Wie professionelle Interessenvertretung funktioniert

Der Ton macht die Musik


Daniela Hühold

Was zeichnet eine professionelle Interessenvertretung aus? Wann setzt sie wo an, und wie lassen sich damit politische Anliegen erfolgreich durchsetzen? Unsere Autorin kommt aus der Interessenvertretung, kennt den Apothekenmarkt und liefert spannende Einblicke, was in der Praxis funktioniert und was nicht. Laute, aggressive Töne, die die Beziehung zum Gegenüber beschädigen, hält sie grundsätzlich für kontraproduktiv.

Laute, aggressive Töne sind beim Durchsetzen politischer Ziele eher kontraproduktiv. Gefragt ist vielmehr eine sachliche und respektvolle Kommunikation. (© AdoeStock/pathdoc) 

In kaum einer anderen Branche ist ist das Zusammenspiel mit der Politik so entscheidend wie im Gesundheitsbereich, geht es dort doch um nicht weniger, als die politischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass unser Gesundheitssystem stabil und sicher bleibt. Doch die Realität sieht im Moment anders aus: Vor-Ort-Apotheken schließen, Krankenhäuser schreiben rote Zahlen, Lieferengpässe bei Arzneimitteln erschweren die Patientenversorgung. Ein alarmierender Fachkräftemangel, hohe Energiekosten und ein enormer bürokratischer Aufwand erzeugen zusätzlichen Druck.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich eine „Kernsanierung“ des fragilen Gesundheitssystems auf die Fahnen geschrieben und seit seinem Amtsantritt zahlreiche Veränderungen angestoßen: unter anderem eine Finanzreform der GKV, eine Krankenhausreform sowie eine Digitalreform. Seit dem Deutschen Apothekertag Ende September in Düsseldorf wissen wir: Auch bei den Apotheken plant der Minister tiefgreifende Strukturreformen. Mit diesen Plänen macht sich Lauterbach aber nicht nur Freunde. Gerade jetzt, wo eine enge Zusammenarbeit unabdingbar ist, um die Weichen für die Zukunft der Apotheken zu stellen, scheinen die Fronten zwischen Branchenverbänden und dem Gesundheitsminister verhärteter denn je.

An diesem Punkt setzt die professionelle Interessenvertretung an. Sie fungiert als Vermittler und Brückenbauer, hilft gesellschaftlichen Gruppen, in Politik und Öffentlichkeit Gehör zu finden, und fördert den wichtigen konstruktiven Dialog. Aber was macht eine professionelle Interessenvertretung aus? Welche Instrumente gibt es und welche Kenntnisse sind erforderlich?

Unabhängig von politischen Differenzen und schwierigen Gesprächspartnern ist eine sachliche, konstruktive und respektvolle Kommunikation wichtig, die die Beziehung zum Gegenüber nicht nachhaltig zerstört, Brücken abreißt und damit den eigenen Interessen nachhaltig schadet. Hier hilft es, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen.

Wer seine Interessen durchsetzen oder in der Gesellschaft etwas verändern will, braucht die Unterstützung anderer oder die Zusammenarbeit mit anderen. Das gilt für die Frage, wohin der nächste Familienurlaub gehen soll, ebenso wie für die Mitgestaltung notwendiger Gesetzesreformen im Apothekenmarkt. Letztere ist eine komplexe Aufgabe, deren Gelingen Ausdauer, politisches Gespür und kommunikatives Geschick erfordert. Kurz gesagt geht es darum, sich gezielt, rechtzeitig und nachhaltig Unterstützung für die eigenen politischen Positionen zu sichern.

Entscheidend ist, vor die Lage zu kommen

Die für das eigene Anliegen wichtigen politischen Ereignisse, Diskussionen und Prozesse zu beobachten und möglichst frühzeitig in Erfahrung zu bringen, wenn Veränderungsprozesse angestoßen werden, ist das Brot- und Buttergeschäft der professionellen Interessenvertretung.

Die Kunst bei diesem sogenannten „Monitoring“ besteht darin, sich nicht in der Informationsflut zu verlieren, Relevantes von Irrelevantem zu trennen, Geschriebenes und Gesagtes zu analysieren und einzuordnen. Vor allem aber geht es darum, die wirklich wichtigen Informationen so rechtzeitig zu finden, dass noch genügend Zeit bleibt, um darauf adäquat zu reagieren und vor die Lage zu kommen. Die Informationsquellen hierfür sind unterschiedlich und können von der offiziellen Website des Bundesgesundheitsministeriums bis hin zu informellen Gesprächen am Rande einer Veranstaltung reichen.

Wichtig ist, dass Informationsbeschaffung nie eine Einbahnstraße ist. Professionelle Interessenvertretung bedeutet Informationsaustausch zwischen Politik und Branche. Beide Seiten sollten regelmäßig Informationen über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen teilen. Eine solche Transparenz schafft Vertrauen und bildet die Grundlage für konstruktive Gespräche.

Timing ist alles

Grundvoraussetzung ist es, die Prozesse und Abläufe im politischen Betrieb bis ins Detail zu verstehen. Timing ist alles. Möchte man sich beispielsweise in das kommende Gesetzgebungsverfahren zur Apothekenstrukturreform einbringen, ist man „late to the party“, wenn der Entwurf bereits im Bundestag beraten wird. Bevor ein Gesetzentwurf dort landet, durchläuft er mehrere Verfahrensstufen und wird vielfach überarbeitet. Minister, Abteilungsleiter, Referenten, Expertenanhörungen – das Papier dreht viele Schleifen. In dieser Entstehungsphase bestehen die besten Chancen, bei den verschiedenen Akteuren auf problematische Punkte hinzuweisen, oder auf Änderungen hinzuwirken.

Gleichzeitig ist es wichtig, die für sein eigenes Anliegen handelnden Akteure zu kennen. Wer sind die Berichterstatter der Fraktionen für das Apothekenwesen? Wer leitet das für Apotheken zuständige Referat im Bundesministerium für Gesundheit? Der Aufbau guter Beziehungen zu politischen Entscheidungsträgern und anderen einflussreichen Personen ist entscheidend. Parlamentarische Abende, Podiumsdiskussionen oder auch nur ein Anruf, um sich als Interessenvertreter vorzustellen, können Wege sein, um in Kontakt zu treten und sich zu vernetzen.

Im so genannten „Stakeholdermanagement“ gilt die goldene Regel: „Make friends, before you need them”. Kurz gesagt: Es ist charmanter, jemanden um etwas zu bitten, zu dem man bereits ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, bevor man ein konkretes Anliegen hat. Dies ist besonders wichtig in einem demokratischen System, in dem die Rollen von Opposition und Regierung nach den nächsten Wahlen schnell wechseln können. Entscheidend ist insofern eine sachliche, respektvolle Kommunikation.

Nachdem man sich durch Prozesswissen und Stakeholdermanagement einen Überblick über den Zeitplan und die Akteure verschafft hat, geht es nun um die richtige politische Kommunikation. Persönliche Treffen, Briefe und Mailings, Positionspapiere und Stellungnahmen, aber auch politische Veranstaltungen können Mittel sein, um mit Politikern zu kommunizieren und auf seine Anliegen aufmerksam zu machen. Die Vorgehensweise ist dabei immer individuell und hängt vom Prozess, dem Zeitrahmen, den verfügbaren Ressourcen und den beteiligten Akteuren ab.

Man braucht einen sehr langen Atem

Unabhängig von politischen Differenzen und schwierigen Gesprächspartnern ist eine sachliche, konstruktive und respektvolle Kommunikation wichtig, die die Beziehung zum Gegenüber nicht nachhaltig zerstört, Brücken abreißt und damit den eigenen Interessen nachhaltig schadet. Hier hilft es, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und die Perspektive zu erweitern. Spielen bei der Durchsetzung bestimmter Inhalte eigene strategische Interessen eine Rolle? Wie ist die aktuelle Lage in der Regierung und gegenüber den Koalitionspartnern? Steht zeitnah eine wichtige Landtagswahl an? Dieses „Rauszoomen“ hilft dabei, ein besseres Verständnis für seinen Gesprächspartner zu entwickeln und seine Kommunikation dementsprechend anzupassen.

Ethisches und transparentes Handeln, das frühzeitige Sammeln von Informationen, Kenntnisse über die politischen Prozesse und Abläufe, ein solides politisches Netzwerk sowie eine nachhaltige und respektvolle Kommunikation bilden also die Basis, um seine Interessen professionell gegenüber der Politik zu vertreten.

Wie uns die aktuelle politische Lage zeigt, führt allerdings selten ein Instrument allein und einmalig angewandt direkt und schnell zum Ziel. Vielmehr bauen viele einzelne Mosaiksteine aufeinander auf und müssen fortlaufend situativ verändert, erweitert und strategisch angepasst werden. Nicht zuletzt gilt es also, einen langen Atem zu haben, beharrlich zu bleiben und Geduld aufzubringen, um sich als souveräner und gefragter Gesprächspartner in einen Gesetzgebungsprozess einzubringen (s. a. Kasten "Überholtes Klischee").

 

Daniela Hühold, Public Affairs, Strategy and Communication, Von Beust & Coll., 20354 Hamburg, E-Mail: huehold@vbcoll.de

 

Überholtes Klischee vom undurchsichtigen Strippenzieher mit Geldkoffer

Politische Interessenvertretung hat nach wie vor mit einem schlechten Image zu kämpfen. Viele Menschen und auch weite Teile der Fachöffentlichkeit verbinden mit einem Lobbyisten einen undurchsichtigen Strippenzieher, der mit Geldkoffer ausgestattet in Hinterzimmern auf fragwürdige Weise für fragwürdige Interessen wirbt. Dabei ist die Beteiligung von Verbänden und Branchenexperten an Gesetzgebungsverfahren gängige Praxis und von der Politik ausdrücklich erwünscht.

Das oben beschriebene Klischee des zwielichtigen Lobbyisten ist längst überholt, denn spätestens seit der Einführung des nationalen Lobbyregisters hat der Geldkoffer endgültig ausgedient. Allerdings wäre auch ohne diese Datenbank ein Mittel wie Korruption nicht erfolgreich, um sich bei einer jungen, linken Regierung Gehör zu verschaffen. Transparenz und Ethik sind heute wichtige Werte, an denen man eine professionelle Interessenvertretung erkennen kann.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(23):10-10