige Mitarbeiter, die instinktiv an die richtige Stelle in der Schublade greifen, bei ein bis zwei Packungen oder einem OTC-Wunsch aus der Sichtwahl meist schneller sind als der Kommissionierer, dreht sich der Geschwindigkeitsvorteil ab der dritten, spätestens vierten Packung beim reinen Kommisionierprozess um.
Damit die Benefits eines Automaten richtig zur Geltung kommen, müssen sich aber die Prozessabläufe in der Apotheke ändern! Die Beratung erfolgt, während der Kommissionierer die Packungen zusammenstellt, somit laufen zwei wichtige Prozesse (Kommissionierung und Beratung) parallel. Automatisierung ist auch für die Qualität eine echte Chance. In Hochlastphasen nimmt man sich automatisch Zeit für die Kunden – denn gerade, wenn viele Kassen zeitgleich bedient werden, brauchen auch die Kommissionierer ein wenig Zeit, die man dann für den Kunden hat.
Sinnvolle Beurteilungskriterien sind in diesem Kontext die Kundenzahl pro Tag, aber auch die Frequenzverteilung. Wichtig ist es darauf zu achten, möglichst wenig Fördertechnik einzusetzen. Diese ist stets das Nadelöhr und verhältnismäßig langsam. Im Grunde genommen gibt es nur einen richtigen Ort in der Apotheke für einen Kommissionierautomaten, und das ist direkt hinter der Sichtwahl. Jeder Meter Fördertechnik kostet viel Geld und vor allem Performance.
Wie groß ist der Vorteil im HV?
Eng mit der Frage nach Automatisierung verknüpft ist die Überlegung, auf eine digitale Sichtwahl umzustellen. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Ich möchte lediglich auf einen eingehen: Bei vielen Schnelldrehern hat man am Kunden mit einer physischen Sichtwahl sicher einen Geschwindigkeitsvorteil. Auf der anderen Seite benötigt man in diesem Fall aber natürlich mehr Zeit für das Ordnen, Putzen sowie die Verfallsdatenkontrolle. Entscheidend ist hier der Standort und die Einkaufsstrategie.
Letztlich kommt es bei dieser Frage stark auf den Charakter der eigenen Apotheke an. In meiner Offizin – einer mittelgroßen Landapotheke mit Laufkundschaft – führte die Einführung eines Kommissionieres zu rund 30 % mehr HV-Kapazität bei gleichem Mitarbeitereinsatz. Ich habe mich für eine physische Sichtwahl entschieden, um Stauraum für Direktware zu haben und insbesondere Laufkunden mit OTC-Wünschen auch in frequenzstarken Zeiten schnell bedienen zu können, ohne die Auslastung des Automaten weiter zu erhöhen. Der Beratungsaufwand bei einem abschwellenden Nasenspray oder einer Packung Ibuprofen beläuft sich regelhaft auf weniger als 30 bis 60 Sekunden, wie man es mit einem Kommissionierer einplanen muss.
Weitere Aspekte der Automatisierung
Resilienz
Die Automatisierung hat gerade in kleinen Teams noch weitere Vorteile, die sich jedoch nicht seriös berechnen lassen. So sind Kommissionierautomaten Industriemaschinen. Sie arbeiten sechs Tage in der Woche, werden nicht krank, haben keinen Urlaub. Uhrzeit und Wochentag sind den Maschinen egal, und beim reinen Umgang mit den Packungen machen sie keine Fehler. Das lässt sich an einer deutlichen Reduzierung der Bestandskorrekturen ablesen. Das erhöht gerade in kleinen Teams die Resilienz des Betriebes. Denn auch wenn wir als Apotheke weit mehr als bloße „Medikamentenabgabestationen“ sind, so ist die physische Distribution von Arzneimitteln doch unser absoluter Kernprozess. Und der muss immer gut funktionieren – auch in Zeiten von Urlaub und hohen Krankenständen. Andere Aufgaben lassen sich in Zeiten einer dünnen Personaldecke indes auch mal verschieben. Das System schafft somit auch eine gewisse Resilienz gegenüber ungeplanten oder unvermeidbaren Personalengpässen.
Imagepflege
Gerade kleine Betriebe auf dem Land haben oft Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Je jünger die potenziellen neuen Mitarbeiter, desto wichtiger ist das Arbeitsumfeld. Insbesondere junge Apotheker/innen wollen i. d. R. beratungsintensiv bis klinisch arbeiten. Was sie definitiv nicht wollen, ist das stumpfe Wegsortieren und Suchen von Ware – dafür studiert man keine fünf Jahre Pharmazie. Insofern ist die Frage der Automatisierung auch eine Frage der Attraktivität und Außenwirkung des eigenen Apothekenbetriebs. Auch die Kunden nehmen größere Veränderungen wie die Einführung eines Kommissionierers wahr. Und denken sich: Die sind modern, die tun etwas und die geben nicht auf. Die bleiben.
Praktische Umsetzung
Mitarbeiter
Es kann passieren, dass nicht alle Teammitglieder von den Plänen einer stärkeren Automatisierung begeistert sind. Häufig spielt die Angst, dadurch möglicherweise den Job zu verlieren, eine große Rolle. Oder es gibt generelle Vorbehalte gegenüber Neuerungen und Technik. Als Führungskraft kennt man seine Mitarbeiter meistens am besten und weiß, wie man auf die unterschiedlichen Charaktere eingehen sollte. Ich habe meinen Mitarbeitern über ein Jahr immer wieder von der Maschine vorgeschwärmt, Videos gezeigt und vor allem immer wieder im Alltag erwähnt, welche Vorteile die Maschine gerade bringen würde – wenn wir denn schon eine im Einsatz hätten. Am Ende waren alle von der Idee begeistert und haben mir zum Geburtstag ein Rubbellos über 100.000 € Gewinn mit der Notiz „Für unseren Kommissionierer Karl :-)“ geschenkt, und sind bis heute glücklich mit dem „neuen Kollegen“.
Die finanzielle Seite
Ein Kommissionierer kostet – je nach Ausführung, Hersteller und Verhandlungsgeschick – zwischen 80.000 € und 150.000 €. Modelle für Landapotheken liegen realistisch endverhandelt zwischen 80.000 € und 110.000 € Für Wartung und Betriebskosten kommen pro Monat nochmal 350 € bis 650 € hinzu. Auf die Lebensdauer von 12 bis 15 Jahren gerechnet wird deutlich, dass dieser Aspekt stärker zu Buche schlägt als der reine Anschaffungspreis. Im Gegenzug kann man realistischerweise davon ausgehen, dass sich durch die Investition etwa eine halbe bis eine Vollzeitstelle einsparen lassen. Das entspricht um 25.000 € bis 45.000 € pro Jahr. Damit wird schnell klar, dass sich die Automatisierung selbst in kleinen Betrieben rasch rentiert.
Was spricht gegen Kommissionierer in Landapotheken?
Rein finanziell betrachtet rentiert sich ein Lagersystem in den meisten Fällen bereits in den ersten fünf Jahren. Trotzdem muss man sich die Anschaffung leisten können. Der wichtigste Satz in der Finanzplanung ist und bleibt: Liquidität geht vor Rentabilität. Ein inhabergeführter Betrieb mit einem Betriebsergebnis von 120.000 € kann sich einen Kommissionierer in der Regel nicht leisten, ohne einen Mitarbeiter zu entlassen – denn die Ersparnis tritt nur dann ein, wenn die neu gewonnene Zeit entweder für mehr Absatz sorgt, eine Stelle nicht nachbesetzt wird oder eine Stelle aktiv abgebaut wird. Nun spart eine solche Anlage viel Zeit ein, ist aber auf ihre Kernaufgabe beschränkt und ersetzt nicht vollumfänglich eine PKA oder PTA. Für Betriebe kurz vor der Übergabe, oder wenn absehbar ist, dass es keinen Nachfolger geben wird – und hier sollte jeder ehrlich zu sich selbst sein! – wird sich die Anschaffung daher in der Regel nicht lohnen (siehe auch Kasten Praxistest unten).
Bauliche Situation
Wer sich für den Einbau eines Automaten entscheidet, sollte sich darüber im Klaren sein, dass insbesondere in alten Häusern häufig Umbaumaßnahmen nötig werden. Die Statik ist zu klären und muss ggf. nachgearbeitet werden. Auch das Mobiliar muss ggf. angepasst werden. Besonders sinnvoll ist es daher, die Anschaffung mit einem anstehenden Umbau zu verbinden. Freilich ist diese Form der Automatisierung auch als Einzelmaßnahme gut umsetzbar. All diese Aspekte gilt es im Vorfeld abzuklären und dann realistische (!) Kostenvoranschläge einzuholen. Auch diese sind – wie die Anschaffungskosten – bei der Investitionsrechnung zu beachten.
Lukas Frigger, Apotheker & Betriebswirt, Inhaber Akazien Apotheke, 34454 Bad Arolsen, E-Mail: lukas.frigger@akazien-apotheke-arolsen.de
Ist ein Kommissionierer für meine Apotheke sinnvoll? Machen Sie den Praxistest!
Automatisierung lohnt sich auch in kleinen Betrieben, sofern diese – realistisch betrachtet – die nächsten zehn Jahre fortgeführt werden. Sie ist kein Luxus, sondern unumgänglicher Schritt in Richtung Zukunft, der Inhaber und Team überdies auch noch richtig Spaß machen kann. Nicht jeder Aspekt der Automatisierung lässt sich kaufmännisch exakt berechnen und mit den Modellen der Investitionsrechnung darstellen.
Für Interessierte hat der Autor dieses Beitrags ein kleines Excel-Blatt zusammengestellt, mit dem jede/r Inhaber/in selbst die Berechnung für seine Apotheke anhand der wichtigsten Einflussfaktoren in zwei Minuten durchführen kann. Sie finden das Dokument im Download-Bereich der AWA-Website unter Rechentools. Nutzen Sie diese wertvolle Hilfestellung aus der Praxis, die Ihnen Kollege Frigger zur Verfügung stellt, damit Sie am Ende die richtige Entscheidung treffen!
Sie finden das Blatt in unserer Rubrik Rechentools unter "Kommissionierer 2023".
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(21):7-7