Dr. Bettina Mecking
Wer hat die Nase vorn? Die Pole-Position beim flächendeckenden Rollout des E-Rezepts ist hart umkämpft. (© AdobeStock/Stefan)
Was gilt bei E-Rezepten für Heimbewohner?
Immer wieder stößt man auf die Behauptung, dass eine Direktübermittlung bei Heimbewohnern von der Arztpraxis an eine Apotheke rechtlich unzulässig sei, da hier die freie Apothekenwahl verletzt werde. Dabei wird ein zentraler Punkt jedoch übersehen: Ein behördlich genehmigter Heimversorgungsvertrag legalisiert die Zuführung der teilnehmenden Bewohner und die Zuweisung ihrer Verschreibungen an die heimversorgende Apotheke und stellt insofern eine Ausnahme vom Zuführungs- und Zuweisungsverbot des Apothekengesetzes dar!
So ist im Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) von 2020 ergänzend in § 11 Abs. 1 Apothekengesetz (ApoG) klargestellt worden, dass das Verbot nicht für gesetzlich vorgesehene Rechtsgeschäfte und Absprachen gelte. Dazu gehören – ausweislich der Gesetzesbegründung – explizit auch Heimversor- gungsverträge.
Insofern ist absolut unverständlich, warum diese rechtlich wichtige Klarstellung in der Branche nicht hinreichend wahrgenommen wird. Denn das PDSG hat das Zuweisungsverbot und damit auch seine Ausnahmen ausdrücklich auch auf elektronische Verschreibungen ausgedehnt.
Widersprüchliche Aussagen von Kassenärzten
Zusätzlich verkompliziert wird die Situation durch unterschiedliche Positionen auf Ärzteseite:
So liest man z. B. auf der Website der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein folgendes:
„Kann man das E-Rezept direkt der das Heim beliefernden Apotheke übermitteln? Wie funktioniert es?"
Sofern eine rechtliche oder vertragliche Regelung die direkte Übermittlung erlaubt, kann der Arzt ein E-Rezept direkt an die Apotheke senden.
„Was wird übermittelt?“
Nur der E-Rezept-Code.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung äußert sich auf ihrer Website hingegen wie folgt:
„Wie beim Papierrezept gilt auch für das E-Rezept: Ärzte dürfen Rezepte nicht per Direktzuweisung an die Apotheke übermitteln. Dies ist selbst auf ausdrücklichen Patientenwunsch gesetzlich nicht erlaubt (...).
Geht ein verschreibungspflichtiges Medikament zur Neige, informiert das Heim die Arztpraxis. Diese stellt ein E-Rezept aus und druckt den E-Rezept-Token aus. Der wird anschließend vom Heim abgeholt und geht dann von dort zur Apotheke.“
Solche widersprüchlichen Aussagen erschweren den Umgang mit dem E-Rezept, zumal Pflegeheime grundsätzlich einen hohen Arzneimittelbedarf haben.
Die Begehrlichkeiten „Dritter“
Der flächendeckende Rollout des E-Rezepts wird begleitet vom „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digitalgesetz – DigiG). Die rechtliche Musik spielt bei den „Dritten“, die Zugriff auf die E-Rezepte nehmen wollen. Das Gesetz soll zeitnah in Kraft treten.
Der Erklärfilm zur Gematik-App macht deutlich, dass diese sich als das zentrale Medium in diesem Bereich versteht, siehe:
Gleichwohl bringen sich weitere Anbieter mit ihren Apps in Position. Wer sich gefragt hat, wie die Verschreibungen aktuell zu den Internetversendern gesteuert werden, kann hier Antworten finden.
So fordert ein Schnelllieferdienst-Konzept Verbraucher auf, E-Rezepte über deren App bei ihnen einzulösen und sich die Medikamente direkt nach Hause liefern zu lassen.
Daneben wollen auch Krankenkassen E-Rezepte sammeln und weiterlenken. Mit der Einführung des E-Rezepts ist der Weg über Apps attraktiver geworden. Laut Anbietern sind die Rezepte „in der Apotheke vor Ort oder Versandapotheke einlösbar“. Das hat für die Vor-Ort-Apotheken verständlicherweise einen negativen Beigeschmack.
Einlösewege sind gesetzlich verankert
Der neue Absatz 16 in § 360 SGB V soll klarstellen, auf welchen Wegen E-Rezepte bzw. deren Token künftig übermittelt werden können.
Hier ist als Klarstellung vorgesehen, dass „die Bereitstellung und der Betrieb von informationstechnischen Systemen, die die Übermittlung von elektronischen Verordnungen oder elektronischen Zugangsdaten zu solchen außerhalb der Telematikinfrastruktur ermöglichen, (…) untersagt ist“.
Folgende Ausnahme ist besonders wichtig:
„Satz 1 umfasst nicht (…)
3. informationstechnische Systeme, die eine Apotheke betreibt, um elektronische Zugangsdaten zu elektronischen Verordnungen direkt von Versicherten entgegenzunehmen, die bei höchstens dieser Hauptapotheke und deren Filialapotheken eingelöst werden können.
§ 11 Absatz 1 und 1a des Apothekengesetzes sowie § 31 Absatz 1 Satz 5 bis 7 sind zu beachten. Absatz 2 Satz 5 bleibt unberührt.“
Damit sind von Apotheken selbst entwickelte und auf den Filialverbund beschränkte Apps gemeint.
Digitalisierung geht irgendwie anders …
Weniger begrüßenswert ist hingegen die unter Ziffer 4 vorgesehene Ausnahme. Es sollen nämlich solche Systeme zur Verfügung gestellt werden können, „mit denen Versicherte elektronische Zugangsdaten zu elektronischen Verordnungen direkt an Apotheken übermitteln können, wenn dabei der Stand der Technik (...) und Schutzbedarf der Daten eingehalten wird; dabei dürfen keine Apotheken oder Gruppen von Apotheken bevorzugt werden, und der Verzeichnisdienst der Gesellschaft für Telematik sowie normierte Schnittstellen der Gesellschaft für Telematik sind für die diskriminierungsfreie Anbindung zu nutzen; dies erfordert eine technische Komponente zur Authentifizierung und einen Antrag bei der Gesellschaft für Telematik.“
In der Begründung heißt es, Ziel der Regelung sei, „technische Möglichkeiten zum Makeln elektronischer Rezepte zu unterbinden, den Versicherten die Möglichkeit zu geben, E-Rezepte diskriminierungsfrei in allen Apotheken einlösen zu können, und die IT-Sicherheit der E-Rezepte zu erhöhen“.
Das ist gesichert, wenn der Verzeichnisdienst der Gematik und normierte Schnittstellen zu den Apothekenverwaltungs-Softwarelösungen genutzt werden. Nochmals wird klargestellt: An Makelverbot und freier Apothekenwahl wird nicht gerüttelt!
Kritische Drittanbietersysteme sind solche, die von den teilnehmenden Apotheken nicht selbst betrieben werden. Die Ausnahme nach Ziffer 4 würde nicht greifen, da nur Provision zahlende Kooperationsapotheken die Anbindung etwa bei den Lieferdienstkonzepten nutzen können.
Es kann aber kaum die Idee einer eigens dafür geschaffenen sicheren Telematik-Infrastruktur sein, dass dann doch alle an der Gematik vorbei über zahllose Apps die Daten rumschicken, zumal man dafür den Ausdruck benötigt, um den Quellcode in die App zu scannen. Digitalisierung geht irgendwie anders …
Rechtlich dürfte es sich bei der Vorschrift möglicherweise um eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG handeln mit der Folge, gegen Verstöße mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts anzugehen.
Wenn dieser Weg aus Rechtsgründen nicht beschritten werden kann, könnte ein niedergelassener Apotheker vor dem Sozialgericht gegen diese Dritt-App-Anbieter klagen, oder eine einstweilige Anordnung erwirken.
Dr. Bettina Mecking, M. M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(02):14-14