Aktuelles aus der arbeitsrechtlichen Beraterpraxis

Wissen ist Macht: Vier vermeidbare Irrtümer


Dr. Uwe Schlegel

Das Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland wird allgemein als arbeitnehmerfreundlich wahrgenommen. Das liegt unter anderem aber auch daran, dass viele Arbeitgeber die Rechtslage nur unzureichend kennen. Dann begünstigt ein Irrtum, dem der Arbeitgeber unterliegt, den Arbeitnehmer. Dazu vier Beispiele aus der aktuellen Arbeitsrechts-Praxis.

Manch ein vermeidbarer Fehler im Arbeitsrecht kann Sie als Apothekenleiter viel Geld kosten. (© AdobeStock/kues1)

Irrtum Nr. 1: Erst abmahnen, dann kündigen

Ob überlange Pausen, unfreundliches Auftreten gegenüber Patienten oder einfach „nur“ unpünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz – die Liste an möglichen Verfehlungen eines Arbeitnehmers ließe sich beliebig fortsetzen und führt beim Arbeitgeber häufig zu steigendem Blutdruck. Nachdem man sich wieder beruhigt hat, lauten die arbeitsrechtlich maßgeblichen Fragen: Was tun? Abmahnung aussprechen, ermahnen oder einfach wegsehen und weitermachen?

Das Leben ist zu schön, um sich über jeden Arbeitnehmer aufzuregen, bei dem der Sozialisierungsprozess auch im Alter von 30 noch nicht abgeschlossen scheint. Der Praxistipp Nr. 1 lautet daher: Handeln Sie nicht aus der Emotion heraus! Nachdem der erste Ärger verraucht ist, gilt es zu entscheiden: Mahnt man die Pflichtverletzung ab oder nicht?

Bevor man diese Frage für sich beantwortet, gilt es, zwei Überlegungen vorab anzustellen.

Vorüberlegung 1: Bin ich ein Kleinbetrieb?

Wer nach der Zählweise von § 23 Kündigungsschutzgesetz nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, ist – etwas vereinfacht – ein sogenannter Kleinbetrieb, mit der Folge, dass das Kündigungsschutzgesetz (abgekürzt KSchG) keine Anwendung findet. Das wiederum hat zur Folge, dass man jedem Arbeitnehmer – von Sonderfällen wie etwa Schwangerschaft und Schwerbehinderung abgesehen – grundsätzlich ohne Angabe von Gründen kündigen kann. Im Weiteren führt das dazu, dass keine Abmahnung notwendig ist. Das heißt: Wer eine Apotheke betreibt, die einen Kleinbetrieb im angesprochenen Sinne darstellt, kann sich in aller Regel problemlos von einem Arbeitnehmer trennen, ohne zuvor eine Abmahnung ausgesprochen zu haben. Wer aus „erzieherischen“ Gründen dennoch eine Abmahnung erklärt, schadet sich freilich dadurch nicht.

§ 23 KSchG (Ausschnitt):

„In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.“

Vorüberlegung 2: Warum überhaupt abmahnen?

Viel grundlegender ist die zweite Vorüberlegung. Wer abmahnt, kann aus demselben Anlass heraus nicht mehr kündigen! Wenn also der Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung begeht – beispielsweise einen Arbeitszeitbetrug – führt eine deswegen erteilte Abmahnung dazu, dass derselbe Vorgang nicht mehr als Kündigungsgrund herangezogen werden kann. Der Kündigungsgrund ist gewissermaßen „verbraucht“.

Das führt zu Praxistipp Nr. 2: Erst nachdenken, dann handeln. Will heißen, keine Abmahnung aussprechen, wenn man den konkreten Vorfall zum Anlass für eine Kündigung nehmen will!

Überdies gilt: Selbst dann, wenn eine Abmahnung arbeitsrechtlich notwendig sein sollte, ist zu fragen, ob der Ausspruch wirtschaftlich sinnvoll ist. Da sich Arbeitnehmer vielfach auch nach ausgesprochener Abmahnung und einer wegen einer weiteren Pflichtverletzung erklärten Kündigung nicht von einer Klage beim Arbeitsgericht abhalten lassen, führt die Abmahnung rein faktisch regelmäßig nur zu einer vom Arbeitgeber nicht gewollten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses.

Daher lautet Praxistipp Nr. 3: Vor dem Ausspruch einer Abmahnung erst nachdenken, ob eine Abmahnung geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen.

Irrtum Nr. 2: Ich muss nach Tarif bezahlen

Apotheken unterliegen in aller Regel keinem Tarifvertrag. Denn solche finden grundsätzlich nur dann Anwendung, wenn sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber Mitglieder in einer Tarifvertragspartei sind. Wer meint, er müsse nach Tarif vergüten, irrt meistens. Andererseits: Das Verlangen der Arbeitnehmer nach einer tariflichen Vergütung oder sogar darüber hinaus ist inzwischen weit verbreitet. Möchte der betroffene Arbeitgeber im Wettbewerb um geeignetes Fachpersonal erfolgreich bestehen, wird er häufig nicht umhinkommen, zumindest eine Vergütung in Anlehnung an bestehende Tarifverträge anzubieten. Das ist typischerweise der Gehaltstarifvertrag im Apothekenwesen zwischen Adexa und dem Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken bzw. der Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter Nordrhein und dem Sächsischen Apothekerverband.

Aber: Eine Vergütung nach Tarif darf nicht verwechselt werden mit der Einbeziehung eines Tarifvertrages mit seinem gesamten Inhalt. In aller Regel reicht es den Arbeitnehmern völlig aus, wenn sie so vergütet werden, wie es der von ihnen als maßgeblich anerkannte, im Internet einsehbare Tarifvertrag vorsieht.

Das führt zu Praxistipp Nr. 4: Gegen eine Vergütung unter Beachtung eines zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als einschlägig erkannten Tarifvertrages spricht nichts. Vor einer vollständigen Einbeziehung eines solchen Tarifvertrages ist jedoch zu warnen! Denn das führt gegebenenfalls zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteilen, so etwa im Hinblick auf in der Zukunft automatisch zu erfolgende Gehaltssteigerungen immer dann, wenn der in Bezug genommenen Tarifvertrag das vorsieht.

Irrtum Nr. 3: Bei Krankheit darf ich nicht kündigen

Aus arbeitsrechtlicher Sicht bestehen keinerlei Bedenken dagegen, einem Arbeitnehmer zu kündigen, während er arbeitsunfähig erkrankt ist. Bei recht kurzer Kündigungsfrist ist aber auf § 8 Absatz 1 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes zu achten. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

„Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt.“

Eine Abmahnung hat zur Folge, dass derselbe Vorgang nicht mehr zur Kündigung herangezogen werden kann. Der Kündigungsgrund ist gewissermaßen „verbraucht“. Überdies führt eine Abmahnung regelmäßig zu einer faktischen Verlängerung des Arbeitsverhältnisses.

Das bedeutet ganz praktisch: Kündigt der Arbeitgeber beispielsweise in der Probezeit mit einer Frist von zwei Wochen, so kann es passieren, dass dennoch die Vergütung bis zu einer Dauer von sechs Wochen zu gewähren ist, wenn denn die Kündigung als Folge der Krankheit ausgesprochen wurde.

Praxistipp Nr. 5 lautet daher: Eine Kündigung während der Krankheit eines Arbeitnehmers ist rechtlich in aller Regel möglich, sollte aber gut überlegt sein. Hier kann es sich im Einzelfall empfehlen, rechtzeitig anwaltlichen Rat einzuholen.

Irrtum Nr. 4: Der Arbeitgeber zieht doch immer den Kürzeren

Das ist vielleicht der folgenreichste aller Irrtümer. Denn hier erkennt der Arbeitgeber zwar den durch das Arbeitsrecht verfolgten Zweck, Arbeitnehmer zu schützen, an. Zugleich zieht er daraus aber den falschen Schluss. Resignation ist selten ein erfolgversprechender Ansatz für unternehmerisch kluge Entscheidungen.

Insoweit ist es empfehlenswert, den durch das Arbeitsrecht angestrebten Arbeitnehmerschutz grundsätzlich zu respektieren. Zugleich sollte aber auch versucht werden, die vorhandenen Spielräume möglichst effektiv zu nutzen. Dazu gehört vor allem, sich weniger auf das Arbeitsrecht zu fokussieren. Am meisten erreichen kann man als Arbeitgeber dadurch, dass man sich auf seine (hoffentlich vorhandenen) kommunikativen Fähigkeiten konzentriert. Das lässt nämlich manchen Streit erst gar nicht entstehen, und es können in vielen Fällen Lösungen gefunden werden, die vielleicht nicht zu 100 % den arbeitsrechtlichen Vorgaben entsprechen, dennoch aber Arbeitnehmer wie Arbeitgeber zufriedenstellen.

Als Beispiel sei die Flexibilisierung der Arbeitszeiten genannt. Hier lassen sich mit etwas kommunikativem Geschick erstaunlich gute Ergebnisse erzielen, auch wenn das Arbeitsrecht an dieser Stelle wahrlich keine große Hilfe für Arbeitgeber darstellt.

 

Dr. Uwe Schlegel, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der ETL Rechtsanwälte GmbH, 51107 Köln, E-Mail: uwe.schlegel@etl.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(21):14-14