Todes-Cocktail aus der Apotheke?

Dieser Kelch
ist erst einmal vorübergegangen …


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Sterbehilfe ist eines der Themen, welche man als Heilberufler gern meidet, erst recht in der öffentlichen Diskussion. Nicht nur, dass es historisch belastet ist: Wir sehen unseren Berufssinn – zu heilen und Leben zu schützen – schnell in ein schiefes Licht gerückt. Allerdings gibt es eben auch die Dimension des Leidens. Das bricht sich hin und wieder mit dem Anspruch, Leben zu retten: Nicht nur, koste es, was es wolle, sondern auch schmerze es, wie es wolle, bisweilen trotz hochentwickelter Schmerztherapien.

Die Auseinandersetzung um die Sterbehilfe in all ihren Abstufungen – von passiv über assistierten Suizid bis hin zur aktiven Hilfe – tobt schon lange. In der Bevölkerung schlagen die Wogen bei diesem Thema besonders hoch, wie ein Blick in zahlreiche Foren-Diskussionen zeigt. Emotional geführt, überwiegt der Tenor: „Es ist mein Recht, selbstbestimmt zu sterben, wann, wo und wie ich will. Niemand, schon gar nicht der Staat, darf mir das verwehren.“ Es sei angemerkt: Das tut der Staat ja auch gar nicht.

Werfen wir einen Blick auf die Zahlen. 9.215 Suizide gab es 2021 in Deutschland gemäß Statistischem Bundesamt. Ein signifikanter Anstieg (Corona!?) ist übrigens nicht zu sehen. Das sind etwa 25 Selbsttötungen pro Tag; im Jahr 1980 waren es dagegen noch 50! 75 % sind Männer, in Nordrhein-Westfalen kommen nur 7,6 Suizide auf 100.000 Einwohner, in Sachsen finden wir den deutschen Spitzenwert mit 16,1. Die absolut meisten Selbstmorde ereignen sich in der Altersklasse 55 bis 59 (1.010 in 2021, bei 6,86 Mio. Personen in dieser Klasse). Aber auch 939 über 85-Jährige setzten ihrem Leben selbst ein Ende (72 % Männer, obwohl deren Anteil in dieser Altersgruppe mit 2,73 Mio. Personen nur 35 % beträgt).

Bei den Hochbetagten entschieden sich 0,70 % der Männer und 0,15 % der Frauen zu diesem finalen Schritt. In der Gesamtbevölkerung sind es 0,11 % (0,16 % der Männer, 0,056 % der Frauen). Im Alter steigt also die Suizidalität stark an, bei den Männern nochmals deutlich stärker. Auf jeden vollendeten Suizid kommt eine nicht exakt bekannte Zahl an Versuchen. Schätzungen lauten auf einen beachtlichen Faktor von 10 bis 15, hier dominieren Jugendliche bzw. junge Erwachsene, zudem die Frauen. Die überwiegende Zahl der Selbsttötungen steht zudem in Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung. Das wirft Fragen nach einem wirklich freien Willen auf.

Bei der Wahl der Mittel dominiert mit rund 45 % der „Strick“, es folgen dann bereits, mit deutlichem Abstand, Arzneimittel und biologische Stoffe (11 % bis 12 %), auf ähnlichem Level bewegen sich Waffen im weiteren Sinne, Stürze machen 10 % aus, 7 % werden im fließenden Verkehr (Bahn, Auto) begangen. Um die absolut 12 Fälle jährlich ereignen sich mit nicht-opioiden Analgetika (v. a. Paracetamol!), 110 dagegen mit Betäubungsmitteln im Mittel der letzen fünf Jahre – jeweils nach Angaben des Statistikportals Statista.

Hier kommen angesichts dieser Datenlage die Apotheken ins Spiel. Dies umso mehr, als Ältere und damit überproportional Gefährdete zu den Hauptkunden zählen. Man stelle sich nun vor, diese Kunden würden in die Apotheke kommen, in der Hand ein Rezept oder eine Art spezieller Berechtigungsschein zum Erwerb von z. B. 20 Gramm Pentobarbital. Wird das diskret in der Tüte über den Apotheken-Verkaufstisch gereicht, oder korrekt in der Dose mit kindersicherem Verschluss und selbstverständlich allen Gefahrstoff-Sätzen etikettiert? Oder könnten letztere entfallen? Wie steht es um eine Gebrauchsanleitung? Welche Anforderungen wären an die „Beratung“ zu stellen? Was würde das mit Ihrer Psyche machen, wenn der Kunde dann entschwindet und Sie wüssten, das war wohl nun der letzte Besuch, das Kundenkonto können wir löschen? Dies zeigt einen viel zu selten diskutierten Aspekt der Sterbehilfe: Die Betreffenden laden ihren Mitmenschen eine mehr oder weniger große Schuld und Mitverantwortung auf – weil sie für eine ehrliche, selbstverantwortliche Entscheidung doch zu schwach sind?

Das Bundesverwaltungsgericht hat jüngst den Anspruch auf die Abgabe von Betäubungsmitteln zum Zwecke des Suizids abgewiesen. Wir sollten dankbar sein, auch wenn weitere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht folgen werden. Und ansonsten darauf hoffen, dass andere Stellen die Abgabe übernehmen würden.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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